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Opern-Kritik: Theater Osnabrück – Wallenstein

Zwischen den Fronten

(Osnabrück, 10.6.2023) Jaromír Weinbergers Oper verbucht einen Sieg auf ganzer Linie: für Schiller, für Weinberger selbst, für das Musiktheater und sein begeistertes Publikum!

vonJoachim Lange,

Für seine Wallenstein-Umrundung brauchte Frank Castorf neulich in Dresden über sieben Stunden. Nur Peter Stein war da 2007 mit seiner in Stein gehauenen Treue zum Schillerwort in Berlin mit zehn Stunden noch länger. Wie man die Schiller-Trilogie auf eine zweieinhalb Stunden dauernde Opern-Version eindampfen kann, die dem Publikum trotzdem das Gefühl vermittelt, dass nicht nur der zwischen Kaisertreue und Verrat schwankende Herzog zu Friedland seine Pappenheimer kennt (was sich ja am Ende als Irrtum erweist), sondern auch das Publikum „seinen“ Schiller zumindest wiedererkennt, das demonstriert jetzt das Theater Osnabrück mit einer Wallenstein-Oper.

In dem von Max Brod ins Deutsche übertragenen Libretto dampfte Miloš Kareš die Schiller-Trilogie auf sechs Szenen ein. Die Musik zu der 1937 (kurz vor der Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland) noch in Wien uraufgeführten Oper stammt vom 1896 in Prag geborenen jüdischen Komponisten Jaromír Weinberger. Der überlebte den Holocaust in den USA und beging dort 1967 Selbstmord.

Rückkehr aus dem Exil des Verschweigens

Obwohl bei der Uraufführung in Wien mit Potential zum Erfolg, ist sie erst vor ein paar Jahren aus jenem Exil des Verschweigens zurückgekehrt, für das die Nazis bei so vielen Werken leider ziemlich nachhaltig gesorgt haben. Der Deutschen Erstaufführung durfte sich das Theater Altenburg-Gera im Schiller-Jahr 2009 rühmen. Mit dem CD-Mitschnitt einer konzertanten Aufführung unter Cornelius Meister komplettierte Wien diesen Akt historischer Wiedergutmachung. Auch für den scheidenden Intendanten der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, gehört sein Einsatz (u.a. mit der Wiederentdeckung der Operette „Frühlingsstürme“, die 1933 ein Hit war) für das Werk des einst so erfolgreichen Komponisten von „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ auf die gut gefüllte Habenseite seiner Berliner Intendanz.

Szenenbild aus „Wallenstein“ am Theater Osnabrück
Szenenbild aus „Wallenstein“ am Theater Osnabrück

Vom Wahnsinn des Krieges

In seiner Inszenierung vertraut der Osnabrücker Hausherr Ulrich Mokrusch zu Recht darauf, dass dieser Oper, die stellenweise wie ein Erlebnisbericht aus einem der Hauptquartiere zwischen den Fronten wirkt, der Wahnsinn des Krieges per se eingeschrieben ist. Schon weil Weinberger offenbar ein Gefühl dafür hatte, in einer Vorkriegszeit zu leben. Noch vor dem Einsetzen der Musik heulen jetzt Luftalarmsirenen. Eine stumme, völlig verstörte stumme Kattrin (in einem Einkaufswagen mit einer Blechtrommel wie Oskar Matzerath) und eine Marketenderin (Olga Privalova), die sie wie Mutter Courage vor den Soldaten schützt, irren über ein mit Toten übersätes Trümmerfeld.

Mehr als diese anspielenden Seitenblicke in die Theatergesichte(n) des Krieges und unserer Gegenwart sind nicht nötig, um die Relevanz dieses Stoffes zu belegen. Bei diesem Auftakt mit dem Einblick in das Lager Wallensteins ist Weinberger mit chorischem Säbelrasseln musikalisch so deftig, wie es Schiller mit Worten ist. Ausgerechnet wenn der Kapuziner (Eric Rousi überzeugt dabei genauso, wie dann als gradliniger Dragoner-Oberst Buttler) den Soldaten eine Standpauke hält und dabei auch den Gott des Lagers angreift, streift Weinberger im Orchester hörbar die Moderne.

Eine zeitlose Trümmerwüste und die Anmutung von dauernder Bedrohung

Den Ausstattern Okarina Peter und Timo Dentler ist es schlüssig gelungen, vor einem düsteren Halbrund eine zeitlose Trümmerwüste und die Anmutung von dauernder Bedrohung zu installieren. Die Zeit ist aus den Fugen bzw. der Boden wie Eisschollen aufgebrochen. Wenn das Halbrund an der Rampe als Fassade den Spiel-Raum begrenzt, dann beglaubigt diese Enge zudem die Atmosphäre für Intrigen. Vor allem für die geheimen Absprachen zwischen Questenberg und dem vom Hof als Ersatz für Wallenstein vorgesehenen Generalleutnant Octavio Piccolomini. Wolfgang Newerla, der mit vollem Einsatz bis an die Grenzen seiner vokalen Möglichkeiten geht, macht aus ihm ein gradliniges, aber ebenso ehrgeiziges Pendant zu Wallenstein. Er wird am Ende zum Opfer seiner Loyalität zum Kaiser. Er verliert Sohn Max, weil der sich aus Verzweiflung mit seinen Pappenheimern in eine Schlacht gestürzt hat, die er nicht überleben konnte.

Szenenbild aus „Wallenstein“ am Theater Osnabrück
Szenenbild aus „Wallenstein“ am Theater Osnabrück

In den folgenden fünf Bildern steht Wallenstein selbst im Zentrum – und da wird das aufgewühlte Stimmungsbild zum Intrigenspiel. Wallensteins geheime Verhandlungen mit den Schweden sind aufgeflogen, und der Druck auf ihn, sich offen für den Seitenwechsel vom Kaiser zu den Schweden zu entscheiden, wächst. Vor allem sein Vertrauter Illo (Jinxin Chen) und seine Schwester Gräfin Terzky (mit einer Vehemenz, die manchmal den Überdruck streift: Susann Vent-Wunderlich), aber auch der schwedische Gesandte (Aljoscha Lennert spielt auch den kaiserlichen Gesandten Questenberg mit der Geste eines ehrgeizigen Emissärs aus) machen Druck.

Das emotionale Salz in der Opernsuppe

Wallensteins Entschlossenheit wird nicht nur durch seine Zweifel (bzw. Sternengläubigkeit) gebremst. Vor allem der junge Idealist Max Piccolomini würde dem Seitenwechsel nicht folgen. Er macht sich zudem Hoffnungen auf die Hand von Wallensteins Tochter Thekla, die der Vater aber für einen europäischen Königsthron vorgesehen hat. Dass aus der Liebe von Max und Thekla nichts werden kann, ist so klar, wie als emotionales Salz in der Opernsuppe unentbehrlich und willkommen. Wobei James Edgar Knight seinen Max Piccolomini wie einen extravaganten Showstar (der es modisch etwas ausgefallen liebt und seine Nägel dunkel lackiert) mit der ganz großen Opern- bzw. Operettengeste präsentiert. Als Thekla hält Jelena Brankovic vor allem mit (eine Spur zu) hochdramatischen Spitzentönen mit.

So als wollte Kares die Zuschauer bei der Stange halten, tauchen die populärsten Schillerzitate des Stücks auch im Libretto auf. Auch das von der Nacht, die sein muss, wenn Friedlands Sterne strahlen. Was sich übrigens in der Bühne im wahrsten Wortsinn widerspiegelt, wenn die angekippte runde Spiegeldecke die Kerzen auf dem zertrümmerten Boden zu einem Sternenhimmel in der Höhe macht. Bei diesem umfangreichen Protagonisten-Ensemble ist zwar nirgends Nacht, aber der Friedland strahlt schon etwas heller als die anderen. Hans Gröning ist der Wallenstein-Glücksfall schlechthin. Mit tadelloser Diktion, die keinen Selbstzweifel, kein Schwanken unterschlägt, liefert er ein Musterbeispiel von deklamatorischer Eloquenz. Bei ihm versteht man nicht nur, was er singt, sondern, dank der Noblesse seiner Erscheinung obendrein, was er meint.

Szenenbild aus „Wallenstein“ am Theater Osnabrück
Szenenbild aus „Wallenstein“ am Theater Osnabrück

Weinberger führt vor, was er drauf hat, und das ist eine Menge

Die Musik Weinbergers ist kein Versuch, die Gipfel atonaler Moderne zu stürmen, nicht mal einer, den Weg dorthin zu beschreiten. Er findet aber auch auf dem eher konventionellen Weg einen eigenen Sound, voller Abwechslung und letztlich auch mit einem Parlandostil, der die langen Debatten dem musikalischen Strom einverleibt.  Es gibt volkstümliche Anklänge im Lager-Bild, die martialischen Soldatengesänge bis hin zu eingängiger Marschmusik (mit dem Pappenheimer-Marsch als Sahnehäubchen), aber auch Bezüge auf den in den 30er Jahren modischen Songstil. Weinberger führt vor, was er drauf hat, und das ist eine Menge. Damit vermag er den Zuschauer bei der Stange zu halten, auch wenn man den einen oder anderen Reim oder manche Sequenz für Parodie halten könnte.

Dass solche Ausgrabungen für das Theater in einer der Städte, in denen einst der Westfälische Frieden ausgehandelt wurde, schon wegen des Ressourceneinsatzes Chefsache ist, versteht sich für die Bühne genauso wie für den Graben. Andreas Hotz animiert die Osnabrücker Symphoniker zu Höchstleistungen. Sierd Quarré sorgte beim Chor für die entsprechende Kampfbereitschaft. Auch wenn die Bühnenhelden so oder so auf der Strecke blieben, die Oper Osnabrück konnte (mit ganz kleinen Einschränkungen durch Übereifer) auf ganzer Linie einen Sieg verbuchen. Für Schiller, für Weinberger, für das Musiktheater und sein begeistertes Publikum!

Theater Osnabrück
Weinberger: Wallenstein

Andreas Hotz (Leitung), Ulrich Mokrusch (Regie), Bühne, Kostüme: Okarina Peter, Timo Dentler (Ausstattung), Juliane Piontek (Dramaturgie), Hans Gröning, Wolfgang Newerla, James Edgar Knight, Susann Vent-Wunderlich, Erik Rousi, Aljoscha Lennert, Jan Friedrich Eggers, Olga Privalova, Sunghan Lee, Mario Lee, Seokwon Oh, Opernchor des Theater Osnabrück, Osnabrücker Symphonieorchester

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