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Opern-Kritik: Theater Magdeburg – Tannhäuser

Zwischen Archaik, Oberammergau und Sandalenfilm

(Magdeburg, 14.9.2025) Die Britin Adele Thomas inszeniert „Tannhäuser“ nicht nur demütig und brav am Libretto entlang, sondern auch mit sanfter Ironie und in einem höchst unterhaltsamen flotten Tempo.

vonPeter Krause,

Die ersten Bilder des Abends – kommen aus dem Orchestergraben des Theater Magdeburg. Richard Wagners Vorspiel zwischen erhabenem christlichem Choral der ach so moralischen Minnesänger und unartig flirrender Sinnlichkeit des Venusbergs bleibt auf der Bühne noch ganz ohne szenischen Kommentar. So stellte es sich der Komponist in der Tat einst vor – schließlich wollte er sein Publikum zunächst mit den kontrastierenden musikalischen Kerngedanken vertraut machen, bevor dann die Handlung des „Tannhäuser“ ihren Lauf nimmt. Die Magdeburgische Philharmonie lässt denn auch mit diesen Klangbildern sogleich aufhorchen: so weich schmelzend sind die Blechbläser ausbalanciert, so bedacht ist der Mischklang zwischen Streichern und Holzbläsern ausgearbeitet, ohne dabei freilich je eine Instrumentalstimme zu verwischen. Gastdirigent Erik Nielsen ist ein Wagnerkenner und Wagnerkönner – das wird gleich mit den ersten Takten deutlich, die eben allein der Musik und ihrer ureigenen Bildkraft gehören.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg

Werkschöpfer Wagner beim Wort genommen

Regieteams freilich missachten heute meist diesen dramaturgischen Bauplan der Ouvertüre – und fallen bereits visuell assoziativ mit der Tür ins Haus, als dieses doch erstmal mit den Mitteln der Musik erbaut sein will. Adele Thomas aber macht das anders. Bei ihrem Deutschlanddebüt, das zugleich ihr Wagnerdebüt ist, nimmt die vielfach ausgezeichnete Britin den Werkschöpfer beim Wort – und verblüffend ernst. Keine Brechung mit der Brechstange, kein feministisches Infragestellen des Frauenbildes, das beim späteren Bayreuther Meister in seinen überschwänglichen Sturm- und Drangzeiten noch durch und durch romantisch und – nun ja – für einen in jungen Jahren dezidiert linken Revoluzzer doch auch erstaunlich konventionell war. Doch die Regisseurin bedient eben keineswegs schlicht, was das Libretto will, sondern hinterfragt sehr wohl, was da so zwischen den Zeilen steht.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg

Liebesgöttin Venus als Schutzmantelmadonna im heiligen Marien-Blau

Gleich der erste Auftritt birgt einen Irritationsmoment. Denn die Frau, die da dem Herrn Tannhäuser ihre Hand reicht, kann doch wohl nur dessen spätere Erlöserin Elisabeth sein. Wie eine Schutzmantelmadonna im heiligen Marien-Blau, das die christliche Ikonografie mit der Gottesmutter gleichsetzt, erscheint da zu Beginn am rechten Portal, an dem die Titelfigur kauert. Doch statt die Hand der Frau zu ergreifen, distanziert sich der Mann, reicht ihr stattdessen einen vertrockneten Zweig, schließlich sehnt er sich (hier unten im Lusttempel der Venus) nach dem frischen Grün der Au seiner Sangesbrüder von der Wartburg. Es braucht eine Weile, bis wir kapieren: Die Dame ist gar nicht die Heilige Elisabeth, sondern die sündige Liebesgöttin Venus, die sich im Marien-Gewand gleichsam mit einem Heiligenschein schmückt, der ihr eigentlich gar nicht zusteht.

Wo Regisseure sonst eher umgekehrt nahelegen, dass auch die keusche Elisabeth das menschliche Sehnen nach Sinnlichkeit kennt, bewirkt Adele Thomas die umgekehrte Umwertung: Die beiden Frauen des Heinrich Tannhäuser stehen sich nicht strikt kontrastierend gegenüber, sondern sind Inkarnationen des Urweiblichen – der Archetypen gleichsam. Wenn Venus, die wir nun als solche erkennen, im Duett mit Tannhäuser ihr heiliges Gewand ablegt, kommt darunter eine Frau der multiplen üppigen Rundungen zum Vorschein – eine Art Wiedergängerin der Venus von Willendorf, mithin jener fast 30.000 Jahre alten fülligen Frauenfigur aus Kalkstein, die als Ikone der Steinzeit das weibliche Prinzip in all seiner Archaik zeigt. Wie an der Urmutter höchstselbst saugt Tannhäuser nun an ihren Brüsten. Wagner und der Mythos: Hier wagt die Regisseurin dessen nachgerade ungeschminkte Darstellung ohne zeitgenössische Übersetzung – und irritiert damit womöglich mehr, als jede handelsübliche zeitgeistige Anverwandlung dies sonst tun würde.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg

Die überzeitliche Sprengkraft des Werks

Statt überdeutlichem Psychologisieren oder Aktualisieren punkten Adele Thomas und ihre Ausstatterin Cécile Trémolières mit einprägsamen poetischen Bildern, die sich durch den ganzen Abend ziehen: Der frisch ergrünende, respektive zunächst vertrocknete Zweig gehört dazu, den der in allen drei Akten präsente Hirt (Elvire Beekhuizen mit besonders feinem Sopran) von einem imaginativ ausgeleuchteten Baum bricht. Bereits in der Jagdgesellschaft des ersten, dann besonders im Sängerkrieg des zweiten Aufzugs setzt das Regieteam auf ein mit fast filmischer Liebe zum Detail ausgestaltetes Mittelalter: Da hat die Kostümabteilung in Magdeburg detailfreudig Grandioses geleistet. Doch geht es hier nicht um ein plumpes Historisieren, sondern darum, im librettokonformen Kontext die überzeitliche Sprengkraft des Werks zu verdeutlichen. Somit vom Kernkonflikt der Titelfigur zu erzählen – Tannhäuser zwischen der Hoffnung auf gesellschaftliche Anerkennung und dem Drang nach individueller, auch künstlerischer Selbstverwirklichung zu zeigen. Die Mittel dazu heißen Ironie, klug sensible Überzeichnung, ohne dabei je zu desavouieren, und durchaus auch ein fesselndes wie humorvolles Erzähltempo. Da schmunzelt man schon auch immer wieder über die Schrulligkeiten der Minnesänger, ärgert sich aber auch über deren Ausgrenzung eines Unangepassten.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg

Die finale Pointe zur Geschlechterfrage

Wenn die Wartburggesellschaft im dritten Aufzug vom per pedes absolvierten Pilgerzug nach Rom zurückkehrt, sieht das mit dem schwer auf den Schultern lastenden Kreuz eines Chorsängers zwar verdächtig nach Oberammergaukitsch aus. Doch die Mischung der Mittel zwischen Archaik und Sandalenfilm, zwischen intensiv ausgekosteten Blicken zwischen den Figuren und der energetischen Entfesselung der Sängerdarsteller bewirkt da im Kostüm des Mittelalters sehr wohl einen Bezug zur Gegenwart. Am Ende gar mit einer Pointe zur Geschlechterfrage: Die tote Elisabeth steht von ihrer Bahre auf, reicht Tannhäuser eine weiße Lilienblüte – und distanziert sich, reiht sich quicklebendig in den Kreis der Chordamen ein. Tannhäuser stirbt.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus „Tannhäuser“ am Theater Magdeburg

Metropolenformat trifft Ensembletheater

Die Sängerleistungen lassen bei alldem nicht an ein mittelgroßes Haus in Mitteldeutschland denken. Da trifft Metropolenformat auf gediegenes Ensembletheater. James J. Kee ist seit seinem Debüt als Tannhäuser bei den Opernfestspielen Heidenheim in die Heldentenöre sonst zittern lassende Partie enorm hineingewachsen. Die Intensität seiner Expression ist jetzt technisch noch besser abgesichert. Kee gibt alles, muss nicht sparen, kommt locker durch den Abend. Aurora Marthens ist eine Elisabeth wie aus dem Bilderbuch – mit ihrem natürlich schwingenden jugendlich dramatischen Sopran, der hellen Höhe in der Hallenarie, der Piano-Innigkeit im Gebet. Jadwiga Postrożna ist eine pastos girrende Venus, Johannes Stermann ein Landgraf von selten gewordener Basswürde. Marko Pantelić als Tannhäusers empathischer Freund Wolfram bietet zwar nicht den betörenden Baritonbalsam und die stimmliche Variabilität der Farben großer Rollenvertreter, dafür kommt die Schlichtheit seiner vokalen Anlage der Glaubwürdigkeit der Figur sehr entgegen.

Theater Magdeburg
Wagner: Tannhäuser

Erik Nielsen (Leitung), Adele Thomas (Regie), Cécile Trémolières (Ausstattung), Emma Woods (Choreografie), Esther Beisecker (Dramaturgie), Johannes Stermann, James J. Kee, Marko Pantelić, Aleksandr Nesterenko, Giorgi Mtchedlishvili, András Adamik, David Howes, Aurora Marthens, Jadwiga Postrożna, Elvire Beekhuizen, Opernchor des Theater Magdeburg, Magdeburger Singakademie, Magdeburgische Philharmonie




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