Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Eine Reise in die Welt des Unwirklichen

Opern-Kritik: Wiener Staatsoper – Tannhäuser

Eine Reise in die Welt des Unwirklichen

(Wien, 22.5.2025) Mit einem neuen „Tannhäuser“ als letzte Premiere der Spielzeit beschließt Philippe Jordan seine Zeit an der Wiener Staatsoper fulminant und geistreich. Passend dazu lässt Regisseurin Lydia Steier die Regiekorken knallen.

vonPatrick Erb,

Leicht bekleidete Menschen tanzen eng umschlungen, ausgelassen und in bester Feierlaune. Alles ist in rotes, grünes und braunes Licht getaucht. Der Ernst der „realen“ Welt scheint in dieser Kunstsphäre ebenso wenig von Belang wie Geschlecht oder Kleidung – oder das, was Letztere auszudrücken vermag. Die Musik pulsiert, ist eruptiv, lebendig, ein wenig verrucht. Ja, ein Venus-Bacchanal an der Wiener Staatsoper ist orgiastisch, nebulös, ekstatisch – ein Ort, an dem man sich gerne verliert.

Anzeige

Doch gibt es im „Tannhäuser“ eine zweite Welt, die den Titelhelden nicht loslässt, der er sich nicht entziehen kann: eine Sphäre aufrichtiger Liebe, belebender Natur, geistigen Ernstes und christlicher Tugend – die Welt der Wartburg und ihrer Sänger. In diesem inneren Zerwürfnis Tannhäusers offenbart sich jener Grundkonflikt Richard Wagners, der ihn bis zu seinem Lebensende begleiten sollte: die Frage, ob die Kunst als wahre Religion an die Stelle des Christentums treten könne. Eine Frage, die Nietzsche zumindest bis zum „Tristan“ bejahte, bevor „Parsifal“ ihn einer bitteren Ernüchterung zuführte.

Zwischen zwei Welten zerrissen

Im „Tannhäuser“ herrschen indes beide Sphären – und zerren an der Weltauffassung des Helden. Diese Spannung lotet Regisseurin Lydia Steier mit sicherem Gespür aus. Anders als Claus Guths vorherige Wiener Inszenierung, die sich an der Dresdner Urfassung orientierte, entschied man sich nun für ein Amalgam aus der Pariser und der späten Wiener Fassung – ein Zugriff, der die Kontraste erst voll zur Geltung bringt.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper
Szenenbild aus „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper

Das Bacchanal gerät zur Hommage an die rastlose Tanzkultur der Berliner 1920er Jahre. Der opulent gestaltete Venusberg (Bühne: Momme Hinrichs und Alfred Mayerhofer) evoziert Schauplätze wie das Moka Efti, sinnlich aufgeladen mit dem Varietéflair eines Moulin Rouge, komplett mit bunten Tänzerinnen und Tänzern. Eindrucksvoll ist vor allem das fledermausartige Rippengewölbe, hinter dem ein künstliches Gewitter aufzuleuchten scheint – Sinnbild für das Dionysische der Musik, das Rauschhafte, Kontrolllose.

Dem entgegen steht die Wartburg des zweiten Aufzugs, ein Kontrast, der folgerichtig das Apollinische spiegelt – geordnet, rational, sittlich erhöht. Auch hier zeigt Steier ein Unterhaltungsetablissement, diesmal jedoch im klassizistischen Ernst der späten 1930er Jahre. Theater und Realität verschwimmen: Es bleibt zunächst unklar, ob die Figuren den Sängerkrieg nur spielen – oder ob der Konflikt tatsächlich entbrennt. Im dritten Aufzug kulminieren die Gegensätze. Nur noch die Rückseite der Wartburg ist zu sehen sowie ein fragmentarisches Marienbild. Es ist ein entkernter Ort, wie auch Tannhäuser selbst, der als reuiger Pilger aus Rom zurückkehrt und sichtlich desillusioniert ist.

Anzeige

Hausdebüt mit epochaler Stimme

Claire Hilley, der an diesem Abend sein Hausdebüt gab, verkörpert diese innere Leere mit gewaltiger Stimme und versierter Phrasierung. Im ersten Aufzug gelingt es ihm jedoch nur bedingt, die Zerrissenheit seiner Figur – die zermürbende Sehnsucht und das Gefühl, nirgends dazuzugehören – vollends darstellerisch zu fassen. Doch er spielt sich frei, nicht zuletzt durch seine sichtliche Unlust am inszenierten Sängerkrieg mit Mittelalterkleidung und Perücke.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper
Szenenbild aus „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper

Ekaterina Gubanova gibt in dieser Produktion die nocturnale Venus. Ihr klanglich ausgewogener, kraftvoller Mezzosopran überzeugt im Auftakt, gerät aber gegen Ende der Venusberg-Szene ins Stolpern. Das von Jordan angeschlagene Tempo gerät zur Herausforderung. Gerade die süßlichen, verlockenden Töne der Venus verlangen da nach mehr Zurückhaltung.

Glanzlichter des Abends: Groissböck und Byström

Die vokale Glanzleistung des Abends liefern Günther Groissböck und Malin Byström. Groissböck überzeugt als blasiert-affektierter Landgraf Hermann, der zwischen Fürst, Conférencier und dekadentem Clubbesitzer changiert. Mit warmem Bass und wohlartikuliertem Vortrag buhlt er mit erhobener Brust und verschmitztem Lächeln um Aufmerksamkeit und um Elisabeth. Diese erhält durch Malin Byströms beeindruckend dunklen, angenehm weichen Sopran eine erschütternde Tiefe. Ihre Interpretation der Elisabeth trifft ins Mark. Bedauerlich, dass Ludovic Tézier als Wolfram absagen musste. Martin Gantner übernimmt souverän, doch fehlt es seiner Interpretation besonders in der Abendstern-Kantilene an jener inneren Wandlung vom nüchternen Beobachter zur innigen, fast dionysischen Figur, die dieser Moment verlangt.

Szenenbild aus „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper
Szenenbild aus „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper

Über aller Kritik thront schließlich Philippe Jordan, dessen Interpretation eine dramatisch präzise Exegese des Werks darstellt. Schon die Ouvertüre setzt Akzente: tänzerische Eleganz trifft auf brachiale Ausdruckskraft. Jordan legt Wert auf Elan, weiß das Geschehen aber auch immer wieder gezielt bis zum Innehalten zu verlangsamen. Kaum ein Orchester kann dabei aus dem piano derart gezielt ins forte übergehen wie das Wiener Staatsopernorchester. Ein gelungener, zeitgemäßer „Tannhäuser“, der den zentralen Konflikt geschmackvoll in Szene setzt. Den wenigen obligatorischen Buhrufen stand ein aufgeschlossenes, zufriedenes Publikum entgegen.

Wiener Staatsoper
Wagner: Tannhäuser

Philippe Jordan (Leitung), Lydia Steier (Regie), Momme Hinrichs (Bühne & Video), Alfred Mayerhofer (Bühne & Video), Elana Siberski (Licht), Tabatha McFadyen (Choreografie & Regiemitarbeit), Thomas Lang (Chor), Günther Groissböck (Landgraf Hermann), Clay Hilley (Tannhäuser), Wolfram von Eschenbach (Martin Gantner), Daniel Jenz (Walther von der Vogelweide), Simon Neal (Biterolf), Lukas Schmidt (Heinrich der Schreiber), Marcus Pelz (Reinmar von Zweter), Malin Byström (Elisabeth), Ekaterina Gubanova (Venus), Ilia Staple (Ein junger Hirt),






Auch interessant

Rezensionen

Anzeige
  • „Kein Stress bei Bach!“
    Interview Kian Soltani

    „Kein Stress bei Bach!“

    Cellist Kian Soltani über den richtigen Zeitpunkt für bestimmte Stücke, jahrelange Weihnachtsvorbereitungen und über Wettkämpfe an der Spielekonsole.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!

Anzeige