Opern-Kritik: Theater Bonn – Der singende Teufel

Wenn der Teufel aus dem letzten Loch pfeift

(Bonn, 21.5.2023) Die Oper Bonn setzt ihre verdienstvolle Reihe „Fokus 33“ mit Franz Schrekers „Der singende Teufel“ begeisternd fort und krönt damit ihre aktuelle Spielzeit.

© Thilo Beu

Erfolgreich wiederbelebt: Franz Schrekers „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Erfolgreich wiederbelebt: Franz Schrekers „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Ende der Zwanzigerjahre muss die Atmosphäre für Künstler aufregend und gespenstisch zugleich gewesen sein. Im Dezember 1928 störten zwar politisch eindeutig den Nazis zuzuordnende Zwischenrufer die Uraufführung von Franz Schrekers „Der singende Teufel“, konnten aber den Erfolg zumindest beim Publikum damit nicht wirklich verhindern. Bei der Premiere seiner Oper „Der Schmied von Gent“ 1932 schafften sie es dann schon, dass das Werk nach einigen Vorstellung wieder abgesetzt wurde. Dass der noch wenige Jahre zuvor so erfolgreiche jüdische Komponist sein Amt als Direktor der Berliner Akademischen Hochschule für Musik auf Druck von konservativen und nationalsozialistischen Professorenkollegen im selben Jahr niederlegte, 1933 an der Preußischen Akademie der Künste beurlaubt und Anfang 1934 auf Betreiben von Max von Schilling zwangspensioniert wurde, lag in der Logik dieses Systems.

Dass Schreker nicht mehr mit der Judenverfolgung konfrontiert wurde, lag nur daran, dass er 1934 nach einem vorausgegangenen Schlaganfall an einem Herzinfarkt starb. Es passt in das verschrobene, von ihrem Rassenwahn verblendete Kunstverständnis der Nazis, dass sie seine Musik in ihrer Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 als „sexual-pathologische Verirrung“ abzuqualifizieren versuchten.

© Thilo Beu

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

1933 von den Bühnen verbannt, von der Nachkriegsmoderne blockiert

Mit ihrer so verdienstvollen wie erfolgreichen Reihe „Fokus 33“ widmet sich die Oper in Bonn mit ihren Mitteln dem Zivilisationsbruch, der in Deutschland in den 30er und 40er Jahren auch die Kunst erfasste. „33“ steht für das Jahr im vorigen Jahrhundert, ab dem mit absurden rassischen Begründungen systematisch Werke von den Bühnen verbannt und Künstler aus dem Land getrieben wurden und damit nach und nach auch im Bewusstsein des Publikums verblassten. Von heute aus betrachtet ist es erstaunlich, dass das in den Jahrzehnten nach dem Krieg nicht korrigiert, sondern durch einen blickverengenden Dogmatismus der Nachkriegsmoderne blockiert wurde.

Wenn die Orgel zum Antipoden des Sakralen mutiert

Mit „Fokus 33“ macht die Oper Bonn deutlich mehr, als sich gelegentlich mit einer ambitionierten Ausgrabung zu schmücken. Hier wird mit langem Atem wichtige Nachweltarbeit geleistet. Rehabilitiert werden muss zwar eigentlich niemand, da keiner irgendwie nachvollziehbar von irgendeiner ernstzunehmenden Gerichtsbarkeit verurteilt worden wäre. Aber schlicht und einfach wieder aufgeführt werden müssen diese Werke. Allein schon wegen der historischen Gerechtigkeit.

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Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

In Bonn aber allemal auch zum Nutzen und Vergnügen des Publikums. Gerade im jüngsten Fall von Schrekers Oper, bei der eine ganz besondere Orgel sogar der Titelheld ist. Wobei es schon pikant ist, dem sakralen Instrument schlechthin einen Namen zu verpassen, der vom Antipoden des Sakralen schlechthin stammt. Aber dieser übergeordnete Hauptdarsteller bleibt unsichtbar. Regisseurin Julia Burbach meinte, dass das Publikum das Mysteriöse dieser Unsichtbarkeit auch als Freiraum für eigene Imaginationen oder Interpretationen begreifen und nutzen sollte.

Freiraum für eigene Imaginationen

Den Raum und die Bilder, die sie dafür geschaffen hat, lassen das tatsächlich zu. Auf das von Schreker (als Komponist und sein eigener Librettist) vorgegebene Mittelalter verweisen in der höchst ästhetischen Ausstattung von Dirk Hofacker vor allem die Masken der ihren Sonnenwendkult praktizierenden um ihre mit wehendem Gewand ausgestattete Priesterin Alardis (Dshamilja Kaiser) gescharten Heiden.

© Thilo Beu

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Was die von Marco Medved einstudierten Choristen und die von Cameron McMillan choreografierte siebenköpfige Tänzertruppe hier tragen, erinnert von Ferne an die mittelalterliche Vorstellung von höllischem Personal in diversen Abbildungen aus dieser Zeit. Außerdem sind sie auf einer Art stilisiertem Felsen postiert. Die Heiden in Weiß sind ein deutlicher Kontrast zu den dunklen Gewändern der Klosterbrüder unter dem Kommando des gestrengen Pater Kaleidos, den Tobias Schabel mit stimmlicher und habitueller Autorität verkörpert.

Orgelpfeifen, die wie Raketen aussehen

Von dem mysteriösen teuflischen Instrument bekommen wir einige respekteinflößende Orgelpfeifen zu Gesicht, die (passenderweise) sogar an kleine Raketen erinnern. Der Raum, in dem der Pater den Orgelbauer und eigentlichen Helden der Oper, Amandus Herz, dazu verpflichtet, eine Riesenorgel zu vollenden, an deren Bau sein Vater gescheitert war, erinnert auf den ersten Blick an eine Klosterbibliothek. Bei näherem Hinsehen erweisen sich die vermeintlichen Bücherregale als lauter hochgeklappte und senkrecht aufgerichtete Sitze. Da sich der junge Orgelbauer mehr als Künstler denn als Handwerker versteht, fügt er den Orgelpfeifen einige hinzu, von denen er glaubt, dass sie nicht nur christlichen Kampfgeist in Fahrt bringen, sondern auch für Frieden und Versöhnung sorgen können. Als die Orgel, jener – warum auch immer so genannte – singende Teufel bei einem Angriff der Heiden auf die klösterliche Christenstellung zum Einsatz kommt, funktioniert das auch, denn die Heiden ergeben sich und gehen auf die Knie.

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Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Aber im Sinne von Amandus ist das nur die halbe Miete, denn der fanatische Pater Kaleidos lässt sie alle niedermetzeln. Die junge Lilian, die bei der atemberaubend im Graben und auf der Bühne zu einem wahren Orkan eskalierenden Sonnenwendfeier als Opfer quasi meistbietend auf ein Jahr versteigert werden sollte und der (besonders vom Ritter Sinbrand von Fraß, für den sich Pavel Kudinov ins Zeug legt) übel mitgespielt wird, hatte Amandus vor dem Überfall gewarnt und setzt nach dem Massaker an den Heiden das Kloster in Brand. Wobei die Orgel bzw. der singende Teufel seine letzten Töne von sich gibt.

Gibt es einen Gott?

Neben dieser äußeren Handlung auf Leben und Tod sind Schreker die Fragen nach dem Göttlichen und den Antrieben für Kreativität ein Anliegen, das in der ausdrücklich (von Amandus) gestellten und von einem maurischen Pilger (mit nein) beantworten Frage, ob es einen Gott gibt, mündet. Dass dann ausgerechnet Alardis ein recht menschliches Angebot jenseits eines einfachen ja oder nein macht, gehört zu den Fragen, über die sich auch heute noch nach dem Finale in einer Art Liebestod-Vereinigung von Amandus und Lilian trefflich nachdenken und diskutierten lässt.

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Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Szenenbild aus „Der singende Teufel“ am Theater Bonn

Mirko Roschkowski als Amandus und Anne-Fleur Werner als Lilian vermögen beide ihre innere Zerrissenheit eloquent zu beglaubigen, wobei sie sich immer auch gegenüber der auftrumpfenden Opulenz des großen Orchesters behaupten. Auch das übrige Protagonistenensemble, der aufgerüstete Chor, aber auch das vielschichtig zum Zuge kommende Tanzensemble leisten ihren Beitrag für eine begeisternde Inszenierung.

Theater Bonn
Schreker: Der singende Teufel

Dirk Kaftan (Leitung), Julia Burbach (Regie), Dirk Hofacker (Ausstattung), Max Karbe (Licht), Andreas K. W. Meyer (Dramaturgie), Cameron McMillan (Choreografie), Mirko Roschkowski, Anne-Fleur Werner, Tobias Schabel,  Dshamilja Kaiser, Pavel Kudinov, Carl Rumstadt, Tae Hwan Yun, Boris Beletskiy, Ava Gesell, Alicia Grünwald, Wooseok Shim, Hyoungjoo Yun, Algis Lunskis, Chor des Theater Bonn, Extrachor des Theater Bonn, Beethoven Orchester Bonn

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