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Opern-Kritik: Theater Lübeck – Tosca

Und es spritzte das Blut

(Lübeck, 18.11.2016) Regisseur Tilman Knabe und GMD Ryusuke Numajiri nehmen Puccinis Verismo realitätsprall beim Wort

vonPeter Krause,

Was macht eine Frau zur Mörderin? Das angeblich schwache Geschlecht zum Mitglied von Terrortrupps? Junge Mädels zu Anarcho-Aktivistinnen, die keine Hemmungen kennen, einen Mann seines besten Stücks zu berauben und nach erfolgter Bluttat mit der Trophäe gar für ein Foto zu posieren, das sie dann alsbald im weltweiten Netz verbreiten? Die vorangegangene Erniedrigung muss entsetzlich gewesen sein, bis eine Frau zum äußersten Mittel der Gewalt greift. Puccini – als Schöpfer der Butterfly oder der Turandot fürwahr ein Frauenversteher – gibt just einer solchen Frau Gestalt und Stimme: Seine Tosca wird zur Mörderin an ihrem Peiniger Scarpia, dem sadistischen Polizeichef von Rom, der ihren Geliebten Cavaradossi gefangen hält – nicht nur weil er Mitglied der oppositionellen, antimonarchistischen „Verräter“ ist, sondern auch, weil der böseste Fiesling der Operngeschichte den schönen Körper der Sängerin Tosca gierig begehrt. Er will Sex, dafür bietet er Freiheit für den Maler Cavaradossi.

Ein Abend mit Skandalpotenzial

In handelsüblichen Inszenierungen von Puccinis Verismo-Schocker werden die Schockeffekte des Stücks freilich meist abonnentenfreundlich abgemildert. Die Folterung Cavaradossis wird mit ein paar Schreien aus dem Off konsumabel gemacht, das Te Deum als weihrauchgeschwängerter katholischer Gottesdienst zelebriert, die zwischen den lateinischen Liturgiezeilen auf Italienisch gefeierte schwarze Messe des Scarpia („Tosca, Du machst mich Gott vergessen“) geflissentlich ausgeblendet. An der Trave ist nun in mutiger szenischer Deutlichkeit zu sehen, was Text und Musik nicht nur andeuten, sondern nahelegen: ein blutspritzendes Drama um Liebe und Politik. Tilman Knabe verantwortet das krasse Spektakel, das der Regisseur in blutigen Bildern und dennoch viel psychologischer Feinzeichnung und enormer Glaubwürdigkeit auf die Bühne des Theater Lübeck bringt. Der Abend hat Skandalpotenzial, es gibt Zwischenrufe und ein paar erboste Opernfreunde, die sich noch an die „schöne“ Tosca an der New Yorker MET erinnern, von der nun hier im Norden des deutschen Regietheaters so gar nichts übrig sei.

Menschen aus Fleisch – und Blut

Was indes nicht stimmt. Denn in Lübeck wird erstens exzellent gesungen, zweitens schlicht und einfach das Konzept des Verismo in die sehr realitätssatte Tat umgesetzt. Schließlich wollte Puccini das pralle Leben gleichsam ungeschminkt auf die Bühne bringen und die gattungstypische Stilisierung edler Helden überwinden – zugunsten von Portraits echter leidender wie leidenschaftlicher Menschen aus Fleisch – und Blut.

Terror auf beiden Seiten

Tilman Knabe nimmt die naturalistische Spielart des Musiktheaters, den Verismo, also nur ernster als das gemeinhin üblich ist. Im Furor der Aktualisierung mag er hier und da übers Ziel hinausschießen, was manchen Regieeinfall dann eben prompt zum Stein des Anstoßes bei traditionsgewohnten Teilen des Publikums macht, im Ganzen ist sein Inszenierungsansatz aber von absoluter Stimmigkeit und von packender Wucht. Ganz bei den Veristen ist der Regisseur, wenn er deren illusionslose Analyse des Menschen nachvollzieht: Gut und Böse war einmal – im Märchen und in all jenen Opern, die Hollywood mit seinem Erfordernis des Happy End vorwegnahmen. Die Leidenschaften des gesammelten „Tosca“-Personals sind zu extrem, um einfach nur gut oder nur böse zu sein. Also ist nicht nur der Herr Scarpia ein Schwein von einem Mann, eine lebenspralle Inkarnation des Bösen im Banalen eines einst wie heute real existierenden Stasi-Systems von Repression und Angst. Auch die, und das ist hübsch feministisch gedeutet, aufständische, dezidiert weibliche Kampfeinheit aus Syrien, Kurdistan, Afghanistan oder gar Italien, die unter Führung der hier endlich mal leibhaftig auftretenden Marchesa Attavanti für Freiheit und Frauenrechte eintritt, ist keine Ansammlung von netten Gutmenschen-Punks. Ihre Brutalität kennt keine Moral und keine Grenzen. Sie gehen genau wie ihre Peiniger über Leichen.

Brechts Dreigroschenopern-Diktum „Und die getreten werden, treten wieder“ findet indes auch für die andere Seite ihre Entsprechung. So wird Scarpias Gewaltrausch psychologisch erklärbar: Der Herr der Folterknechte ist eben auch nur Teil einer Kette der Gewalt: Die Security der in die Inszenierung eingebauten Königin Maria Carolina bestraft den Mann fürs Grobe seinerseits für seine denn doch zu strikte Auslegung seines Gewaltmonopols.

Extrem intensives Musiktheater

Aufregend im besten Sinne ist an diesem extrem intensiven Musiktheaterabend, dass die Musik in ihrer radikalen rohen Qualität neu erfahrbar wird. Jenseits jeder sanglich fließenden Belcantowohligkeit schärft GMD Ryusuke Numajiri mit Lübecks Philharmonikern die Ecken und Kanten, das hoch Moderne, Heftige, und Kreischende der Partitur. Diese Musik ist zuerst wahr, und darin dann durchaus an zweiter Stelle auch schön, weil ergreifend. Das Sängerensemble ist enorm. Erica Eloff spielt und singt die grandiose Borderline-Tosca, die immer wieder zu ihren Pillen greift. In ihrem im Liegen und dabei in perfekter Atemkontrolle gesungenen „Vissi d’arte“ scheint ein Erinnerungsmoment an ihre Kindheit auf – der Missbrauch durch einen katholischen Priester. Zurab Zurabishvili ist hier weniger Kirchenmaler denn Straßenkünstler, ein Cavaradossi mit sicher fokussierten Spitzentönen und toller Durchschlagskraft.

Ein Musterbeispiel an kluger Deklamation, dynamischer Differenzierung und absoluter geistig wie gefühlsmäßiger Durchdringung der Partie gibt Ensemblemitglied Gerard Quinn als Scarpia. Der Bariton muss nicht brüllen, um die lauernde Gefährlichkeit dieses Fieslings zu vermitteln, der natürlich brutaler Täter ist, aber doch auch ein von seinen Leidenschaften übermannter Mensch.

Theater Lübeck
Puccini: Tosca

Ausführende: Ryusuke Numajiri (Leitung), Tilman Knabe (Regie), Wilfried Buchholz (Bühne), Gisa Kuhn (Kostüme), Erica Eloff (Floria Tosca), Zurab Zurabishvili (Mario Cavaradossi), Gerard Quinn (Baron Scarpia), Taras Konoshchenko (Mesner), Seokhoon Moon (Cesare Angelotti), Grzegorz Sobczak (Sciarrone & Kerkermeister), Emma McNairy (Hirte), Chor und Extrachor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

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