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Opern-Kritik: Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz – Don Buonaparte

Melodienseliges Spätwerk

(Annaberg, 14.10.2023) Lange Zeit war er ebenbürtiger Rivale Puccinis, nun feiert der 1942 verstorbene italienisch-jüdische Komponist Alberto Franchetti seine Renaissance – mit einer posthumen Uraufführung.

vonRoland H. Dippel,

Moritz Gogg setzt seine mit Amtsantritt als Intendant des Eduard-von-Winterstein-Theaters begonnenen Randstreifzüge im Musiktheater zielstrebig wie überraschungsreich fort. Nachdem Christian von Götz‘ Inszenierung von Ralph Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ den BR Operettenfrosch einheimste, folgt im Dezember mit Hugo Hirschs „Der Fürst von Pappenheim“ die nächste aufsehenerregende Operetten-Entdeckung. Damit zieht Gogg überregionale Aufmerksamkeit in das kleine Haus mit Familiencharme. Zwischen den Operetten folgte jetzt eine stürmisch umjubelte Opernuraufführung.

Entstehung 1939 – posthume Entdeckung

Der Erfolg von Alberto Franchettis Dreiakter „Don Buonaparte“ hat in Annaberg vor allem zwei Gründe: Zum einen bietet die liebevolle Inszenierung von Lev Pugliese realistische Kostüme in einem Ambiente mit flackerndem Herdfeuer, stilisierter Toskana-Folklore und von Weinlaub berankten Gutsgemäuern vor südlichem Himmel. Zum anderen rührt die Handlung der Komödie ans Herz.

Opernchor und Extrachor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Solist_innen Musiktheater
Opernchor und Extrachor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Solist_innen Musiktheater

Es geht vor allem darum, dass der Landpriester Don Geronimo lieber weiterhin in der Toskana bleibt und dort seine Gemeinde-Schäfchen hütet, als in Paris bei seinem Neffen Napoléon Bonaparte Karriere zu machen. Auch die Bevölkerung bescheidet sich nach lustvollen Lockungen Richtung Paris für die heimische Scholle. Nur die junge Mattea gibt dem Kirchendiener Maso den Laufpass und folgt einem strammen französischen Korporal.

Mussolini hatte kein Interesse an dem Stück und seinem Schöpfer

Alberto Franchetti komponierte das anno 1939. Mussolini hatte kein Interesse an dem Stück und favorisierte weiterhin Pietro Mascagni. Der Jude Franchetti, in seinen Jugendjahren einer der reichsten Männer Italiens und lange Zeit ebenbürtiger Rivale Puccinis, überlebte dagegen bis zum seinem Tod 1942 den verblassenden Nachruhm seiner früheren Opern. Das Textbuch verfasste Giovacchino Forzano, Librettist von Puccinis „Il trittico“ nach einer eigenen Komödie, die 1941 auch verfilmt wurde.

Volker Tancke (Ein Mönch), Jakob Hoffmann (Ein Ritter), László Varga (Don Geronimo) und Richard Glöckner (Ein Advokat)
Volker Tancke (Ein Mönch), Jakob Hoffmann (Ein Ritter), László Varga (Don Geronimo) und Richard Glöckner (Ein Advokat)

Starke Fürsprecher für Franchetti versammeln sich

Seit Jahren ist der Autor Helmut Krausser ein passionierter Anhänger Franchettis, er hält „Don Buonaparte“ für eine der größten Opern des 20. Jahrhunderts. Hochgestimmter Enthusiasmus trieben Krausser und alle Beteiligten der Uraufführungsproduktion. Angeregt hatte dieses hoch ambitionierte Projekt GMD Jens Georg Bachmann.

Man holte sich den Beistand von Richard Erkens, Präsident der italienischen Franchetti-Gesellschaft, durch den fotografierte Partiturseiten in den Besitz von Helmut Krausser kamen, dieser nahm einige nötige Textergänzungen vor. Schließlich legte Lev Pugliese einige Bildanimationen und VR-Zusätze über den sentimentalen Szenenschimmer, mit dem er das Weltabschiedswerk des 80-jährigen Franchetti atmosphärisch absicherte und eventuelle Fragen zu Franchettis Haltung zum Zeitgeschehen um 1940 neutralisieren wollte.

Corentin Backès (Maso, Kirchendiener), Kerem Kurk (Der Korporal) und Sophia Keiler (Mattea)
Corentin Backès (Maso, Kirchendiener), Kerem Kurk (Der Korporal) und Sophia Keiler (Mattea)

Große Liebe zur Toskana

Positiv: Hier steckt ein Priester einmal nicht in verborgenen Liebes- und Leibesnöten, weiß deshalb objektiv das Beste für sein Umfeld. Franchettis Werk, das an ländliche Opernkomödien wie Donizettis „L‘elisir d’amore“ anknüpft, ist ein Liebeslied an die Toskana wie Puccinis 20 Jahre früher entstandener „Gianni Schicchi“. Dieser Vergleich gerät zur starken Bürde, gerade weil sich die Erzgebirgische Philharmonie, die Chöre und das bewundernswert motivierte Ensemble dem matten Verismo-Abgesang Franchettis vollauf gewachsen zeigten. Von der Geschmeidigkeit, der schnellen Verve und den akuten Klangreaktionen wie in Verdis „Falstaff“ und „Gianni Schicchi“ schreckte der in jüngeren Jahren äußerst innovative und risikobereite Franchetti zurück.

Im zweiten und dritten Akt reihen sich Minuten im gleichen Taktmaß, laufen Rhythmus- und Melodiengebilde ohne Impulse durch Text und Handlung weiter. Franchetti besann sich auf die geschlossenen Nummerngebilde des mittleren Verdi. Harfen-Akkorde im Militärmarsch und Synkopen-Akzente der Holzbläser in Streicherchören sind Reminiszenzen an Innovationen, die Franchetti vor Jahrzehnten selbst im künstlerischen Dialog mit Puccini und Catalani entwickelt hatte. Der für das mittelgroße Orchester vereinfachte Satz wirkt in Annaberg dabei weitaus raffinierter als jener des späten Mascagni.

Richard Glöckner (Ein Advokat), László Varga (Don Geronimo), Volker Tancke (Ein Mönch) und Jakob Hoffmann (Ein Ritter)
Richard Glöckner (Ein Advokat), László Varga (Don Geronimo), Volker Tancke (Ein Mönch) und Jakob Hoffmann (Ein Ritter)

Paradepartie für Bassbariton

Von den zahlreichen Partien reicht keine an die Titelfigur Don Geronimo heran. László Varga ist ein recht junger Priester mit mehreren ausgedehnten Soli. Dass Geronimo das schmale Angebot an großen Bassbariton-Partien in italienischen Opern bereichert, könnte der wesentliche Grund für weitere Produktionen von „Don Buonaparte“ sein. Varga verzichtet gegen Ende auf die kräftigen Akzente und gibt der Partie damit einen weichen Fluss, der dem Werkganzen gut ansteht. Sophia Keilers angenehm dunkler und noch leichter Sopran veredelt die ihr Glück in Frankreich suchende Mattea. Corentin Backes gibt mit schönem Timbre den zurückgewiesenen Maso. Jinse Park ist ein autoritärer, fast grober General, und Kerem Kurk eifert ihm als Korporal mit Glück bei den Frauen nach. Mit zwei Nebenpartien muss sich diesmal Annabergs große Tenor-Hoffnung Richard Glöckner begnügen, und Bettina Grothkopf gibt bemerkenswert jugendfrisch Matteas Mutter Maria.

Hohen Anteil an der guten Wirkung haben die von Daniele Pilato wirkungsvoll aufgerüsteten Chöre: Für eine italienische Oper dieser Jahre enthält das Werk relativ viele Chorauftritte: Ein ausgedehntes Gebet, eine folkloristische Paradenummer und einen schönen a-cappella-Satz der Männergruppe. Immer wieder legt Pugliese goldgelbes Licht auf die Interieurs und das Toskana-Ambiente. Viele Premierengäste zeigten sich beglückt von dieser noblen wie dekorativen Lesart. So gerät die Annaberger Uraufführung zu einem Appetizer, welcher Hunger auf Aspekte von „Don Buonaparte“ macht, welche hier ausgespart wurden. Nur 15 Jahre trennen „Don Buonaparte“ von der Opernkomödie „Der Florentiner Strohhut“, in der Nino Rota mit einer ganz anderen Qualität und weitaus mehr Witz das Erbe von Belcanto und Verismo reflektierte. Dem Publikum gefiel Franchettis milder Opernherbst außerordentlich gut.

Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz
Franchetti: Don Buonaparte

Jens Georg Bachmann (Leitung), Lev Pugliese (Regie & Ausstattung), Daniele Pilato (Chor), Lür Jaenike (Dramaturgie), Dominik Kwetkat (Film & Schnitt), László Varga, Maria Rüssell, Bettina Grothkopf, Sophia Keiler, Jinsei Park, Kerem Kurk, Corentin Backès, Richard Glöckner, Jakob Hoffmann, Volker Tancke, Lukáš Šimonov, Yuta Kimura, Jakob Hoffmann, Christian Harnisch, Leo Tennler, Opernchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Extrachor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Erzgebirgische Philharmonie Aue

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