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Porträt Cédric Tiberghien

Das Spiel mit den Farben

Tasten, Saiten, Hämmer: Schon als Zweijähriger war Cédric Tiberghien fasziniert vom Klavier

vonJakob Buhre,

„Als Sie angerufen haben, war ich noch beim Üben“, begrüßt Cédric Tiberghien den Journalisten. Und setzt gleich ganz im Stil eines Musterschülers hinzu, dass er sechs Stunden pro Tag am Klavier verbringe – selbst auf Tourneen: Zeit für touristische Erkundungen nehme er sich da nie. „Ich habe immer das Gefühl, dass ich viel arbeiten muss. Es gibt die verschiedenen Recital-Programme, die Klavierkonzerte und auch die Kammermusikabende, die ich vorbereiten muss“, erklärt der Franzose, der in Noyon, 100 Kilometer nördlich von Paris aufgewachsen ist. Ja, gesteht Tiberghien, er sei regelrecht „vom Klavierspiel besessen“ – und das schon seit frühester Kindheit. Als seine Eltern den Zweijährigen zum Abendessen bei einer befreundeten Klavierlehrerin mitnahmen, führte die dem kleinen Cédric spontan den großen Flügel vor, spielte und zeigte ihm die Saiten und Hämmer. „Davon muss ich sehr fasziniert gewesen sein“: Denn wie ihm seine Eltern später erzählten, sei er nachts aufgewacht und zurück ins Wohnzimmer gelaufen, um noch einmal das Instrument zu hören.

Bis zur ersten Unterrichtsstunde musste der Junge indes noch drei Jahre warten, als 14-Jähriger begann er dann am Pariser Konservatorium zu studieren. Und es sollte nicht lange dauern, bis er mit dem Gewinn mehrerer Preise auch international die Aufmerksamkeit auf sich zog. Heute gehört er zu den gefragtesten französischen Pianisten und hat nicht zuletzt mit seinen Aufnahmen aufhorchen lassen.

Üben, üben, üben – bis zu zwölf Stunden am Tag

In Hamburg wird Tiberghien mit Rachmaninows drittem Klavierkonzert zu hören sein. „Einstudiert habe ich es schon mit 25, in einer Zeit, wo ich so viel Repertoire wie möglich lernen wollte und bis zu zwölf Stunden täglich am Klavier saß. Aber erst vor kurzem habe ich es für mich wiederentdeckt, die Modernität des Stücks, seinen postromantischen Stil und die komplexe Harmonik“, erzählt der Mann mit den langen, schlanken Fingern. „Seit ich das Spätwerk Rachmaninows kenne, vor allem die Orchesterwerke, verstehe ich das Konzert viel besser.“

Faible für die großen Pianisten am Ende des 19. Jahrhunderts

Ein Werk, das derselben Epoche entstammt, ist das kaum bekannte Klavierkonzert Nr. 2 des Franzosen Théodore Duboix, mit dessen Einspielung Tiberghien vor zwei Jahren viele überrascht hat – auch sich selbst: „Als ich die Partitur des Duboix-Konzerts sah, dachte ich, das funktioniert nicht, es ist die Mühe nicht wert. Aber dann habe ich mich etwas mehr damit beschäftigt und mich in das Stück verliebt, in diese leichtfüßige Virtuosität und die Aufrichtigkeit in der Komposition“, schwärmt der Sohn eines Mediziners und einer Hobby-Geigerin. „Für mich ist es wie eine Zeitreise in die Ära großer Pianisten Ende des 19. Jahrhunderts, wie Eugene D‘Albert, Anton Rubinstein oder Józef Hofmann. Diese Generation von Pianisten, die auf der Bühne auch mal improvisierten, wahre Legenden, zu deren Konzerten die Menschen von weit angereist sind. Heute spielen wir alle technisch sehr gut, klar und sauber – aber damals war man noch freigeistiger.“

Entscheidend sei für ihn immer das harmonische Gerüst, sagt Tiberghien. „Wäre ich Komponist, würde ich wahrscheinlich im Stil Debussys komponieren, aufgrund des harmonischen Reichtums. Ich habe eine große Sensibilität für Harmonien, dafür, wie sie Spannung und Entspannung erzeugen.“ Und so konzipiert er denn auch manche seiner Konzerte anhand der Tonarten: „Mein letztes Recital-Programm entstand um die Töne B und C: in der ersten Hälfte des Konzerts spielte ich Werke in B-Dur und b-Moll, in der zweiten Hälfte c-Moll und C-Dur. Unser Herz reagiert unterschiedlich auf verschiedene Tonarten, diesen Klangfarbenunterschied wollte ich für das Publikum erfahrbar machen.“

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