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Porträt Stefan Herheim

„Die Intendanten gehen Produktmarken shoppen“

Opernregisseur Stefan Herheim über die Dämlichkeit des Opernbusiness und die Rückkehr aus seinem Sabbatical

vonPeter Krause,

Mit Macht ist er zurück in der Szene. Im Sommer legte Stefan Herheim nach neunmonatigem Sabbatical gleich eine theatralisch überwältigende Neudeutung von Hoffmanns Erzählungen bei den Bregenzer Festspielen vor, jetzt probt er Mozarts Figaro an der Hamburgischen Staatsoper. Der norwegische Wahlberliner sprüht vor Energie und ist doch einer der nachdenklichsten Köpfe des Musiktheaters, der die eigene Rolle als Regie führender Nachschöpfer von Mozart, Puccini und Wagner so skrupulös reflektiert wie nur wenige Kollegen.

Die Auszeit war für Herheim überlebenswichtig, denn die Reproduktionsmaschinerie des Musiktheaters schien ihn fest im Griff zu haben. Nun hat er gelernt, auch mal „nein“ zu sagen. Das Angebot, Webers Freischütz an gleich drei Opernhäusern in Koproduk­tion herauszubringen, lehnte er ab: „Ich muss lange mit einem solchen Werk schwanger gehen und brauche Ruhe, um mich auf eine Geburt einzustellen. Danach muss ich bis hin zur Langeweile faulenzen können, um wieder empfangsbereit zu werden.“

 

Neun Monate lang zuhause Löcher in die Wand gestarrt

 

Vor dem Sabbatical hat er zweimal hintereinander pro Spielzeit acht Premieren gestemmt: „Als ich spürte, dass ich bald nichts mehr spüre, musste ich die Bremse ziehen.“ Wirklich schön war die Auszeit hernach freilich nicht: „Ich dachte, ich würde vieles nachholen, aber ich habe nicht Französisch gelernt, mich nicht verliebt, bin nicht nach Indien gepilgert, habe nicht Der Mann ohne Eigenschaften gelesen. Stattdessen habe ich neun Monate zu Hause gesessen und habe Löcher in die Wände gestarrt. Es dauert, die Batterien wieder aufzuladen, wenn man erschöpft ist.“

 

Wird jetzt der naive Zugang zu einem gleichsam jungfräulichen Werk auf einmal wieder möglich? „Nein, aber so war es auch nie. Gerade meine große Musikliebe macht mich kritisch und zwingt mich zu hinterfragen, worauf ich da abfahre. Ich bin nicht der saturierte Theatermacher, der immer gleich weiß, wie alles zu sein hat, nur weil die Musik sofort Bilder im Kopf suggeriert. Oft muss ich sehr lange in ein Werk hineinhorchen, um zu hören, was unter der rauschhaften Oberfläche tatsächlich erzählt wird. So können viele Monate vergehen, bevor man etwas hat, das sich zu einem Regiekonzept ausbauen lässt.“

 

Regie-Persönlichkeiten und Visionen gingen verloren

 

Über den Dichter Hoffmann, dessen Widersprüchen er in Bregenz nachspürte und ihn als Transsexuellen zeigte, sagt Herheim: „Er trägt das Kreuz der Opposition des Künstlers, der die Welt provoziert, letztlich um Anschluss zu finden und Teil an ihr zu haben. Sobald er aber Erfolg hat und Anerkennung genießt, muss er die Welt hassen, sonst wäre er ja kein Künstler.“ Scheint in der Charakterisierung von Offenbachs Dichterfigur auch das Schicksal des Regisseurs hindurch? Der Hoffmann-Herheim sagt: „Auch ich prostituiere mich natürlich und finde das Opernbusiness oft furchtbar hohl und flach: Es gibt viele Intendanten, die Produktmarken shoppen gehen statt Projekte zu kreieren. Sie wollen einen Namen, der den Spielplan ziert und es interessiert sie gar nicht, worauf es in einem künstlerischen Prozess ankommt, solange die Auslastung stimmt.“ Vor allem  aber schmerzen ihn die verlorenen Visionen: „Es gibt heute kaum richtungsweisende Autoritäten mehr, die die Oper im Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung beanspruchen. Intendanten sind oft Kulturmanager, die nicht wissen, wie sie ihre Verantwortung jenseits der des Betriebleiters definieren sollen. Diese Impulslosigkeit trägt natürlich nicht dazu bei, dass die Politik mehr Geld für die Oper bereitstellt.“

 

Herheims Haltung, sein Ethos und sein Brennen für die unmögliche Kunst der Oper hat starke Wurzeln. Während der letzten fünf Lebensjahre von Götz Friedrich durfte er bei dem Intendanten-Patriarchen Musiktheater-Regie in Hamburg studieren. Dabei erlebte er den Übervater im Besonderen als Dramaturgen, „streng, scholastisch, manchmal auch ungnädig, aber mit einer Ernsthaftigkeit, die uns heute mehr und mehr verloren geht. Er lenkte uns auf das Wesentliche hin.“ Herheim profitierte davon: Gleichsam als praktischen Teil des Studiums hospitierte er bei Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin. Seine Erinnerung zeugt von Verehrung und ist kritisch zugleich, schließlich monopolisierten die wenigen prägenden Persönlichkeiten der Regie den Opernmarkt über nahezu 30 Jahre. „Junge Regisseure wurden schon damals zuhauf ausgebildet, auf den Bühnen aber kaum zugelassen. Nicht nur die Kunst, auch der Wettbewerb zwischen Meistern wie Friedrich, Kupfer, Herz oder Berghaus war vom kalten Krieg geprägt.“

 

Gibt es dennoch Gebote von damals, die heute – im Zeitalter der scheinbar beliebigen Dekonstruktionen – für Herheim noch heilig sind? „Inszenieren heißt, die Notwendigkeit spürbar werden zu lassen, dieses Werk hier und jetzt so und nicht anders aufzuführen. Dann heiligen die Mittel den Zweck, denn Oper ist eine angewandte, darstellende Kunst, die allein überzeugen kann durch die Hingabe von Ausführenden, die sich mit der Aufgabe identifizieren. Und zwar nicht nur mit ihren jeweiligen Rollen, sondern mit der Idee des Werks und des Theaters in einem übergreifenden, kulturgeschichtlichen Sinn.“ Um dieses große Kulturerbe lebendig zu halten, gibt es für den Friedrich-Schüler methodische Regeln: „Bei der dramaturgischen Annäherung betritt man viele Zeiten und Räume: Die, in der die Handlung spielt, die, in der das Werk geschrieben wurde, in der es populär wurde oder vielleicht in Vergessenheit geriet, bearbeitet oder für politische Zwecke instrumentalisiert wurde. Letztlich betrachtet man aber das Ganze von der Warte der eigenen Gegenwart aus, für die man inszeniert.“

Ein Übersetzungsproblem namens Oper

Wie stellt Herheim sich den Brüchen, die bei dieser Betrachtung zwangsläufig offenbar werden, aber sich auch in den Werken selbst auftun? „Es geht nie darum, Widersprüche und Brüche eines Stücks zu glätten, sondern sie aufzuzeigen und daraus eine theatrale Spannung zu erzeugen.“ Wenn Herheim in einer Inszenierung Zeitschichten gleich einer gewagten und dennoch stimmigen Synergie übereinanderlegt, wirkt das nie beliebig, sondern geschieht in verblüffend logischer Rückbindung an das Werk. „Manchmal muss man Umwege gehen, um zum Ziel zu kommen.“ Herheim versteht sich somit als Übersetzer, der nicht unbedingt den einfachsten und kürzesten Weg geht, sondern deutlich macht, dass wir mit diesem Kulturgut sehr wohl ein Übersetzungsproblem haben. „Wir stecken in der Falle einer anachronistischen Nostalgie. Denn diese Kunstform erneuert sich nicht mehr. Wir schreiben kaum mehr neue Opern, sondern suchen uns selbst im immer kleiner werdenden Kanon der repertoirefähigen Evergreens.“

 

Gefangen im kontinuierlichen Widerspruch dieser Kunstform kann für Herheim das Heil oder jedenfalls die aufrichtige Suche nur in der Dialektik liegen. Was die Suche indes erschwert, ist die Ästhetisierung der Wirklichkeit, die der fantasievollen theatralischen Bildfindung ihre Grenzen aufzeigt: Denn das Gesamtkunstwerk ist heute überall, allein über seine Rolle als Regisseur vermag sich einer da kaum mehr zu definieren. Vielmehr stellt Herheim diese infrage: „Medien, Werbung, die lauten Botschaften und virtuellen Realitäten haben ja die Mittel des Gesamtkunstwerks längst annektiert und allgegenwärtig ausgeweitet. Das erschwert die unmittelbar sinnvolle Unterscheidung zwischen wahrer Kunst und künstlicher Ware“, sagt der 45-Jährige. „Die hybride Kunstform Oper aber hat sich seit ihrer Geburt mit diesem Phänomen spielerisch beschäftigt und war sich sehr wohl immer ihrer Künstlichkeit sinnlich bewusst.“

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