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Blind gehört Martin Grubinger

„Geile Sounds, super!“

Der Schlagzeuger Martin Grubinger hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonThomas Schacher,

Martin Grubinger tanzt gern auf verschiedenen Hochzeiten. Jüngst war der Schlagzeuger beim Eurovision Song Contest als Pausen-Unterhalter zu erleben, im Bayerischen Rundfunk moderiert der Tausendsassa regelmäßig das Musikmagazin „KlickKlack“, und diesen Sommer mischt der Österreicher das Schleswig-Holstein Musik Festival als Artist in Residence auf. Und auch beim „Blind gehört“-Termin in Zürich sorgte er für beste Unterhaltung.

Bach: Violinsonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001

Jean Geoffroy (Marimba)

2007, Skarbo 

 

Bach! Ist das Bogdan Bacanu? Nein? … In der Interpretation ist es mir allerdings eine Spur zu flach. Wie ich überhaupt finde, dass wir Schlagzeuger im Konzert unbedingt Originalliteratur spielen sollten, um dieses Instrument weiterzuentwickeln. Die Kopie wird nie an das Original heranreichen: Eine Cello-Suite etwa wird am Marimba nie klingen wie auf einem Cello – auch wenn es für die Entwicklung der eigenen Musikalität wahnsinnig gut ist, um ein Gespür für Phrasierungen, Inhalte und Farben zu bekommen. Hier allerdings fehlen mir die Farben: Das ist mir zu eben, zu glatt – dabei hat das Marimba so viele Farben und Schattierungen. Das hier ist nur gespielt, es wird nicht wirklich ausgereizt.  

Reich: Sextett, 1. Satz

Manhattan Marimba Quartet, Ensemble Nexus

1986, Nonesuch 

 

Ein Vibrafon, das mit dem Kontrabassbogen gestrichen wird – Huihuihui! Ich kenne das Stück zwar nicht, aber ich tippe auf Reich … Ich selbst habe bislang sehr wenig von ihm gespielt, denn ich bin kein ganz großer Reich-Fan. Für mich hat es von der handwerklichen kompositorischen Meisterschaft nicht dasselbe Niveau wie ein Cerha, Rihm oder ein Gruber, wie eine Neuwirth oder eine Saariaho: Mir ist es manchmal einfach zu plakativ. Auch wenn es natürlich faszinierend zu hören ist, wenn man die Augen schließt und dann die Veränderungen wahrnimmt, die da so ganz leicht durchtriggern.

Guy: Dakryon

Maya Homburger (Barockvioline), Barry Guy (Kontrabass & Elektronik), Pierre Favre (Perkussion)

2005, Maya Recordings 

  

Oh – geile Sounds, super! Das ist auf einer Log Drum gespielt, so einer Big Bom – das ist die, wo das Mikrofon drinnen ist. Klingt toll, faszinierende Sounds – ist das Robyn Schulkowsky? Nein? Evelyn Glennie? Auch nicht? … Barry Guy also: Der ist ja auch Kontrabassist und komponiert – und er komponiert auch für seine Frau, die hier ebenfalls mitspielt: die Geigerin Maya Homburger. Ich stehe ja voll auf solche Sounds: Das Schöne hier ist, im Vergleich zu Reich, da hat sich jemand Gedanken gemacht, wie er die Sounds einsetzt – das hat Emotion und zieht einen sofort in den Bann. Und an der Art, wie es gespielt wird, hört man, dass hier jemand mit Leidenschaft und Hingabe am Werk ist und es wirklich ausreizt. Das hat etwas Unerbittliches, ja Radikales: Man spürt, die glauben zutiefst an das, was sie hier machen – und das liebe ich. Wahnsinn! 

Varèse: Ionisation

Martin Grubinger (Perkussion), Percussive Planet Ensemble, Martin Grubinger sen. (Leitung)

2009, Col legno 

  

Ah! Ionisation! Varese, 1929 – revolutionär! Das haben wir bei den Salzburger Festspielen gemacht … aber das ist nicht die Aufnahme, oder? Doch? Das sind wir? Ich habe die Aufnahme noch nie gehört, ich bin total fasziniert. Wir haben damals wie die Verrückten geprobt. Das Stück ist ja zweimal auf dieser CD, ganz am Anfang und am Schluss mit dem Ensemble Modern. Wir haben das damals in Verbindung mit Xenakis’ Pléiades und Persephassa gespielt: ein tolles Programm, der ganze Saal hat am Ende gestanden – und das bei einem rein zeitgenössischen Programm! … Ich erinnere mich noch gut, dass die Schlagzeugerin, die die Sirene gespielt hat, bei der Aufnahme mit dem Finger in die Sirene gekommen ist und sich den halben Finger abgetrennt hat: Das Blut ist nur so geflossen auf der Bühne – unglaublich, werde ich nie vergessen.

Milhaud: Konzert für Marimba & Vibraphon op. 278

Nebojsa Jovan Zivkovic (Marimba & Vibraphon), Österreichische Kammersymphoniker, Ernst Theis (Leitung)

2006, Musicaphon 

  

Milhauds Konzert für Marimba und Vibraphon! Das habe ich oft gespielt … ist das Peter Sadlo? Nein? Evelyn Glennie? Auch nicht? … Aha: Nebosja Jovan Zivkovic also – der ist ja jetzt Lehrer in Wien am Konservatorium, ein super Spieler. Und komponiert wahnsinnig viel für Schlagzeug. Ein super Stück, allerdings würde ich mir hier in der Abmischung natürlich wünschen, dass das Marimba ein bisschen weiter nach vorn kommt, das braucht mehr Glanz und Volumen. So klingt es ein bisschen wie ein Xylophon, aber es ist ein Marimbaphon und sollte mehr Breite im Klang haben. Der Beste bei diesem Werk ist meines Erachtens Peter Sadlo: Er spielt das mit einer unglaublichen Musikalität und sehr musikantisch.

Bartók: Sonate für 2 Klaviere und Schlagzeug

Georg Solti & Murray Perahia (Klavier), David Corkhill (Pauken), Evelyn Glennie (Schlagzeug)

2006, Sony Classical 

 

Bartók-Sonate, dritter Satz! …  Allerdings ist das hier zu langsam im Vergleich zu dem, was Bartók vom Tempo her vorschreibt. Vor allem aber klingt das Xylophon wahnsinnig gehackt: Das ist ja keine Phrasierung, sondern es ist jeder Ton reingemeißelt. Die Pauke ist für mich viel zu weich gespielt – ich tippe mal, das ist ein Pauker aus Frankreich oder Deutschland, jedenfalls kein Österreicher. Mir fehlt hier der Spielwitz, die Spielfreude: Das klingt wahnsinnig theoretisch, das mischt sich nicht mit dem Klavier – hören Sie mal, wie die Pauke da muffelt … Wuwu, wuwu, bombum… Auch wenn ich hier jetzt berühmte Leute angreife: Das ist total enttäuschend, da fehlt alles, und es ist zum Teil auch nicht zusammen. Wirklich traurig und keine Werbung für Bartók. 

Nono: Con Luigi Dallapiccola

  Les Percussions de Strassbourg, Experimentalstudio    des SWF

  2012, Neos 

 

… interessant – das habe ich lange Jahre nicht mehr gespielt … Crumb? Nein? Was ist es dann? Nono – ich habe noch nie in meinem Leben was von Nono gespielt, das ist komisch.  … Klingt aber toll – wie heißt das? Con Luigi Dallapiccola: Das muss ich mir aufschreiben. Was mich hier fasziniert, sind die Klänge: Die haben nicht einfach irgendwelche Triangeln genommen, sondern die sind aufeinander abgestimmt – und das macht es dann besonders. Wobei sich die Wahl der Instrumente in den letzten 20 Jahren radikal verändert hat: Früher haben die Komponisten fast alle immer kleine und große Trommel verwendet, Rührtrommel, Xylophon, Becken und Triangel. Mittlerweile ist das Instrumentarium explodiert und es werden von den Komponisten unheimlich viele Instrumente aus Afrika, Asien und Südamerika eingesetzt. Es ist heute sehr viel multikultureller und mit Bezügen aus unterschiedlichsten Musikrichtungen.

 

 Cerha: Konzert für Schlagzeug und Orchester

 Martin Grubinger (Schlagzeug), Wiener  Philharmoniker, Peter Eötvös (Leitung)

 2012, Kairos 

   

Ah! Cerha, Schlagzeugkonzert … Wiener Philharmoniker, Peter Eötvös – verraten Sie mir,  wer der Solist ist? … Ich mag Cerha, aber das könnte man auch besser aufnehmen.  Wissen  Sie, was mir nicht gefällt? Die Tomtoms, unten die Trommeln, die sind zu mulmig:  Die hätte  ich höher stimmen müssen – aber hinterher ist man immer schlauer. … Cerha ist ja zweimal aus der Wehrmacht desertiert und hatte sich dann im Wald versteckt – und diese Szene zum Beginn, das hat er mir mal erzählt, beschreibt, wie es zum Bombenhagel zwischen der deutschen Linie und der russischen Linie kam. Über ihm sind damals die ganze Nacht die Bomben geflogen – und diesen Irrsinn hat er hier musikalisch verarbeitet. Das ist schon faszinierend, wie der Mann das dann in der Musik richtig hörbar macht: Bah-bah-bah-bida – und dazu diese schweren Tuba- und Hornakkorde und dieses wilde Tom-tom-Ostinato. … Und wie er dann im zweiten Satz das musikalisch verändert, das ist genial! Diese Transformation, wo man klar raushört, wo er traditionell herkommt: Zweite Wiener Schule, dieses Streichquintett-Solo – wobei das hier nicht zusammen ist. Das muss ich nochmal neu machen.

 Glennie: Thunder Caves, aus: „Shadow behind the iron  sun“

 Evelyn Glennie (Perkussion)

 2000, RCA Records 

  

Zappa! Nein? … Das ist cool – was ist das? Ich habe es noch nie gehört. Evelyn Glennie?  Toll – besser als der Bartók, viel besser! … Glennie hat unglaublich viel für das Schlagzeug  getan, eine Megaleistung: Sie hat dieses Instrument revolutioniert, auch mit ihren  Kompositionsaufträgen, und hat es in ein ganz anderes Licht gestellt, auf dem wir in den letzten Jahren aufbauen konnten. … Wobei ich nicht verstehe, dass immer noch so wenige Frauen Schlagzeug spielen: Es wird immer noch als ein männliches Instrument wahrgenommen – dabei können Frauen dieses Instrument so ganz anders interpretieren, das ist wunderbar! Bei mir im Ensemble spielt eine Frau, Sabine Pyrker, und was sie an Sichtweisen und Spielstil einbringt, ist so wertvoll!

 Berlioz: Grande messe des morts, 2. „Dies irae“, daraus  Abschnitt „Tuba mirum“

 London Symphony Chorus, London Symphony  Orchestra, Colin Davis (Leitung)

 2013, LSO live 

  

Ist das das Verdi-Requiem? Nein? Ich bin total unsicher … was kann das sein? … Berlioz,  sagen Sie, aus der Grand Messe des Morts? Und was daraus? Aha, der Abschnitt Tuba  mirum spargens sonum aus dem Dies irae – und da sind die 16 Pauken also alle  verschieden gestimmt? Fantastisch! Damit muss ich mich mal mehr beschäftigen – das werde ich mir heute Abend gleich bei iTunes herunterladen. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich das glatt noch bei meinem Song Contest-Beitrag einbauen können.

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