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Opern-Kritik: Theater Dortmund – Le nozze di Figaro

Im Spiegelsaal

(Dortmund, 21.9.2025) Das gesellschaftliche Brodeln, der sich ankündigende Epochenbruch von Mozarts „Le nozze di Figaro“ glimmen in der Regie von Vincent Boussard allenfalls auf. Dafür kann der neue GMD Jordan de Souza an die besten Zeiten des Hauses anknüpfen.

vonMichael Kaminski,

Für die Gräfin ist es zu viel. Kaum hat der Gemahl Abbitte geleistet, sinkt sie in einem Schwächeanfall nieder und muss ins Fauteuil gebettet werden. Freilich nur, um sich final aufzuraffen, des Grafen dargereichte Hand zu erfassen und sich an seiner Seite gravitätisch auf Susannas und Figaros Hochzeit zu begeben. Was ihr bis dahin vom Gatten an Treulosigkeit und Rohheit widerfuhr, spielt Regisseur Vincent Boussard am Theater Dortmund über weite Strecken halbwegs präzise, doch wenig packend aus. Nicht anders die Vernetzungen und Verstrickungen der übrigen Personnage. Des Kammerdieners Aufbegehren, die Scharfsinnigkeit seiner Braut, Cherubinos erotische Ambivalenzen und des gräflichen Hausherrn privilegiensattes Betragen entsprechen dem, was regelmäßig landauf landab zu besichtigen ist. Solides Regiehandwerk halt. Das figurenimmanente und gesellschaftliche Brodeln, der sich ankündigende Epochenbruch von Mozarts „Le nozze di Figaro“ glimmen allenfalls auf. Davon Ablenkendes gewinnt die Oberhand.

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Boussard fährt auf Nebengleisen. So beobachtet der Chor omnipräsent und von hoher Warte aus, was sich zwischen den Figuren zuträgt. Mitunter fungieren einzelne seiner Mitglieder als Helfershelfer, indem sie Portale öffnen und schließen, um das Tür-auf-Tür-zu-Stück in Gang zu halten. Schon klar, wir sind im individual- und sozialpsychologischen Laboratorium mit seinen diversen Versuchsanordnungen. Nur regt sich auf dem Experimentierfeld eben wenig nicht ohnehin Geläufiges. Tennis spielen ist aufregender, das jedenfalls legt ein schon vor Einsetzen der Ouvertüre zwischen zwei nicht näher identifizierbaren Rokokopersönchen ausgetragenes Match nahe.

Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ am Theater Dortmund
Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ am Theater Dortmund

Vielfach reflektiert

Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann fasst die Spielfläche mit Spiegelwänden ein, was den Experimentatoren erlaubt, auch Seiten- und Rückansicht der Versuchspersonen zu beobachten. Selbstredend dürfen ferner die Probanden sich vielfach gespiegelt wahrnehmen. Ob das deren Reflexionen befördert, bleibt unerfindlich. Macht nichts, optisch reizvoll ist solche Multiperspektivität allemal. Zumal, wenn ebenso großflächige wie schlichte Vorhangbahnen die Szenerie höchst dekorativ drapieren. Womit Kostümbildnerin Clara Peluffo Valentini insbesondere die Damen bedenkt, darf unter Augenschmaus firmieren. Stilsicher zeigen sich Rokokomode und gegenwärtiger Chic kombiniert. Den Widerspruch von üppigem 18. Jahrhundert und heutigem Understatement hebt Peluffo Valentini in eleganter Synthese auf. Ab und an gar humorvoll. Marcellina wieselt neureich über die Bühne, Barbarina in einem neckischen Etwas zwischen Dessous und Cocktailkleid.

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Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ am Theater Dortmund
Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ am Theater Dortmund

In großer Dortmunder Musiktradition

Musikalisch ereignet sich im neuen Dortmunder „Figaro“ wiederholt Außerordentliches. Die erste Opernpremiere des neuen GMD Jordan de Souza lässt die Hochzeiten des örtlichen Klangkörpers unter de Souzas Vorgänger-Urahnen – den Pultgrößen Schüchter, Janowski und Wallat – wieder aufleben. Kultiviertheit bis in die letzte Note, erwogenste Dynamik und seidiger Streicherglanz zeichnen auch das Dirigat des neuen Chefs aus. Der beinahe romantische Impetus, mit dem de Souza an den „Figaro“ herangeht, nähert ihn dem Herkommen und der Tradition der Dortmunder Philharmoniker bedeutend an. Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Für Figaro gebietet Morgan Moody über seinen ebenso schlanken wie wendigen Bariton. Sooyeon Lee ist eine vokal quecksilbrige Susanna. Mandla Mndbeles Graf Almaviva vereinbart Triebhaftigkeit und Grandezza; Don Giovanni ist da nicht weit. Eheliche Liebe, Treue, Noblesse, Verletztheit und einige Melancholie beseelen die Gräfin der wunderbaren tief ins Gemüt greifenden Anna Sohn.

Ein Countertenor als Cherubino

Cherubino ist mit Maayan Licht besetzt. Der Countertenor verfügt über vokale Gaben, die ihn gewiss auf manchen Karrieregipfel führen werden. In Dortmund leistet er das stimmlich Möglichste, bringt sich auch spielerisch voll ein. Doch bleibt das erotische Fluidum auf der Strecke. Androgynität von der Frauenstimme aus gedacht unterscheidet sich offenbar fundamental von jener Androgynität, die aus der Männerstimme erwachsen kann.

Theater Dortmund
Mozart: Le nozze di Figaro   

Jordan de Souza (Leitung), Vincent Boussard (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Clara Peluffo Valentini (Kostüme), Nicolas Hurtevent (Video), Florian Franzen (Licht), Fabio Mancini (Chor), Mandla Mndebele, Anna Sohn, Sooyeon Lee, Morgan Moody, Maayan Licht, Ruth Katharina Peeck, Artyom Wasnetsov, Yoonkwang Immanuel Kang, Christian Pienaar, Tasmina Biber, Shinyoung Hwang, Dortmunder Philharmoniker, Opernchor des Theater Dortmund






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