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Interview Kevin John Edusei

„Rassismus im Klassikbetrieb ist absolut real“

Kevin John Edusei, seit 2014 Chefdirigent der Münchner Symphoniker, wurde als Sohn eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter in Bielefeld geboren. Ungleichbehandlungen aufgrund seiner Hautfarbe hat er mehr als einmal erlebt.

vonSören Ingwersen,

Herr Edusei, wie viele schwarze deutsche Musiker im Bereich der Klassik kennen Sie persönlich?

Kevin John Edusei: Eine Handvoll vielleicht. Die Gründe, weshalb es hierzulande so wenig schwarze Musiker gibt, sind aber sehr schwer zu benennen, weil die demografischen Erhebungen als Bezugsgröße fehlen. Es ist überhaupt nicht klar, wie viel schwarze Deutsche in Deutschland leben, weil bei allen Volkszählungen nur der Migrationshintergrund abgefragt wurde, der aber nichts über den Phänotyp aussagt.

Ist das in Großbritannien und den USA anders?

Edusei: Ja, dort liegen diese Zahlen vor und man kann feststellen, dass schwarze Menschen und „People of Color“ – also Menschen asiatischer, pazifischer und indigener Herkunft – in der klassischen Musik deutlich unterrepräsentiert sind.

Weil der klassische Musikbetrieb so elitär ist?

Edusei: Genau. Es bedarf einer sehr elaborierten Infrastruktur, um Kinder in diesem Bereich zu fördern: Unterricht und Instrumente kosten Geld. Die Kinder brauchen ein Elternhaus, das sie unterstützt. Daher kommen klassische Musiker eher aus bessergestellten Haushalten, aus den Reihen des gebildeten Bürgertums.

Wird auch an den Musikhochschulen entsprechend selektiert?

Edusei: Der Selektionsprozess beginnt deutlich vor der Hochschule, weil die Gesellschaft schon an Kinder eine Erwartungshaltung heranträgt. Auch ich habe gespürt, dass meine musikalischen Bestrebungen in jungen Jahren nie ganz ernst genommen wurden. Das hängt wohl mit einer stereotypen Festlegung zusammen. Diese Prädisposition hat große Auswirkungen auf alle Selektionsprozesse, die danach folgen.

Das verwundert etwas, da Sie doch aus einem musischen Elternhaus stammen. Ihre Eltern lieben die klassische Musik, Ihre Großmutter war Opernsängerin …

Edusei: Meine Karriere steht natürlich in direkter Beziehung dazu. Trotzdem gab es etliche Situationen, in denen mir eine grundsätzliche Kompetenz eher ab- als zugesprochen wurde. Das ist eine Aussage, die sich schwer belegen lässt. Außerdem bewege ich mich damit in einem Betroffenheitsbereich, in dem ich mich sehr unwohl fühle, denn ich sehe mich als sehr privilegiert an und bin sehr zufrieden mit meiner Karriere und meiner Verortung im deutschen Musikleben. Ich möchte vielmehr auf jene Menschen hinweisen, die diese Privilegien nicht genossen und es nicht geschafft haben, sich gegenüber den Stereotypen und Ressentiments im Klassikbetrieb durchzusetzen.

Kevin John Edusei
Kevin John Edusei

Können Sie vielleicht trotzdem eine Situation nennen, in der Sie sich aufgrund ethnischer Vorurteile zurückgesetzt fühlten?

Edusei: Vor meinem Debüt bei den BBC Proms in der Royal Albert Hall wollte ich das Dirigentenzimmer betreten, das ich mir mit Sakari Oramo teilen sollte. Da schrie mich eine Dame des Swedish Radio Symphony Orchestra in einem extrem aggressiven Ton an: „You have no right to be here!“ Genau in diesem Moment kam Renée Fleming aus der gegenüberliegenden Garderobe und sagte zu mir „Hi, Kevin“. Der Gesichtsausdruck der Dame veränderte sich schlagartig, und es war ihr sehr unangenehm. Sie hätte niemals vermutet, dass ich ein Dirigent sein kann. Das ist ein deutliches Beispiel dafür, dass das Äußere oft nicht in einer unbefangenen Haltung in Beziehung gesetzt wird zu meinem Beruf.

Wie fühlen Sie sich in so einer Situation?

Edusei: Dieser Moment hat mich sehr stark getroffen, und ich musste eine halbe Stunde später aufs Podium und vor die Kameras. Das hat doch sehr an mir genagt. Eine normale Reaktion wäre doch ein höflicher Hinweis gewesen, dass dies das Dirigentenzimmer ist. Hinter der aggressiven Haltung steht letztendlich die Annahme, ich hätte vorsätzlich etwas Verbotenes tun wollen.

Hören Sie auch von anderen schwarzen Musikern solche Geschichten?

Edusei: Man muss auf breiter Linie von sehr ähnlichen Erfahrungen reden. Vielen Kollegen passiert es immer wieder, dass sie im Umfeld von Proben und Konzerten nicht als Musiker wahrgenommen werden. Ein Freund von mir hat lange Zeit die zweite Violine im Zehetmair Quartett gespielt. Auch er musste mehrfach erleben, dass ihm der Zutritt zum Konzertsaal erst erlaubt wurde, nachdem Thomas Zehetmeier ihn identifiziert hatte. Daher kann ich auch sagen: Rassismus im Klassikbetrieb ist absolut real. Ressentiments gegenüber People of Color spielen aber insbesondere an den Stellen eine Rolle, wo es um die Vergabe von Studienplätzen, Stipendien und Stellen geht. Es geht also in erster Linie um den systemischen und institutionellen Rassismus, den wir überwinden müssen.

Vor 20 oder 30 Jahren waren viele Orchester ausschließlich männlich besetzt. Heute spielen in den Klangkörpern ebenso viele Frauen wie Männer. Könnte diese Entwicklung ein Vorbild sein, das sich auf die Entwicklung der ethnischen Vielfalt in der klassischen Musik übertragen lässt?

Edusei: Wenn ich sehe was sich im Bereich der Diskriminierung aufgrund sexueller Identität getan hat, dann stimmt es mich sehr zuversichtlich, dass man auch noch andere Arten von Diskriminierung angehen kann. Ich denke, Institutionen wie der Deutsche Bühnenverein oder die Deutsche Orchestervereinigung könnten einiges bewirken, wenn sie das Thema Rassismus einmal auf die Tagesordnung setzen würden.

Kevin John Edusei und die Münchner Symphoniker:

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