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Opern-Kritik: Theater Lübeck – Salome

Psychische Abgründe

(Lübeck, 18.11.2022) Christiane Lutz‘ Inszenierung der „Salome“ am Theater Lübeck entpuppt sich als Erfolg – vor allem Dank einer starken musikalischen Besetzung.

vonAndré Sperber,

Eine Mutter, die nichts anbrennen lässt, ein lüsterner Stiefvater, der seiner eigenen Stieftochter nachstellt, selbstmörderisch naive Bedienstete und eine nicht minder moralisch verkommene, heranwachsende Hoftochter, die den abgeschlagenen Kopf eines fanatischen Propheten zum Lustobjekt deklariert – „lauter perverse Leute“, wie Richard Strauss einmal selbst über die Personenkonstellation seines Einakters „Salome“ äußerte – und sie alle haben nun Einzug ins Lübecker Theater gefunden.

Keine Wüstenpaläste, kein Hauch von orientalischem Exotismus. Regisseurin Christiane Lutz löst Ort und Zeit der Handlung aus dem biblischen Urkontext und verfrachtet die Kruditäten der Herrscherfamilie des Herodes in die Gegenwart. Eine gastronomische Küche, die sich über eine Schwingtür mit Bullauge an den großen Festsaal anschließt, ist zunächst Salomes Zufluchtsort vor den unangenehmen Gesellschaften, wird jedoch schließlich zur Austragungsstätte psychischer Abgründe. Mit den kahlen gefliesten Wänden ist es dort atmosphärisch ebenso kühl wie in den Haupträumlichkeiten. Lediglich ein runder Esstisch, eine abstrakte Deckenlampe und ein Wandsafe, in dem eine Pistole gelagert ist, bilden das sterile Interieur. Bühnen und Kostümbildner Christian Tabakoff verzichtet auf überflüssige Ausstattung, entzieht den Räumen damit bewusst jegliche Wohnlichkeit.

Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck
Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck

Faszination für das Verrucht-Verbotene

Salome, wohl der musiktheatrale Inbegriff einer Femme fatale, gibt sich in jugendlich-elegantem gold-schwarzem Jumpsuite und Turnschuhen als reiches, verzogenes, rebellisches Teenager-Gör, das lieber eine heimliche Zigarette unter der servierend umherwuselnden Dienerschaft raucht, als weiterhin den offensichtlich durch krumme Machenschaften zu Macht und Geld gekommenen Eltern und ihrer Gästerunde beizuwohnen. Ob man sich hier unter Mafiosi, Oligarchen oder zwischen Obrigkeiten des Zuhälter- und Drogenmilieus bewegt, sei dahingestellt. – Als plötzlich die düster schallende Stimme des in Gefangenschaft gehaltenen Propheten Jochanaan mit drohenden Weissagungen aus dem Off ertönt, beginnt Salomes Teenager-Trotz und ihre adoleszent-leichtsinnige Faszination für das Verrucht-Verbotene sich mehr und mehr in krankhaften, folgeschweren Wahnsinn zu verwandeln.

Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck
Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck

Ein Abend der kontinuierlichen Steigerungen

Nicht nur von der dramaturgischen Entwicklung des Geschehens, sondern auch von musikalisch-interpretatorischer Seite her ist die Lübecker „Salome“-Premiere ein Abend der kontinuierlichen Steigerungen. Im vollgepfropften Graben lassen GMD Stefan Vladar und das Philharmonische Orchester die Stimmen zunächst fließen, halten sich mit harten Kontrasten vorerst zurück, werden jedoch im Verlauf immer stärker, deutlicher und mutiger; lassen letztendlich die anspruchsvolle, gleichermaßen wuchtige wie filigrane Musik von Richard Strauss sich mit Kraft und Präzision eindrucksvoll entladen.

Auch das Gesangsensemble beginnt etwas zaghafter, taut jedoch immer mehr auf und scheint sich letztlich in den Figuren zu verlieren. Allen voran natürlich die vom Publikum enorm gefeierte Evmorfia Metaxaki, die nicht in die verlockende Falle tappt und ihren schillernden Sopran – wie viele andere in dieser Rolle – „überdramatisiert“, sondern eine gewisse (positiv gemeinte) Unreife, Leichtigkeit und Coolness beibehält. Damit schafft sie eine wirklich glaubhaft jugendliche Salome, die einerseits extrem abgebrüht und selbstbestimmt, andererseits schlichtweg ein naives, es-nicht-besser-wissen-könnendes Opfer erzieherischer Nachlässigkeit ist.

Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck
Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck

Bariton Bo Skovhus verliert in seinem Rollendebüt den Kopf

Auch den berühmten Tanz der sieben Schleier, bei dem die Fallhöhe einer ernstzunehmenden Performance bekanntlich hoch ist, meistert Metaxaki gekonnt in einer taumelnden, zugleich Bedrängnis erzeugenden Tabledance-Choreografie. Tenor Wolfgang Schwaninger als übergriffiger Lustmolch Herodes mit blauem Anzug und Goldketten, der Salome überhaupt erst zu dieser Tanzeinlage gedrängt hat, genießt gekonnt sein Unsympathen-Dasein und lässt die Schmierig- und Erbärmlichkeit seiner Figur auch im Gesang angemessen durchkommen. Seine Frau Herodias, hinter der reichen Fassade von Wein und Leben gezeichnet, wirkt durch die dunkelgefärbte Stimme Edna Prochniks, die, wie der Großteil des ganzen Ensembles, auch schauspielerische Lebendigkeit an den Tag legt.

Ein wenig grob, aber stimmlich mit grandioser Kraft und Fülle, im Auftritt allerdings wiederum etwas exzentrisch kommt Bariton Bo Skovhus in seinem Rollendebüt als Prophet Jochanaan daher, der später seines Kopfes verlustig wird. Während er die meiste Zeit aus dem Off singt, überschreitet er die Bühne bei seinen Auftritten meist in mechanisch-militärischem Gang.

Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck
Szenenbild aus „Salome“ am Theater Lübeck

Hörenswertes Opernereignis

Die Zeichnung seiner Figur bleibt ein wenig fraglich, ebenso einige andere kleine Momente der Inszenierung: Auftauchende Schattenprojektionen, Darstellungen von erzählenden Standbildern im Hintergrund sowie die Verwendung von verschiedenen Symbolen (etwa schwarzen Vogelfedern, des leuchtenden „Mondscheiben-Tabletts“ oder „verbotenen Früchten“) sorgen hin und wieder für die Eröffnung einer Metaebene, die zwar irgendwie erklärbar ist, sich jedoch nicht so ganz in die sonst eher klar geführte Regielinie von Christiane Lutz einfügt. Dem Gesamtkonzept tut dies aber keinen größeren Abbruch, sodass sich die Lübecker „Salome“ als ein durchaus sehenswertes und vor allem hörenswertes Opernereignis entpuppt.

Theater Lübeck
R. Strauss: Salome

Stefan Vladar (Leitung), Christiane Lutz (Regie), Christian Tabakoff (Bühne & Kostüme), Jan-Michael Krüger (Chor), Falk Hampel (Licht), Evmorfia Metaxaki, Wolfgang Schwaninger, Edna Prochnik, Bo Skovhus, Yoonki Baek, Frederike Schulten, Gustavo Mordente Eda, Mark McConnell, Tomasz Myśliwiec, Svjatoslav Martynchuk, Benedikt Al Daimi, Lucas Kunze, Laurence Kalaidjian, Christoph Schweizer, Laurence Kalaidjian, Chul-Soo Kim, Valentina Rieks, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

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