Startseite » Oper » Fragwürdige Exotismen

Opern-Kritik: Oper Köln – Giulio Cesare in Egitto

Fragwürdige Exotismen

(Köln, 6.5.2023) Modezar Christian Lacroix kreiert für Caesar einen Feldherrnmantel, der heißer Kandidat für das eindrucksvollste Kostüm der Spielzeit ist. Regisseur Vincent Boussard bedient für seinen Händel so einiges an exotischen Klischees, um sie stante pede wieder zu hinterfragen. Und das Gürzenich-Orchester unter Rubén Dubrovsky lässt sich tänzerisch und voller Verve vernehmen.

vonMichael Kaminski,

Tolomeo, der Brudergemahl und Rivale Königin Kleopatras steht als historische Figur völlig im Schatten der Schwester und selbstredend Julius Caesars. In Händels Oper „Giulio Cesare in Egitto“ ist das anders. Hier treibt Tolomeo sein Unwesen als orientalischer Despot von Graden. Das Ekelpaket sinnt auf feige Mordanschläge, perfide Intrigen, Vergewaltigung und alle Arten von Ausschweifung. Freilich hält Tolomeo damit die Opernhandlung in Gang. Bei Regisseur Vincent Boussard agiert der Möchtegern-Pharao als völlig auf seinen Phallus fixiertes Scheusal. Bald schon erlangen die Exzesse einen Grad an Unausstehlichkeit, auf dem sich die Frage erhebt, ob der Widerling hier lediglich seine persönliche Niedertracht auslebt oder die Laster einer Methode gehorchen. Der Mord an Pompeius hatte das klare Ziel, sich Caesar gewogen zu stimmen. Tolomeo identifiziert den Feldherrn zugleich als imperialistische Gefahr wie möglichen Verbündeten im Kampf wider die Aspirationen Kleopatras. Dem römischen Machtkalkül setzt er seine völlige Unberechenbarkeit entgegen. Nachdem er in Caesar den Feind erkannt hat, durchaus auf der Erfolgsbahn: bis zum Beinahe-Untergang des Feldherrn.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Europäische Orientklischees

Überdies repräsentiert für Boussard der dekadent-brutale Ägypterkönig die eine Seite dessen, was aus europäischer Sicht zur vermeintlich exotischen Erscheinung orientalischer Herrschergestalten wesentlich beiträgt. Für die Kehrseite steht Kleopatra, geschmeidig wie die katzengestaltige ägyptische Liebesgöttin Bastet, majestätisch wie die sich aufrichtende Kobra in der altägyptischen Krone. Boussard bedient solche Klischees, um sie stante pede zu hinterfragen. Nicht anders als der Bruder befindet sich Kleopatra im Existenzkampf. Unterliegt sie, ist sie eine tote Frau und Ägypten entweder Beute des Despoten Tolomeo oder der Römer. Nur sind der Königin Mittel weitaus subtiler. Mit welchem Fingerspitzengefühl sie sich die Leidenschaft und Gunst Caesars erwirbt, weiß Boussard voll merklicher Sympathie für die Figur zu erzählen. Ob dies die Aufspaltung in eine Sängerin und eine Schauspielerin erfordert, die abwechselnd die gewinnende und die rein machtpolitische Seite der Königin hervorkehren, steht auf einem anderen Blatt. Die weiters eingesetzten Schauspielerinnen und Schauspieler liefern hübsche Genrefiguren in Gestalt von Höflingen, Soldaten und einem Gärtner. Meist mit ironischem Unterton. Ernst aber ist es Boussard mit der wechselseitigen Zuneigung von Kleopatra und Caesar. Sicher keine Liebe im romantischen Sinn, vielmehr erwachsen die Bindungskräfte aus dem Eros der politischen Zielstrebigkeit zweier charismatischer Persönlichkeiten in ihrer jeweiligen Geschlechterrolle als Frau und Mann.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Abstraktion und Üppigkeit

Für alles dies ersinnt Frank Philipp Schlößmann eine Bühne mit alternierend realistischen und abstrahierenden Wolkenprospekten. Ab und an finden sich ägyptische Details angedeutet, etwa Pyramiden und Ibisvögel. Schiebewände sorgen für rasche Schauplatzwechsel. Christian Lacroix gewandet die Personage kostbar-üppig. Zwar zitiert Lacroix Reifröcke und Dreispitze, doch weit entfernt von allem Musealen. Caesars Feldherrnmantel nimmt Anleihen bei barocken Draperien, ist aber dennoch ganz und gar von heute. Schon jetzt übrigens ein Kandidat für das eindrucksvollste Kostüm der Spielzeit. Kleopatra schlüpft wechselnd in düster funkelnde Robe und hocheleganten Hosenanzug.

Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“
Szenenbild aus „Giulio Cesare in Egitto“

Musikalisch hochkarätig

Musikalisch gewinnt die Produktion ebenso wie szenisch. Unter Rubén Dubrovsky lässt sich das Gürzenich-Orchester oft geradezu tänzerisch, voller Verve und dabei immer durchhörbar vernehmen. Lamentöse Passagen werden indes voll Diskretion und Delikatesse begleitet. Raffaele Pé verkörpert die Titelpartie mit viel vokaler Attacke. Auch für die verhalteneren Nuancen seiner Rolle beweist Pé Sinn. Berührend gibt Kathrin Zukowski Leid und Klage der Kleopatra Raum. Federleicht und flexibel trägt Sonia Prina der Unberechenbarkeit Tolomeos Rechnung. Trauer und Zorn dringen feurig aus der Cornelia von Adriana Bastidas-Gamboa. Sestos Schmerz, Überforderung und Rachedurst beglaubigt hinreißend Anna Lucia Richter. Trotz aller charakterlichen Schwankungen Achillas bewahrt Matthias Hoffmann vokale Statur.

Oper Köln
Händel: Giulio Cesare in Egitto

Rubén Dubrovsky (Leitung), Vincent Boussard (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Christian Lacroix (Kostüme), Robert Schwaighofer (Co-Kostümbildner), Nicolas Hurtevent (Videos), Andreas Grüter (Licht), Raffaele Pé, Kathrin Zukowski, Adriana Bastidas-Gamboa, Anna Lucia Richter, Sonia Prina, Matthias Hoffmann, Regina Richter, Sung Jun Cho, Schauspielerinnen und Schauspieler: Midian Abeler, Eva Arteaga, Susan Fararuni, Silke Natho, Yannick Schwarz, Lara Vinciguerra, Tobias Zell, Gürzenich-Orchester Köln

Auch interessant

Rezensionen

  • Singender Erzähler und erzählender Sänger: Julian Prégardien
    Blind gehört Julian Prégardien

    „Das holt mich nicht ab“

    Tenor Julian Prégardien hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass er weiß, wer singt.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!