Neuentdeckt: Der Turmbau zu Babel erobert deutsche Bühnen

Die Sehnsucht, einander zu verstehen

Es ist ein aktueller und derzeit viel bearbeiteter Stoff: Beim biblischen Großprojekt „Turmbau zu Babel“ konnten sich die Menschen irgendwann nicht mehr verständigen, weil auf der Baustelle zu viele verschiedene Sprachen gesprochen wurden

© gemeinfrei

Das Gemälde Der Turm zu Babel von Pieter Brügel dem Älteren

Das Gemälde „Der Turm zu Babel“ von Pieter Brügel dem Älteren

Flüchtlingsströme und Ausbrüche von Rassismus haben unsere Gesellschaft und die öffentliche Debatte in den letzten Jahren stark verändert. Das Problem wurzelt auch darin, dass viele die Begegnung mit dem Fremden verunsichert – kulturelle und sprachliche Unterschiede sind Barrieren im Umgang miteinander. Ein Sinnbild dafür findet man schon in der Bibel. Ein Turm, der bis zum Himmel reicht, war die Vision eines gemeinsamen Projektes! Die Menschen von Babylon zogen damit aber den Zorn Gottes auf sich, der fürchtete, „dass ihnen nichts mehr unerreichbar sein“ würde. Ihm ging es darum, den menschlichen Größenwahn zu brechen, als er ihre Sprache verwirrte, um den Abschluss des Unternehmens zu vereiteln.

Man kann das so verstehen: Wo Menschen gemeinsam anpacken, gelingt ihnen so Erstaunliches, dass es die Götter mit der Angst zu tun bekommen. Eine Auslegung, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt denkbar motivierend ist. Aber was passiert mit unserer Gemeinschaft, wenn wir uns nicht mehr verständigen können? Ist es die Angst vor dem kollektiven Scheitern, die uns dann innerlich Grenzen ziehen lässt?

Woran liegt es, dass wir einander oft nicht verstehen?

© Josef Scherer

Saarländisches Staatstheater

Saarländisches Staatstheater

Babylon lebt weiter, auch auf deutschen Bühnen. Schon im Februar dieses Jahres hatte am Saarländischen Staatstheater die Produktion „Babel. Turmhohes Verständnis“ Premiere. Das Ensemble der Neugierigen spürte dort der Frage nach, woran es liegt, dass wir einander oft nicht verstehen.

Und die Kinderoper „BABbEL“ von Paula Fünfeck ist dieser Tage im Rahmen des Projektes „Oper aus dem Koffer“ zu Gast an deutschen Schulen. Das Werk für eine Stimme, Perkussion und Posaune aus dem Jahr 2016 wird außerdem im Januar 2019 in einer Neuinszenierung von Neil Barry Moss an der Staatsoper Hannover Premiere feiern. Fünfeck erzählt davon, dass wir zu Egoisten werden, wenn wir fanatisch und alle Kollateralschäden in Kauf nehmend ein Ziel verfolgen. Außerdem wird in der Musik die eine Sprache wiederentdeckt, die alle Menschen verstehen.

Im Berliner Festspielhaus stellt sich die Perform[d]ance Jugendcompany aus Stralsund dem babylonischen Rhythmus aus Klang- und Sprachgewirr. Die Choreografie von Stefan Hahn und Dajana Voss beruht auf dem Hörspiel „Tower of Babel“ von Robert Wilson und ist am 21. September in der multilingualen Hauptstadt zu sehen. Hier geht es um die „Versinnbildlichung der in Wiederholungen gefangenen Geschichtsschreibung und den Kern unseres Menschseins“.

Eine Oper über Babylon an der Staatsoper Unter den Linden

© Max Lautenschlaeger

Staatsoper Unter den Linden bei Nacht

Staatsoper Unter den Linden bei Nacht

Im März wird der Babylon-Reigen durch die Uraufführung eines Bühnenwerks von Jörg Widmann an der Staatsoper Unter den Linden fortgeführt. Der Stoff wird aber nicht zum ersten Mal die Vorlage für eine abendfüllende Oper sein. Bereits 1870 wurde Anton Rubinsteins „Der Turm zu Babel“, ein heute fast vergessenes Werk, in Königsberg uraufgeführt. Auch hier ist die Sprachverwirrung als göttliche Strafe dargestellt. Bei Widmann hingegen, der eine frühere Fassung seiner Oper „Babylon“ bereits 2012 an der Bayerischen Staatsoper München herausgebracht hat, erscheint die antike Metropole als kultureller Schmelztiegel und aufgeheizter Sprachkessel. Nicht nur auf der Bühne prallen Welten aufeinander, auch aus dem Orchestergraben heraus wird ein kontrastierender Stilpluralismus erklingen, der ein Netz von Bezügen durch die Musikgeschichte spannt.

Die zeitgenössischen künstlerischen Auseinandersetzungen mit Babylon verfolgen also ganz unterschiedliche Ansätze. Doch thematisieren sie zumeist, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise, die menschliche Sehnsucht nach einer Kommunikation, die alle Mitglieder einer Gesellschaft einbeziehen kann. Bei Widmann hingegen können wir erleben, wie Grundverschiedenes nebeneinander stehen kann, ohne dass daraus eine existenzielle Bedrohung erwächst. Insofern können diese Arbeiten über Babylon Blicke darauf eröffnen, wie ein Zusammenleben aussehen könnte, das Differenzen überwindet.

Hören Sie hier die Ouvertüre zu Rubinsteins „Der Turm zu Babel“:

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Mehr Informationen

concerti Termintipps:

Fr. 21.9.2018 19:00 Uhr
Haus der Berliner Festspiele
Wilson: Babel
Perform[d]ance Jugendcompany, Stefan Hahn & Dajan Voss (Choreografie)

Mi. 9.1.2019 11:00 (Premiere)
Staatsoper Hannover
Fünfeck: BABbEL
Florian Groß (Leitung), Neil Barry Moss (Regie & Kostüme)
weitere Termine: 10., 16., 17., 23., 29. & 30.1., 15.2., 3. & 25.4., 17. & 21.5.2019

Sa. 9.3.2019 18:00 Uhr (Uraufführung der neuen Fassung)
Staatsoper Unter den Linden
Widman: Babylon
weitere Termine: 11., 20., 22. & 24.3.2019

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