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Feature: Sieben Opernhäuser, die immer eine Reise wert sind

Große Oper in Europa

Die in alter Grandezza erstarrenden Traditionstempel der Oper kennt jeder. Längst lösen heute ganz andere Häuser ein, was die alten zu oft nur mehr versprechen. Wir verraten sieben Geheimtipps: Europäische Opernhäuser, die immer eine Reise wert sind.

vonPeter Krause,

Die Tempel der Stars und der Opern-Opulenz sind allseits bekannt: Wer sich in dieser Hinsicht mal etwas gönnen will, peilt Mailand oder Wien, München oder London für einen Kurztrip an. Doch nicht immer sorgt das dort Erlebte für Erfüllung, mitunter ist die Enttäuschung größer, als die an einem Abend in Summe gezahlten Gagen es vermuten lassen. Für positive Überraschungen sorgen indes immer wieder die europäischen Häuser in der (angeblichen) zweiten Reihe. Wir verraten, welche es sind: sieben Geheimtipps, sieben Opernhäuser, die eigentlich immer eine Reise wert sind.

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1. Opéra national de Lorraine in Nancy, Frankreich

Die kleinste Staatsoper Frankreichs liegt natürlich nicht in der Hauptstadt, sondern im beschaulichen Lothringen mit seiner bezaubernden mittelalterlichen „vieille ville“ und einem der schönsten Plätze in ganz Europa: Direkt an der Place Stanislas prangt sie, die Opéra national de Lorraine. Das Opernhaus von Nancy hat zwar nur die Größe eines deutschen Stadttheaters, doch es bewirkt mit seinem kaum 40 Jahre jungen Intendanten Großes. Matthieu Dussouillez leitet ein Haus, in dem ein genuin europäischer Geist weht. Je nach den spezifischen Anforderungen, die ein Werk stellt, wählt er seine Regieteams aus, italienische und deutsche Regisseure und Regisseurinnen stehen selbstverständlich neben französischen. Er bedient sich in seiner der eigenen Neugier folgenden Auswahl weniger bei den etablierten Namen, sondern gibt auch mal den sich emanzipierenden einstigen Assistenten großer Regisseure eine Chance. Auch über die oft überraschenden Sängerdebüts entscheidet der Chef selbst. Der Spielplan vereint klassische Titel mit Uraufführungen und ungewöhnlichen Kreationen, die nicht zuletzt das junge Publikum mit seinem Haus und der Kunstform vertraut machen. Nancy ist das Opernhaus der Entdeckungen.   

2. Théâtre du Châtelet in Paris, Frankreich

Die Fahrt mit dem TGV von Nancy nach Paris dauert zwar weniger als 100 Minuten, gefühlt liegen dennoch Welten zwischen der entspannten und der stolzen Schönen. Ein Haus, in dem dort freilich so gar kein Opern-Snobismus herrscht, sondern sich die Zielgruppen ganz locker mit einem hohen Anteil junger Leute mischen, liegt in unmittelbarer Nähe der Seine, unweit des Louvre. Architektonisch kaum weniger imposant ist das 1862 eröffnete Théâtre du Châtelet dennoch die dramaturgisch durchlässigere, programmatisch vielfältigere Variante als die beiden etablierten Staatsopern der Metropole. Historisch legendär sind die Gastspiele bedeutender Ballettkompagnien und die Phase mit hochkarätigen Operettenproduktionen. Heute besticht das Haus unter der Leitung seines Künstlerintendanten, des Regisseurs Olivier Py, mit seinem Mix aus Konzerten, Musicals und Opern, letztere gern mit Ensembles der Historischen Aufführungspraxis und in attraktiven Koproduktionen sowie oft weit gewagteren Regiehandschriften als an der Bastille.

3. Opéra Royal in Versailles, Frankreich

Mit der Regionalbahn geht es weiter in die Stadt der französischen Kaiser – nach Versailles. Anders als der Prunk des Spiegelsaals und die das Schloss flutenden Touristenströme es vermuten lassen, ist die Kleinstadt auch ein Kleinod. Just im Schloss liegt, für viele nur die Highlights abhakenden Besucher unbekannt, die Opéra Royal, jenes zauberhafte historische Holztheater, das1770 in der Regierungszeit Ludwig XV. als eines der letzten großen Bauprojekte des Ancien Régimes vollendet wurde. Der Direktor von Château de Versailles Spectacles realisiert hier einen in dieser Form weltweit einmaligen Spielplan. Laurent Brunner bringt neben Konzerten und konzertanten Opernvorstellungen pro Saison bis zu 14 szenische Opernproduktionen aus Barock und Klassik in historischer Aufführungspraxis heraus – mit dem Who is Who der französischen wie der internationalen Szene all der exquisiten Ensembles der Alten Musik. Die Qualität ist so exquisit wie die Akustik exzellent.

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4. Opéra national du Capitole in Toulouse, Frankreich

Auch ganz im Süden der französischen Republik, Spanien ist nicht weit, liegt ein Opernhaus, das stets eine eigene Reise wert ist. Die Opéra national Capitole liegt am imposanten, von Cafés gesäumten, ihm seinen Namen gebenden Platz und damit im absoluten Herzen von Toulouse. Das Programm des Stagione-Theaters reicht perfekt ausgewogen von Händel über den Belcanto bis zur Uraufführung, ein verblüffender Schwerpunkt liegt aber auch auf Richard Wagner und Richard StraussRichard Strauss. Denn die Melomanen in Südfrankreich haben ein ausgeprägtes Faible für große Stimmen, mithin für dramatische Soprane sowie Heldentenöre und -baritone. Und gerade für das Aufspüren exquisiter Vertreter dieser große Stimmfächer ist Christophe Ghristi ein selten gewordener Fachmann. Dem Künstlerischen Direktor der Opéra national du Capitole gelingt es seit Jahren, internationale Spitzensänger nach Toulouse zu locken, die an seinem Theater mit Rollendebüts den nächsten Schritt in dramatische Gefilde wagen wollen. Und sein Faible in Regiedingen gilt dem klassischen Geschichtenerzählen: Hier gibt es mediterrane Magie zu bestaunen, deutscher Dekonstruktionsfuror ist out.

5. Landestheater Linz, Österreich

Der Weg gen Norden führt uns über Linz. Das dortige Musiktheater findet in seinem einladenden niedrigschwellig neuen Haus erst seit zwölf Jahren sein Zuhause. Und doch entfaltet das Landestheater Linzin Österreich längst eine starke Strahlkraft jenseits der Traditionsmetropole Wien. Und punktet mit angenehmem Understatement. Konstante und Garant des Erfolgs ist das warm tönende Bruckner Orchester Linz, das in der Spätromantik von Wagner und Strauss keine Konkurrenz zu scheuen braucht. Doch der klassische Kanon wird hier beherzt ergänzt durch Qualitätsmusicals und das zeitgenössische Tanztheater. Hermann Schneider erweist sich in seiner Intendantenrolle nicht als Stücke zerstörender Bilderstürmer, sondern als ein nachhaltiger Neuerer, der mit der Sparte des Jungen Theaters und attraktiven Produktionen auf der Studiobühne die kommende Generation anlockt.

6. Dutch National Opera in Amsterdam, Niederlande

Auch die Dutch National Opera punktet zu allererst durch ihren nah ans Wasser gebauten Saal, der 1986 seine Pforten öffnete, freilich in seiner Offenheit ausstrahlenden Atmosphäre noch deutlich jünger wirkt. Amsterdam hat ein Opernhaus für alle. Konzeptionell führte bereits der jüngst verstorbene Pierre Audi das Haus an die Spitze der europäischen Oper, Sophie de Lint hält seit 2018 den Kurs in Richtung Zukunft. Jüngster Höhepunkt war ein Puccini-Zyklus von Regiestar Barrie Kosky, den der junge wilde, jetzt scheidende Chefdirigent Lorenzo Viotti musikalisch in die Sphären der Erfüllung hievte.

7. Den Norske Opera in Oslo, Norwegen

Noch eine ganze Spur spektakulärer geriet der am Hafen gelegene Neubau der Oper in Oslo: Den Norske Opera bindet ihr maritimes Ambiente mit weiten transparenten Fensterfronten großzügig ein. Kaum ein anderes Haus in Europa setzt so sehr auf die Geste der Offenheit. Hier nimmt man des Mittags mal schnell einen Kaffee im Foyer ein oder steigt im Winter auf das begehbare Dach des Theaters und genießt den Weitblick. Programmatisch liegt das Haus in der Mitte des Kontinents. Der norwegische Regiestar Stefan Herheim inszeniert hier so erfolgreich wie seine deutschen Kollegen Christof Loy oder Tobias Kratzer. Einziger Wermutstropfen: Das Bier nach der Vorstellung kostet in Norwegen so viel wie sonst nirgends in Europa.

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