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Fußball-WM Spezial: Fußball in der Musik

Kick it like … Eggert!

Es ist wieder soweit: Fußball lässt die Fans jubeln. Den Soundtrack liefern nicht nur Stadiongesänge, sondern auch weltmeisterliche Werke

vonHelge Birkelbach,

Dem Blick hinter den dicken Brillengläsern blieb nichts verborgen. Sein Notizbuch hatte er im Stadion stets dabei: Dmitri Schostakowitsch, bekennender Fußball-Fan, notierte penibel Mannschaftsaufstellungen, Torschützen und Spielergebnisse seines Lieblingsclubs Zenit Leningrad. Er studierte Sportfachblätter, tauschte sich mit anderen Fans aus und verließ auch mal vorzeitig eine Probe, wenn ein Match im heimischen Petrowski-Stadion anstand. Es heißt sogar, dass er einen Schiedsrichterkurs absolviert hätte. Was sicher ist: 1929 komponierte er ein Fußballballett. Seine Begeisterung begründete Schostakowitsch knapp und treffend: „Fußball ist das Ballett für die Massen“.

Die Fußball-WM von 1954: Ein Mythos war geboren

Die Auftragsarbeit „Das Goldene Zeitalter“ feiert den sozialistischen Siegeswillen mit einem aberwitzigen Libretto. Eine russische Mannschaft reist in den Westen, um im Rahmen einer Industrieausstellung die sportliche Überlegenheit des Systems zu demonstrieren. Spielergebnis: unbekannt. Erfolg: Westliche Arbeiter solidarisieren sich mit den sozialistischen Sportlern. Ein ziemlicher Unfug, von der sich der Komponist stillschweigend distanzierte. Die Tänze (Tango, Polka, Foxtrott, Cancan) strotzen aber vor Spielwitz und Begeisterung. Tooooor!

Dmitri Schostakowitsch
Dmitri Schostakowitsch © gemeinfrei

Mehr Begeisterung als beim deutschen Fußballkommentator Herbert Zimmermann gab es wohl nie bei einer WM. 4. Juli 1954, Endspiel gegen Ungarn – an sich schon ein Wunder, dass die bundesdeutsche Nationalmannschaft so weit kam. Der krasse Außenseiter hatte sich zum Ende des Spiels ein 2:2 abgerungen, als in der 84. Minute Folgendes passierte: „Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ Ein Mythos war geboren.

Ein Oratorium als Fußballstück

60 Jahre später brachte das Stage Theater in Hamburg das Musical „Das Wunder von Bern“ auf die Bühne. Die Familiengeschichte um den neunjährigen Matthias, der im Nachkriegsdeutschland seinem Idol Helmut Rahn nacheifert, kam beim Publikum bestens an, die Presse lobte vor allem die Leistungen der Kinderdarsteller, ein „wahres Weltmeisterwerk“ sei da zu sehen (Welt am Sonntag). Getanzt wurde auch und zeitgemäß, beim „Rock ’n‘ Roll Rebel“ wippten die Petticoats.

Eine Nummer größer setzte Moritz Eggert an, der für die Ruhrtriennale 2005 ein Fußballstück schreiben sollte. Es wurde ein Oratorium. Aufgeteilt in zwei Hälften à 45 Minuten plus Nachspielzeit lotet der Komponist „Die Tiefe des Raumes“ aus; das Libretto von Michael Klaus hinterfragt Fußballweisheiten und Reporterphrasen, behält dabei aber immer die Liebe für den Sport im Herzen. Die Rolle des Evangelisten übernimmt ein Sportjournalist, drei Sprecher ergänzen das musikalische Geschehen und erweitern die Perspektive durch ihre eigenen Geschichten: ein alter Spieler, der schon viele Weltmeisterschaften erlebt hat, ein Trainer und ein Sportreporter.

„Bis die Spieler zu gottgleichen Figuren werden“

Moritz Eggert
Moritz Eggert © Astrid Ackermann

Das Thema sei „eine große Chance für einen Komponisten, ein Publikum zu erreichen, das man sonst für neue Musik nicht hätte“, so Eggert. „Früher hat man eine Träne im Opernhaus vergossen, und inzwischen holen sich die Leute diese große Gefühlsdosis eher im Stadion ab.“ Aber nicht nur darum ging es dem Komponisten, der später mit zwei weiteren Fußballstücken („Das Jahrhundertspiel“ und „Ballack, du geile Schnitte“) noch nachlegen sollte. Er hinterfragt die Muster sportlicher Großereignisse und das absolute Fansein.

„Gerade die Riten und Mechanismen der Religion, deren zeremonielle Verhaltensweisen, wurden vom Fußball übernommen: die Kutten der Fans, das Schwingen von Fahnen, die Vorsänger, die die Fans einstimmen, der antifone Gesang … Und von der fast religiösen Verehrung des eigenen Teams ist es nur ein kurzer Weg, bis die Spieler zu gottgleichen Figuren werden: Sie symbolisieren das Übermenschliche.“

Eine Fußball-Operette gibt es auch schon

Szenenbild aus "Roxy und ihr Wunderteam"
Roxy und ihr Wunderteam/Theater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr

Mindestens eine Nummer kleiner ging es in Augsburg zu, wo gerade der letzte Vorhang der Inszenierung „Roxy und ihr Wunderteam“ fiel. Die 15 Aufführungen der Fußball-Operette boten – so die abschließende Pressemitteilung – „eine Show mit Tanz, wilden Steppeinlagen, jazziger 20er Jahre Musik (Ohrwurm garantiert) und einer romantischen Lovestory“. Der ungarisch-deutsche Komponist Paul Abraham (1892–1960) nahm die Olympischen Spiele 1936 in Berlin zum Anlass, hinter die Kulissen des Profisports zu schauen.

Zutage treten ganz und gar unsportliche Dinge: Intrigen, Gerüchte, Korruption, Rassismus. Wie eben im wahren (FIFA-)Leben. Dennoch steht am Ende der Jubel: Sieg auf dem Rasen, Happy End für Roxy und ihren Angehimmelten. Dem Kritiker der nmz war’s ein bisschen zu viel Gewusel ohne erkennbare Spielstrategie: „Regisseur Martin Berger hat viel, womöglich zu viel gewollt, einiges erreicht.“ Einerlei. Wer gewinnt, hat recht.

Kennen Sie schon Schostakowitschs Klavierstück „Football“?

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