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Porträt Michael Wollny

Der Kreative

Klassik ist nur ein Teil vom Ganzen. Revolution? Nein, der Alltag des Pianisten Michael Wollny

vonRalf Dombrowski,

Seit Ende Januar ist für Michael Wollny die Welt besonders in Ordnung. Denn das neue Glück heißt Sebastian, ein kleines Paket in den Armen der Eltern. „Mir ist klar, dass sich jetzt einiges ändert“, meint der stolze Vater, „ich werde wohl erst einmal ein wenig zurückschalten“. Wenn das so einfach ginge, denn im März steht eine große Tournee durch deutsche Konzertsäle an. Der Pianist aus Schweinfurt und derzeitige Wahl-Frankfurter ist einer der Stars der heimischen Musikszene, und als solcher darf er im Doppel-Pack mit der Band des Posaunisten Nils Landgren im Rahmen der Reihe JazzNights die Menschen beglücken. 

Improvisierender Romantiker

Und das kann er, denn Michael Wollny hat Charme, Charisma und außerdem Talent. Er ist ein Romantiker im Sinne des 19. Jahrhunderts, so wie er die wuscheligen Haare ins Gesicht hängen lässt, um vornüber gebeugt dem Klavier ein Maximum des Ausdrucks zu entlocken. Konzerte sind dabei auf der einen Seite eine Lust, auf der anderen aber auch ein Kampf um die Musik. Denn im Unterschied zum Klassiker hat Michael Wollny keinen festen Notentext, an dem er sich orientieren kann. Er improvisiert, jongliert mit der Freiheit der Gestaltung, einschließlich der Fallgruben, die dabei lauern. Das ist eine Frage der Haltung, mit der man sich der Musik nähert. Denn manchmal bringt schönes Scheitern mehr Spaß als langweiliges Reüssieren. „Mich fasziniert am Improvisieren“, erklärt Wollny mit einem Augenzwinkern, „dass man nicht die Zeit zum Reflektieren hat. Von einem Moment auf den anderen muss man etwas tun.“

Dieses Loslassen, gepaart mit Spontaneität, hat für Michael Wollny einen besonderen Reiz. Denn eigentlich ist er ein Denker, jemand, der verstehen will, was die Welt in ihrem Inneren zusammenhält. Im Gespräch mit ihm stößt man schnell auf Gilles Deleuze oder Albert Camus, auf große Romane, außerdem immer wieder auf Filme, weil die Sprache der Bilder ihn in ähnlicher Weise fasziniert wie die der Musik. Und natürlich auf die Klassiker des ästhetischen Grenzgangs, Franz Schubert beispielsweise oder Gustav Mahler. 

Gustav Mahler im Sinn

Das ist das Prinzip Jazz, nur mit den Worten einer anderen Epoche. „Wir suchen den Weltentraum“, steht daher als Motto über den aktuellen Aufnahmen von Michael Wollnys Trio, ein Zitat von Gustav Mahler. Auf dem Album selbst finden sich Stücke von Alban Berg und Paul Hindemith bis Edgar Varèse und Friedrich Nietzsche, mit der gleichen Selbstverständlichkeit in einem Spannungsbogen mit Pop von Pink, den Flaming Lips und eigenen Kompositionen. Das ist ein bisschen Gesamtkunstwerk, keine neue Idee eigentlich, aber doch mit luftiger Leichtigkeit formuliert. Das ist es auch, was das Publikum an Michael Wollny so mag und ihn während des vergangenen Jahrzehnts zu einem der erfolgreichsten Jazzmusiker Deutschlands hat werden lassen. Denn da sitzt einer im Lausbuben-Look am Flügel, moderiert mit schüchternem Witz und entwaffnend jungenhaftem Lächeln, spielt dann aber eine Musik, deren Wildheit man spüren kann, ohne dass er die Hörgewohnheiten dafür zertrümmern muss.

Alte Schule, irgendwie

Michael Wollny weiß, dass er mit dieser Einstellung eigentlich zur alten Schule der Künstler gehört, die noch an die Bedeutung ihres Schaffens glauben. „Freiheit“, spöttelt er jedoch mit Blick auf die eigenen Projekte, „ist ein Trugschluss. Unlängst habe ich gelesen, der Held der Gegenwart sei nicht mehr der Künstler, sondern der Netzwerker, also jemand, der Inhalte nicht schafft, sondern sie möglichst vielen Leuten zur Verfügung stellt.“ Das aber widerspricht der Idee des Kreativen, dem Modell des Genialen. Darüber muss ein wenig nachgedacht werden. Bis Kunst daraus wird, hat Michael Wollny jedenfalls viel Zeit, für seinen Sebastian ein sehr konkreter und gar nicht verkopfter Vater zu sein.

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