Opern-Kritik: Theater Lübeck – Don Carlo

Strenge, packende, beklemmende Intensität

(Lübeck, 8.11.2013) Mit Verdis Don Carlo glückt am Theater Lübeck nach der Ära Brogli-Sacher die Stabübergabe an GMD Ryusuke Numajiri – mit gesteigertem szenischen Wagemut

© Oliver Fantitsch

Yoonki Baek (Don Carlo, Infant von Spanien)

Es gibt kein Entrinnen. Drei graue Wände ohne jede Türöffnung begrenzen die Spielfläche. Das ist der Albtraum eines Gefängnishofes in einer handelsüblichen Diktatur von einst und heute. Zwei Abgänge gibt es hier, natürlich nur nach unten. Aus dieser Kellergruft schleicht das ziemlich bleiche Personal dieses Don Carlo vorsichtig empor, Damen in Korsagen und Reifröcken der Renaissance, strengen Frisuren und eingefrorenen Blicken, die stets zweierlei suggerieren: bloß nicht auffallen und gleichwohl neugierig lauschen und lugen, wer hier denn gerade gegen wen einen Moment des Aufbegehrens und Intrigierens wagen könnte. Fast nie befindet sich ein Protagonist allein auf der Bühne. Die Überwachung funktioniert perfekt.

Welch‘ eine strenge Intensität herrscht in der Inszenierung von Sandra Leupold, die am Theater Lübeck ganz tief in die Abgründe dieses dunklen Verdi-Werks schaut. Und in ihrer ganz konsequenten, ganz präzisen und ganz aus dem Geist und den Farben des Stücks abgeleiteten Regiearbeit ihr Publikum immer wieder verstört, das der beklemmenden Spannung dieses grandiosen Abends am Ende mit einer Buh-Salve Luft macht. Doch ganz anders als in ihrer missglückten, leider nur lächerlichen Hamburger Lucia di Lammermoor dürfen die Reaktionen hier dafür gewertet werden, dass die Regisseurin mit einem kompromisslos klaren Ruth Berghaus-Scharfsinn den wahren Kern des Don Carlo herausgeschält hat. Und der hat mit reiner melomanischer Schönheit eben wenig zu tun.

Gespielt wird an der Trave die vieraktige italienische Version des Meisterwerks. Der Verzicht auf den einleitenden Fontainebleau-Akt, in dem Elisabeth und Carlo sich in Liebe erkennen, stützt die Dramaturgie dieser Lesart. Denn die Illusion dieser Beziehung ist ganz zu Beginn bereits Vergangenheit: „Ich habe sie verloren“, sind Carlos erste Worte. Verloren an den eigenen Vater, König Philipp. Politische Strategie schlägt privates Glücksversprechen – Verdis zentraler Beweggrund seines Opernschaffens wird mit düsterer Logik durchexerziert. Und von enorm starken Sängerdarstellern getragen.

Carla Filipcic Holm ist mit ihrem aufregend spröden, dramatisch großen Sopran eine Elisabeth, die aus dem ihr aufgezwungenen Korsett erst ganz spät ausbricht, als sich am Ende die Vision eines Liebestods mit Carlo auftut. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. (Und es ist eine schöne Spielplan-Pointe, dass Wagners Tristan und Isolde derzeit an der Trave parallel zu Verdis Oper zu erleben ist!) Mitleiderregend entstellt ist ihre Gegenspielerin Eboli: Sanja Anastasia gibt die Prinzessin nicht einfach als böse Hexe, sondern als tragisch Ungeliebte, als Erniedrigte, die sich rächt – ihr „O don fatale“ ist eine Wucht.

 

Als fast schon väterlichen Freund des Infanten, den Yoonki Baek als verzogenen, verrückten, verstörten, des Regierens fürwahr unfähigen Infantilen spielt, legt Gerard Quinn den Posa an: Lübecks Ensemblemitglied liefert die beste gesangliche Leistung unter der männlichen Hauptrollen ab. Sein Bariton verströmt ungekünstelte Wahrheit, Ehrlichkeit. Quinn weiß, wo piani in der Partitur stehen und singt sie substanzreich und legatofein. Er gestaltet klug und differenziert. Einen ungewöhnlich jungen König gibt Shavleg Armasi mit herrischem Bass-Bariton, einen rabenschwarzen Inquisitor der Bass Taras Konoshchenko.

Und der neue Generalmusikdirektor, der mit dieser Premiere seinen Einstand gab? Ryusuke Numajiri entfaltete mit Lübecks Philharmonikern einen saftig zupackenden, aus dem Geist des Gesangs entwickelten Verdi-Klang. Er hörte weniger die ganz dunklen Farben der Partitur aus, als dass er deren dramatischen Furor entfesselte. Mit gewohnt hohem musikalischem Niveau und gesteigertem szenischem Wagemut ist die Stabübergabe nach der Ära Brogli-Sacher ganz deutlich geglückt.

Theater Lübeck

Verdi: Don Carlo

 

Ausführende: Ryusuke Numajiri (Leitung), Sandra Leupold (Inszenierung), Stefan Heinrichs (Bühne), Jessica Rockstroh (Kostüme), Carla Filipcic Holm, Sanja Anastasia, Yoonki Baek, Gerard Quinn, Shavleg Armasi, Taras Konoshchenko, Chor und Extrachor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Termine: 14.11., 18:00 Uhr; 23.11., 19:00 Uhr; 15.12., 18:00 Uhr; 25.12., 18:00 Uhr; 10.1., 19:00 Uhr; 2.2., 16:00 Uhr; 15.2., 19:00; 6.3., 19:00 Uhr; 14.3., 19:00 Uhr; 22.3., 19:00 Uhr

Weitere Termine des Theater Lübeck finden Sie hier.

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