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OPERN-KRITIK: ANHALTISCHES THEATER DESSAU – DER KÖNIG KANDAULES

Mörderisches Glück

(Dessau, 25.2.2023) Alexander Zemlinskys in der Wagner-Nachfolge des 20. Jahrhunderts stehendes großes Musikdrama ist zum Kurt Weill Fest 2023 die auf- und anregende Premiere, die stürmisch umjubelt wird.

vonRoland H. Dippel,

Es gibt mehrere Gründe, Alexander Zemlinskys weitgehend im amerikanischen Exil komponierte und dort bis zu seinem Tod 1942 nicht vollendete Oper „Der König Kandaules“ als Beitrag des Anhaltischen Theaters zum Kurt Weill Fest 2023 zu setzen. Dabei opponierte Weill in den 1920-er Jahren und auch mit seinen amerikanischen Musiktheater-Werken gezielt gegen den Typus des Nach-Wagnerschen Musikdramas, dem Zemlinsky wie Richard Strauss bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts anhingen. In „Der König Kandaules“ geht es um einen Regierungsschwenk von dem lydischen König Kandaules auf den Fischer Gyges. Kandaules drängt in André Gides Schauspiel, ermöglicht durch einen unsichtbar machenden Ring, Gyges, eine Nacht mit seiner Gemahlin Nyssia zu verbringen. Als Nyssia erregende und zuerst Kandaules zugeschriebene Freuden erlebt, dann aber vom hilfreich und gut gemeinten Schacher ihres Gatten erfährt, treibt sie Gyges zum Mord an Kandaules und wird Gyges‘ Gemahlin.

Eine höchst erfolgreiche Inszenierungsreihe von „Der König Kandaules“ folgte seit der Uraufführung an der Staatsoper Hamburg 1996 mit der hoch artifiziellen wie üppigen Instrumentierung des bei der stürmisch bejubelten Dessauer Premiere anwesenden Antony Beaumont. Ein Showpiece ersten Ranges ist diese für die von GMD Markus L. Frank zur Differenzierung angehaltene Anhaltische Philharmonie und die Trias der Hauptfiguren. Fulminant auch die Riege der mit nur zwei Gästen ergänzten und auch aus dem Opernchor des Anhaltischen Theaters besetzten Freunde des Kandaules.

Tilmann Unger (König Kandaules) und Kay Stiefermann (Gyges) in Zemlinskys „Der König Kandaules“
Tilmann Unger (König Kandaules) und Kay Stiefermann (Gyges) in Zemlinskys „Der König Kandaules“

Symbolik des Sehens und Entdeckens

Guido Petzold setzte das vielschichtig schillernde Sujet in ein Fotostudio mit allerlei Scheinwerfer- und Lichtgerätschaften. Vielleicht eine Reminiszenz an die Kurt Weill Fest-Produktion von „Der Zar lässt sich fotografieren“ vor einigen Jahren, gewiss aber ein esinnfällige Chiffre für ein Stück, in dem es viel um Sehen und Nicht-Sehen, Verblendung und Erkenntnis geht. In Silber hüllte Sven Bindseil die paradiesvogelhaften Ästheten aus Kandaules‘ Entourage, die der realen Welt total abhanden gekommen sind. Die originalen Sprechtexte werden durch Mikrofone verstärkt, wenn Gyges und Kandaules aus der Geschichte herauszutreten scheinen und ihre Positionen darstellen. Jakob Peters-Messer, dem Generalintendant Johannes Weigand gern die Inszenierung anspruchsvoller Opern wie „Die Sache Makropulos“ oder „Kantinka und der Teufel“ anvertraut, exponiert den Geschlechterkonflikt mit überspitzender Häme auf einer fast choreographischen Ebene. Noch mehr dekorativ sinnfällige Misogynie in wenigen Minuten geht nicht: Als Gyges‘ betrunkene Frau Trydo nach einer ihrerseits wohl nicht ganz unfreiwilligen Sexkaspade auch noch die ärmliche Fischerhütte abfackelt, ersticht Gyges sie.

Ermely Richters schlichter, einmaliger Auftritt als Trydo setzt im Publikum eine äußerst ambivalente und bis zum Zerreißen gespannte Neugier auf das weitere Geschehen frei. Wenn es ans Eingemachte zwischen den Hauptfiguren geht, stimmen bei Peters-Messer alle Feinmechanismen der großen Emotionen und Kontraste. Königin Nyssia im Moral- und Triebdilemma: Der Schleier soll sie vor verletzenden Blicken schützen, ist aber auch textiler Freiheitsentzug für ihr Geschlecht. Erst zu spät wird Nyssia klar, dass sie in dieselben Situation steckt wie Tyrdo. Aber eine Frau sei immer nur in erotischem Kontakt zu einem, nie zu zwei Männern. Wenn am Ende schwarz vermummte Frauen ihre Dolche gegen die Männer zücken, werden in dieser Zuspitzung durch die Regie die Positionen nur umgekehrt.

Iordanka Derilova (Nyssia) und Tilmann Unger (König Kandaules) in Zemlinskys „Der König Kandaules“
Iordanka Derilova (Nyssia) und Tilmann Unger (König Kandaules) in Zemlinskys „Der König Kandaules“

Grausamer Geschlechterkrieg

Die Geschlechterpolarisierung kommt in Zemlinskys Partitur und ihrer Dessauer Vergegenwärtigung auf eine dunkle, sogar grandiose und sogar angemessen dumpfe Art zum Glühen. Beaumonts dichter Orchestersatz gewährt in 130 Minuten kaum Raum zum psychischen Luft-Schnappen. Frank hält den Sängern trotzdem den Weg frei zu einer Artikulation, welche über das stimmliche Kräftemessen hinausgeht. Aber das verdichtet den Eindruck einer durch Klänge erzeugten Klaustrophobie von perfidem Rausch und erlesener Instinkthaftigkeit. Die Sänger machen mit bei der musikdramatisch aufgeheizten Jagd. Tilmann Unger klemmt sich mit exzessivem Einsatz einerseits in die Höhenritte und in die baritonalen Abstürze des Kandaules, der mehr mit der Aufhübschung seines Ambientes als den Seelenregungen seiner schönen Nyssia beschäftigt ist. Bei ihm hört man den „Turandot“-Effekt, dass sogar Lyrisches massives Gewicht und hochdramatischen Drive hat. Der partienerfahrene Kay Stiefermann ist als Gyges im szenischen Auftreten von biederer Schlichtheit und nachdrücklichem Ernst, modelliert auch in der Diktion starke Kantilenen. Das Tohuwabohu der Emotionen setzt Peters-Messer mit einem Tohuwabohu der Körper auf der Bühne dort fort, wo Zemlinsky offen lässt, wie denn die Königin Nyssia steht zwischen Befreiungsschlag und Fortsetzung der alten Unterdrückungsmechanismen.

Intensiv: Iordanka Derilova

Iordanka Derilova (Nyssia) in Zemlinskys „Der König Kandaules“
Iordanka Derilova (Nyssia) in Zemlinskys „Der König Kandaules“

Nach expressiven und deklamatorischen Zwischenwürfen hat Iordanka Derilova im Schlussakt, wenn Nyssia Gyges zum Sühnemord an Kandaules treibt, ein ganzes Diadem großartiger Momente. Sie übertrumpft Zemlinsky in den Eskalationen mit einer fast zu gesunden Farb- und Strahlkraft, in der das Freiheitsfunkeln noch intensiver leuchtet als in den dramatischen Situationen nötig. Am Ende kommt die trotz Gestenreichtum leicht statuarische Ästhetisierung mit der in den1930-er Jahren nicht mehr ganz glaubhaften Symbolismus- und Dekadenz-Überwältigung doch noch ins erfolgsträchtige Gleichgewicht. In Guido Petzolds Fotostudio erstarren die horriblen Geschlechterkämpfe zu mit Schönheit und Blut geeisten Augenblicken.

Anhaltisches Theater Dessau
Zemlinsky: Der König Kandaules

Markus L. Frank (Leitung), Jakob Peters-Messer (Regie), Guido Petzold (Bühne, Lichtdesign & Video), Sven Bindseil (Kostüme), Marie Poll (Dramaturgie), Iordanka Derilova, Tilmann Unger, Kay Stiefermann, Kostadin Argirov, Musa Nkuna, Baris Yavuz, Pawel Tomczak, Yunus Schahinger, Alexander Dubnov, David Ameln, Stephan Biener, Cezary Rotkiewicz, Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Anhaltische Philharmonie Dessau

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