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Sommerreihe: Starke Frauen – Fanny Hensel

Der bürgerlichen Etikette zum Trotz

Trotz eines familiären Verbots gab Fanny Hensel nicht auf, ihre Musik der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sie hinterließ ein noch immer größtenteils unerforschtes Œuvre

vonJohann Buddecke,

Es ist ein Satz, der in die Musikgeschichte eingegangen ist: „Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll.“ Er stammt aus dem Munde Abraham Mendelssohn Bartholdys, der Gegenüber seiner Tochter Fanny damit unmissverständlich zum Ausdruck brachte, wie ihr weiteres Leben aussehen würde: Dass sie anders als ihr Bruder Felix keinesfalls eine Karriere als Instrumentalistin oder Komponistin anstreben würde. Für die junge, äußerst begabte Pianistin, die sich zusätzlich mit dem Komponieren auseinander setzte, brach in dem Moment eine Welt zusammen. Den Glauben an ihr Talent verlor sie jedoch nicht.

Opfer der großbürgerlichen Etikette

Bereits in jungen Jahren erhielt die am 14. November 1805 in Hamburg geborene Fanny gemeinsam mit ihrem Bruder zunächst von ihrer Mutter, dann bei der renommierten Pianistin Marie Bigot sowie bei dem Pianisten und Klavierpädagogen Ludwig Berger Klavierunterricht. Auch der böhmische Virtuose Ignaz Moscheles war für eine kurze Zeit im Jahr 1824 ihr Lehrer. Doch trotz ihrer großen Begabung ließ sich der Vater nicht erweichen. Es gehörte sich nicht für eine Frau Geld zu verdienen, schon gar nicht mit Musik und noch viel weniger in einer großbürgerlich-konservativen Gesellschaft, deren Teil Fanny Hensel durch das florierende Bankgeschäft ihres Vaters nun einmal war. Gestattet wurde der ambitionierten Musikerin lediglich, im privaten Rahmen zu musizieren, an öffentliche Konzerte war nicht mehr zu denken.

Fanny Hensel, 1842Fanny Hensel. Gemälde von Moritz Daniel Oppenheimer, 1842
Fanny Hensel (geb. Mendelssohn). Gemälde von Moritz Daniel Oppenheimer, 1842 © gemeinfrei

Doch die junge Musikerin dachte nicht daran, dem autoritären Willen des Vaters zu entsprechen und ließ nicht locker. Heimlich komponierte sie weiter, versuchte schließlich nochmals den Vater umzustimmen, wollte sie ihre Werke doch unbedingt der Öffentlichkeit zugänglich machen. Abermals folgte die Enttäuschung: Wieder stimmte der Vater und dieses Mal sogar der Bruder Felix gegen eine Veröffentlichung ihrer Kompositionen. Fannys Verbitterung saß tief.

Umfangreiches Werk im Stillen

Was an dieser Stelle an ein überschaubar-intimes Werke-Konvolut denken lässt, war unterdessen zu einem Œuvre von über 450 Werken gewachsen, darunter Klavier- und Liedkompositionen, Orchester- und Chorstücke und Kammermusik. Bis heute sind nur Bruchstücke des Gesamtwerks im Druck erschienen, vereinzelt sogar unter dem Namen von Fanny Hensels Bruder. Und trotz des familiären Gegenwinds scheint der Durchhaltewille der Komponistin aus heutiger Sicht erstaunlich: Noch kurz vor dem Tod des Vaters im Jahr 1835 publizierte die mutige Komponistin ihre ersten Werke und riskierte damit den Bruch mit ihrer Familie.

Konzerte nur im privaten Rahmen

Doch auch abseits der klassischen Publikationswege in Form von Musikverlagen suchte Fanny Hensel sich bereits ab dem Jahr 1823 andere Möglichkeiten, sowohl ihre Werke wenigstens einer kleinen Öffentlichkeit bekannt zu machen, als auch als Pianistin auftreten zu können. So war Fanny Hensel zunächst gemeinsam mit ihrem Bruder, ab 1831 dann eigenständig, federführende Kraft bei der Veranstaltung der „Sonntagsmusiken“ im Gartensaal des Mendelssohnschen Anwesens in Berlin. Diese wöchentlich hunderte Gäste in die Leipziger Straße lockenden Veranstaltungen nutzte die Musikerin als Bühne für ihr Werk.

Fanny Hensels Musikzimmer. Zeichnung von Mulius Helfft, 1849
Fanny Hensels Musikzimmer in Haus an der Leipziger Straße 3 in Berlin. Zeichnung von Mulius Helfft, 1849 © gemeinfrei

Fernab dieser als Privatkonzerte getarnten Veranstaltungen, trat Hensel jedoch so gut wie nie auf. Nur einmal schlug sie ihr Bruder, der gemeinsam mit dem Vater so vehement gegen die Veröffentlichung ihrer Werke gestimmt hatte, als Solistin für die Uraufführung seines ersten Klavierkonzerts vor. Anschließend musste sie sich wieder dem Willen der Familie beugen. Am Komponieren verlor sie später zeitweise ganz die Freude, wie ein erhaltener Brief an einen Freund eindrucksvoll belegt: „Was ist übrigens daran gelegen? Kräht ja doch kein Hahn danach und tanzt niemand nach meiner Pfeife“, schrieb sie enttäuscht.

Fanny Hensel starb überraschend am 14. Mai 1847 während einer Probe an einem Schlaganfall. Tragischerweise erwirkte erst ihr Tod ein Umdenken in der Familie Mendelssohn, sodass ihr Bruder posthum einige Werke der Schwester publizieren ließ. Heute wird Fanny Hensel zu den großen Komponistinnen der Musikgeschichte gezählt – bloße Zierde war die Musik für sie mitnichten.

Hören Sie hier Fanny Hensels „Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello op. 11“:

https://youtu.be/KUMMxsy4a88

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