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Interview Valer Sabadus

„In unserer Wohnung war es stets bitterkalt“

Valer Sabadus war siebzehn, als er den Countertenor Andreas Scholl in einer Sendung sah – und so „seine“ Stimmlage entdeckte

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Geboren wurde Valer Sabadus zwar im rumänischen Arad – doch sein sanft rollendes „R“ stammt ohne Zweifel aus dem niederbayerischen Landau an der Isar, wo er aufgewachsen ist. Und wo wohl auch seine Bodenständigkeit herrührt: Ein Leben nur für die Bühne und die Fans kann sich der Countertenor auf Dauer nicht vorstellen – trotz aller Erfolge, die er derzeit feiert.

Sie wohnen in München, Herr Sabadus – wie erleben Sie die Situation mit den zahlreichen Flüchtlinge, die immer stärker das Bild der Stadt prägen?

Valer Sabadus: Erst haben wir uns um den Euro gekümmert, dann um Griechenland – und haben unterschätzt, welch globales Problem die Flüchtlingswelle darstellt. Nun hat sich die Situation zugespitzt und wir sind wirklich überfordert – trotz der unglaublichen Hilfsbereitschaft, die man jedoch nicht überstrapazieren darf. Die Integration wird schwierig, die Menschen haben einen anderen Glauben als wir, sprechen eine andere Sprache: Das alles ist sehr kompliziert und darf nicht schöngeredet werden.

Sie selbst kamen 1991 mit Ihrer Mutter und Ihrem Bruder aus dem rumänischen Arad nach Deutschland – allerdings nicht als Flüchtlinge.

Sabadus: Nein, alles war geplant. Meine Großeltern mütterlicherseits stammten von einer deutschen Minderheit ab, den Banater Schwaben – deshalb bekamen wir die Papiere über die deutsche Botschaft. Wir sind dreisprachig aufgewachsen: Bei den Großeltern sprachen wir Ungarisch, in der Schule wurde Deutsch gelernt und Rumänisch war die offizielle Sprache. Meine Oma lebt bis heute in Temeswar, das man „Klein Wien“ nennt, weil es habsburgisch, von der K.-u.-k.-Zeit geprägt ist. So nennen wir Tomaten „Paradeiser“ oder Schlagsahne „Obers“.

Kurz vor Ihrer Ausreise starb damals Ihr Vater.

Sabadus: Ja, er war herzkrank, was uns so nicht klar war. Er war Cellist im Arader Philharmonieorchester und auf dem Weg dorthin ist er in der Straßenbahn hinter seiner Zeitung praktisch eingenickt, niemand half ihm, da alle dachten, er sei betrunken – er wurde nur 42 Jahre alt …  Da ich erst vier Jahre alt war, habe ich aber nur eine vage Erinnerung an diese Zeit. Nach Kindergarten und der Schule sind wir immer zu unserer Großmutter gegangen: Da war es warm, das Haus hatte genug Strom – in unserer Wohnung im Plattenbau hingegen war es stets bitterkalt. Prägnant war für mich auch die Exekution von Nicolae Ceausescu und seiner Frau …

… im Jahr 1989 …

Sabadus: … wir haben alles im Fernsehen verfolgt. Daran kann ich mich sehr gut erinnern.

Die Rumänen haben damals kurzen Prozess mit dem Präsidentenpaar gemacht.

Sabadus: Ja, das kann man so sagen. Sie sind ja in Südamerika aufgewachsen, dann kennen Sie das: In diesen Ländern schießt man nicht mit stumpfer Munition – auch unser Haus hatte viele Einschusslöcher. Die Hinrichtung der Ceausescus war für uns eine Befreiung: Alle saßen da und haben gejubelt. Mein Bruder, der acht Jahre älter ist als ich, hat die Brutalität und die Grausamkeit des Regimes am eigenem Leibe erlebt: Auf der Straße hat er Tote und Panzer gesehen, bei den Jungen Pionieren wurde er drangsaliert und musste in billiger Kleidung – die überhaupt nicht wärmte – patrouillieren, die Flagge hissen und schreckliche Lieder auf den „großen Führer“ singen. Für ihn war das ein Trauma.

Wie haben Sie Ihre Stimme entdeckt?

Sabadus: Viele wissen schon von klein an, dass sie die neue Callas sind oder der nächste Pavarotti – ich wusste das nicht. Mit siebzehn sah ich zusammen mit meiner Mutter, die Pianistin ist, eine Sendung im Fernsehen, in der Andreas Scholl auftrat – und spontan habe ich versucht, ihn zu imitieren. Meine Mutter hat mich erstaunt angesehen und wir haben sogleich alle möglichen Stücke am Klavier durchprobiert. Dann sagte sie: „Du bist ein Countertenor.“ Ich wusste damals gar nicht, was das bedeutet, sondern dachte nur, ich sei ein schlechter Tenor ohne gute Höhe oder ein schlechter Bariton ohne gute Tiefe. Von Niederbayern, wo ich aufgewachsen bin, habe ich mich dann nach München aufgemacht, in die Kulturhochburg …

… die allerdings keine barocke war …

Sabadus: … nein, wirklich nicht! Es gab an der Musikhochschule so viele Vorbehalte gegenüber barocker Musik. Dabei ist Orlando di Lasso hier gewesen – und auch der ehemalige Intendant der Bayerischen Staatsoper, Peter Jonas, hat viele barocke Opern herausgebracht. Dennoch war es nicht einfach: Man sagte mir, die Stimme sei zu klein, sie trage nicht, ich solle nach Basel oder Köln gehen – die Stimme müsse groß sein, projizieren können. Es ging nur um schneller, lauter, höher! Wenn ich da nicht meine Professorin Gabriele Fuchs gehabt hätte… eigentlich ein lyrischer Sopran hatte sie die richtige Intuition, hat mit meiner Stimme gearbeitet und mein Talent zur Entfaltung gebracht.

Können Sie das Besondere einer Falsett-Stimme wie der Ihrigen beschreiben?

Sabadus: Bei uns schwingen die Ränder der Stimmbänder. Die Stimme kann so in unglaubliche Höhen steigen – und es entsteht der Eindruck, man würde „falso“, falsch singen. Daher das Wort.

Sie mogeln also ein bisschen?

Sabadus: Was soll ich dazu sagen? Für mich ist es die natürlichste Lage der Welt. Vielleicht sind wir etwas exotischer als andere. Im Gegensatz zu einem Sopran und einem Tenor arbeiten wir ja wirklich mit der Randstimme, die müssen wir verstärkt zum Schwingen bringen – während wir den meisten Anteil des Stimmapparats gar nicht nutzen. Ich empfinde das nicht als Mogelpackung, da wir uns einer sehr viel größeren Gefahr aussetzen als andere Sänger: Trainieren wir nicht die richtige Technik oder Ausdauer, dann kann unsere Stimme viel schneller verschleißen. Es hat etwas Artifizielles: ein sehr gekonntes Mogeln, wenn Sie so wollen.

Eine Countertenor-Karriere ist also kürzer als die anderer Sänger?

Sabadus: Es hängt immer sehr von einem selbst ab – aber, ja, wir sind gefährdet. Doch derzeit bin ich sehr glücklich in meinem Beruf, denn die bisweilen kontemplative Stimmung der Caldara-Arien meines neuen Albums hat mich tief berührt. Allerdings könnte ich mir auch andere Aufgaben vorstellen, jenseits der Bühne – etwa im Sozialen: Ich habe einige Zeit bei der Caritas gearbeitet. Zudem sind mir Freundschaften wichtig – und irgendwann möchte ich auch eine Familie gründen.

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