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Das Publikum des Jahres 2018: Juryvorsitzender Nils Mönkemeyer

„…dann bitte selbstgebackene Schokomuffins auf die Bühne bringen“

Die Jury zum Publikum des Jahres 2018 ist prominent besetzt. Vorab beantwortet jedes Mitglied einen Fragebogen zum Thema Publikum. Heute: Bratschist und Juryvorsitzender Nils Mönkemeyer

vonJohann Buddecke,

Was zeichnet für Sie ein besonders gutes Publikum aus?

Nils Mönkemeyer: Was heißt schon „gut“ oder dann als Gegenpol „schlecht“? Jedes Publikum ist anders, der Besucher eines Sommerfestivals hat vielleicht gerade einen entspannten Spaziergang am See hinter sich, noch gemütlich einen Kaffee getrunken, dabei das Programmheft studiert und geht dann aufnahmebereit ins Konzert. Eine Berliner Managerin hat noch ihr Meeting erledigt, in der S-Bahn Emails beantwortet, ein Häppchen gekauft und ist abgehetzt fünf Minuten vor Konzertbeginn auf ihrem Platz, das Programm googelt sie kurz, während die Musiker auf die Bühne kommen.

Zwei Beispiele für völlig verschiedene Voraussetzungen. So ist es eher die Aufgabe der Musiker und Veranstalter, ihr Publikum zu kennen und entsprechend zu programmieren. Das Anfangsstück spielt hier zum Beispiel oft eine entscheidende Rolle.

Ist es richtig, von „dem“ Publikum zu sprechen, oder gibt es Unterschiede?

Mönkemeyer: Das holländische Publikum klatscht extrem kurz, aber herzlich, am Ende gibt es Standing Ovations, wenn nicht, dann hat es wirklich nicht gefallen. In Spanien rattern die Fächer, wenn der elegische Satz vorbei ist, flüstert jemand „Que lindo“, und manchmal steht jemand auf und muss mal kurz wohin. In Deutschland ist das Publikum sehr wohlwollend. Wenn es aber um zeitgenössische Musik geht, fühlen sich viele nicht berührt oder mitgenommen, nur keiner traut sich, das zuzugeben, und alle finden es „interessant“. Andererseits scheint mir in diesem Bereich viel Bewegung zu sein, sowohl was die Werke betrifft, als auch die Bereitschaft des Publikums, sich einzulassen.

Inwiefern ist der Erfolg eines Konzerts vom Publikum abhängig?

Mönkemeyer: Viel mehr, als es dem Publikum oft bewusst ist. Der Austausch zwischen Publikum und Musiker ist so wichtig wie geheimnisvoll, ein geteiltes Erlebnis ohne Worte.

Nils Mönkemeyer
Nils Mönkemeyer © Irène Zandel

Welches Erlebnis ist Ihnen besonders mit einem bestimmten Publikum in Erinnerung geblieben?

Mönkemeyer: Im Rahmen meines Festivals „Elysium – Klassik für alle“, das ich im Bonner Raum gemeinsam mit dem dort ansässigen Caritasverband ausrichte, kommen Wohnungslose, Flüchtlinge, Menschen aus herkömmlichen Situationen, Kinder, Senioren zusammen – kurz gesagt: Menschen aller Hintergründe und Lebensbedingungen sitzen gemeinsam im Publikum. Nach dem ersten Konzert kam von vielen Seiten die Frage, wer und wo denn nun „die Anderen“ gewesen wären. Die Kraft der Musik und das gemeinsam geteilte Erlebnis lässt eben alle Unterschiede zwischen uns Menschen unwesentlich werden und schafft eine Brücke und Zusammenhalt. Ein Aspekt, der mir in zunehmendem Maße bewusst wird und dessen Bedeutung ich angesichts der globalen Situation nicht hoch genug einschätzen kann. In einer Welt von Spaltung, fehlender Kommunikation und Trennung ist das Publikum ein wunderschönes Beispiel von Verbindung und Gemeinsamkeit.

Ärgern Sie sich auch manchmal über das Publikum?

Mönkemeyer: Manchmal kriegt eine Zirkusnummer mehr Applaus als das Komplexe, das kann frustrierend sein.

Was nervt Sie am Publikum?

Mönkemeyer: Permanentes Gehuste mit weit geöffnetem Rachen, bellend in Richtung Bühne, wenn gerade der ins Nichts verklingenden Ton kommt. Das nervt schon ziemlich. Andererseits ist es ja meine Aufgabe als Musiker, die Aufmerksamkeit zu lenken und die Spannung zu halten. Vielleicht liegt es dann also auch an mir, wenn es im Saal röchelt.

Worauf wollen Sie als Jurymitglied bei der Bewertung eines Publikums achten?

Mönkemeyer: Ist das Publikum offen und aufmerksam? Wie viele der Abonnenten kommen regelmäßig ins Konzert? Wie ist die Auslastung der Reihe? Ist das Publikum kinderfreundlich? Bei einem Münchner Veranstalter dürfen Kinder unter fünf Jahren nicht ins Konzert, das geht gar nicht! Gibt es eine Einführung? Geht da jemand hin? Ist der Altersdurchschnitt ausgewogen?

Was müsste ein Publikum tun, damit Sie bestechlich in ihrer Entscheidung werden?

Mönkemeyer: Mmh, ein Wirbel von Schokoladenduft zum ersten Akkord und am Ende dann bitte selbstgebackene Schokomuffins auf die Bühne bringen…

Wenn Sie selbst im Publikum sitzen, genießen Sie dann als Teil des Publikums oder fühlen Sie sich heimlich als „Externer“?

Mönkemeyer: Wenn es ein schönes Konzert ist, dann werde ich Teil des Ganzen. Wenn es mir nicht gefällt, dann höre ich sozusagen „beruflich“ zu und beginne zu analysieren.

Wie sieht es als Bratscher aus? Werden Ihre Konzerte von einem spezifischen Publikum besucht? 

Mönkemeyer: Speziell die besonders netten Menschen, würde ich sagen!

Sehen Sie hier Nils Mönkemeyer mit Johann Sebastian Bachs Sarabande, BWV 1007 :

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