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Werk der Woche – Sibelius: Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39

Auf der Suche nach sich selbst

Künstlerische Zweifel, politische Unsicherheit und ein schwerer Schicksalsschlag bestimmten den Entstehungsprozess von Jean Sibelius’ erster Sinfonie

vonJohann Buddecke,

Die Zeit, in der Jean Sibelius seine erste Sinfonie komponierte, war sowohl für die Geschichte seines Heimatlandes Finnland, als auch für den Komponisten selbst äußerst ereignisreich. Gerade als das Werk seine finale Gestalt annahm, spitzte sich die Situation im Land zu, als nämlich der russische Zar mithilfe des Februarmanifest 1899 versuchte, die politische und wirtschaftlichen Freiheiten des damaligen Großfürstentums Finnland massiv einzuschränken. Kaum verwunderlich also, dass Sibelius in derart unsicheren Zeiten auch mit seinem Werk haderte.

Folglich durchziehen die Zweifel des Komponisten die Werkgenese von Beginn an. Die Planung der Sinfonie nahm Sibelius bereits im Jahr 1898 in Berlin vor, seine ursprüngliche Idee eines „musikalischen Dialogs“, dessen Programmatik inspiriert war von Heinrich Heine und dem zuvor veröffentlichten Roman „Panu“ von Juhani Aho, setzte er jedoch nicht in die Tat um. Der zweite Anlauf – laut seiner Skizzen von Hector Berlioz inspiriert – gelang schließlich, dennoch blieb Sibelius skeptisch, entsprach das Endergebnis doch nicht ganz seiner Vorstellung.

Vom Schicksal herausgefordert

Jean Sibelius: Sinfonie Nr. 1, Deckblatt der Ausgabe von Breitkopf & Härtel 1902
Jean Sibelius: Sinfonie Nr. 1, Deckblatt der Ausgabe von Breitkopf & Härtel 1902 © gemeinfrei

Das anfänglich mit „Symphonie in vier Sätzen“ betitelte Werk kam am 26. April 1899 in Helsinki unter der Leitung des Komponisten mit dem Philharmonischen Orchester Helsinki zur Uraufführung. Auch der große Erfolg der Sinfonie – überliefert ist ein stürmischer Applaus – konnte den mit dem Erstling unzufriedenen Sibelius nicht überzeugen. Als dann im Folgejahr seine drittgeborene Tochter Kirsti überraschend im Kleinkindalter verstarb und seine Frau Aino in tiefe Depressionen verfiel, entschied er sich, eine revidierte Fassung der Sinfonie anzufertigen. Wie genau die Urfassung des Werks geklungen hat, ist nicht mehr zu rekonstruieren – die Partitur ist bis heute unauffindbar.

Auf dem Weg zu sich selbst

Die zweite Fassung der Sinfonie entstand in den Frühlings- und Sommermonaten des Jahres 1900 und wurde am 18. Juli auf der Europa-Tournee des Philharmonischen Orchesters Helsinki unter der Leitung von Sibelius’ Freund Robert Kajanus in Berlin uraufgeführt. Als ob es der Komponist von vorneherein gewusst hätte, wurden seine Bemühungen, die Sinfonie zu überarbeiten, mit Kritikerlob in ganz Europa überhäuft, ein Konzert im Rahmen der Pariser Weltausstellung machte den Erfolg perfekt. Heute gilt Jean Sibelius’ Sinfonie Nr. 1 als sein internationales Durchbruchswerk, auf dem Weg zu einer eigenen Tonsprache. Passend beschreibt Mathias Husmann in seinen „Präludien fürs Publikum“ den damaligen Status quo: „Finnland hat sich noch nicht gefunden, und auch Sibelius ist noch auf dem Weg zu sich selbst.“

Die wichtigsten Fakten zu Jean Sibelius’ Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39:

Satzbezeichnungen:

  1. Satz – Andante, ma non troppo – Allegro energico
  2. Satz – Andante, ma non troppo lento
  3. Satz – Scherzo – Allegro, ma non troppo
  4. Satz – Andante – Allegro molto (Quasi una Fantasia)

Orchesterbesetzung:

Zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, vier Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen, eine Basstuba, Pauken, Harfe, Schlagwerk, Streicher

Spieldauer:

35 bis 40 Minuten

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Referenzeinspielung

Sibelius: Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39
Berliner Philharmoniker
Herbert von Karajan
EMI

„Er versteht mich jetzt am besten“, bemerkte Jean Sibelius noch kurz vor seinem Tod über Herbert von Karajan und ließ ihm seine Grüße ausrichten. Dass dem wirklich so war, beweist der langjährige Dirigent der Berliner Philharmoniker auf dieser Einspielung von 1981 auch noch Jahrzehnte später. Karajans Dirigat ist gänzlich auf das Steigerungsmoment der Sinfonie hin zum Finale ausgerichtet – der Orchesterklang bleibt über die rhythmisch-bewegten Mittelsätze bis zum strahlenden Orchestertutti im vierten Satz transparent.

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