In Peter Tschaikowskys Oper„Pique Dame“ aus dem Jahr 1890 geht es neben einer tragisch scheiternden Liebesgeschichte unter anderem um drei Spielkarten, die angeblich todsicher gewinnen. Sie sind das Geheimnis der alten Gräfin. Als der traumatisierte, spielsüchtige und verarmte Kriegsheimkehrer Hermann ihr dieses Geheimnis entlocken will, überlebt die Gräfin sein aggressives Fragen nicht. Dass sie ihm nach ihrem Tod im Traum erscheint und die drei Karten doch verrät, ist das eine. Dass er bei seinem Versuch, im Casino zu gewinnen, als dritte Karte nicht das Ass, sondern die Pique Dame (so der Spitznamen der Gräfin) in der Hand hält, ist die Pointe, die ihn am Ende das Leben kostet. Natürlich hat er bei diesem allemal theatralisch in Szene gesetzten Selbstmord operngemäß noch die Kraft für ein paar Schlussworte. So bittet er Lisa und den Fürsten, dem er sie ausspannen wollte, noch um Vergebung. Eigentlich bleibt dabei immer offen, ob er wirklich die Absicht hatte, mit einem großen Gewinn und seiner Lisa neu durchzustarten. Oder, ob er nicht doch nur ein hoffnungslos spielsüchtiger Verlierer ist. Eine Neuinszenierung der Spieler-Oper, auf die der Komponist bekanntlich selbst große Stücke hielt, hatte jetzt kurz nach Leipzig auch am Anhaltischen Theater Dessau Premiere.

Schwelgerischer Orchesterklang
Hier stand die ab kommender Spielzeit als GMD an das Landestheater Niederbayern wechselnde, in Dessau als Kapellmeisterin hochgeschätzte Griechin Elisa Gogou am Pult der Anhaltischen Philharmonie. Sie ließ keine Wünsche offen, lieferte einen präzisen und vor allem mitreißenden Orchesterklang, war schwelgerisch, scheute weder Pathos noch gelegentlichen Witz. Dabei stellte sie sich natürlich sensibel auf das Protagonistenensemble ein. Dass der nun wirklich nicht zu den sympathischen Opernhelden gehörende Hermann eine vokale Herausforderung ist, konnte Erin Caves nicht ganz verbergen. Aber er stellte sich meistens mit Erfolg dem Kampf um die hohen dramatischen Töne – und lieferte betörende leisere Passagen.

Starke Besetzung um Hausprimadonna um Iordanka Derilova
Dessau hat mit seiner Hausprimadonna Iordanka Derilova bildlich gesprochen ein Ass im Ärmel für eine solche Produktion. Mit ihrem Furor und ihrer Präsenz macht sie vor allem Lisas Verzweiflung zu einem vokalen Ereignis. Die Erinnerungen der Gräfin an ihre große Zeit in Paris wurde bei Tiina Penttinen zum Glanzstück einer nobel subtilen Charakterisierung. Sie ist es auch, die mit majestätischer Würde an die Rampe schreitet, wenn der Auftritt von Zarin Katharina den ersten Teil des Abends musikalisch pompös beschließt. Als Fürst Jeletzkij räumte der Litauer Modestas Sedlevičius mit einer bestechend virilen Eloquenz und seiner beispielhaften russischen Diktion regelrecht ab. Aber auch Graf Tomski, Cekalinski und Ssurin waren bei Kay Stiefermann, David Amseln und Claudius Muth in sicheren Kehlen. Sie füllten ihre Rolle als etwas dubiose Gestalten überzeugend aus.

Düster dräuende Atmosphäre
Wobei Regisseur und Bühnenbildner Malte Kreutzfeldt in seinem kammerspielartigen Arrangement zwischen den holzvertäfelten dreistöckigen Arkaden diesem bodenständigen Fürsten (einer wie sein Kollege Gremin in „Eugen Onegin“) sogar ein paar Sympathiepunkte abzieht. Macht er doch aus der vor versammelter (Chor-)Mannschaft mit Hingabe gesungenen Liebeserklärung an Lisa eine Inszenierung, bei der er seinem Publikum auf der Bühne Tränen der Rührung geradezu verordnet. In der düster dräuenden Atmosphäre des arkadengesäumten und wandelbaren Innen-Außenraumes, der durch einschwebende Kronleuchter in düsterer Opulenz leuchtet, wird die Geschichte klar und nachvollziehbar erzählt. Ein paar Vorhänge oder das aus der Versenkung auftauchende Bett für die Gräfin genügen, um Räume zu verändern. Besonders die für das Spielkasino einschwebenden Kronleuchter machen Effekt.

Packender musikalischer Abgesang
Chor, sowie Jugend- und Kinderchor des Anhaltischen Theaters sind von Sebastian Kennerknecht sowie Kristina Baran und Dorislava Kuntscheva bestens präpariert. Ihrer vokalen Überzeugungskraft kommt die Regie durch Tableaus entgegen. Von Katharina Beth in dunkle Einheitsanzüge gesteckt werden hier bei Bedarf Spielkarten wie Waffen gezogen. Mit seinem Parka fällt hier nur Hermann aus dem (gesellschaftlichen) Rahmen und auf. Das Grün des Kleides von Lisa freilich ist Zeichen einer vergeblichen Hoffnung. An das Surreale der Wahrnehmung der Welt durch den traumatisierten Hermann erinnert der Einsatz der wohldosiert und spiegelbildlich choreografierten Seelen-Alteregos von Hermanns und Lisa. Ein packender musikalischer Abgesang auf eine perspektivlose Welt. Sage keiner, Oper hätte nichts mit uns zu tun. Der Beifall für alle war angemessen herzlich!
Anhaltisches Theater Dessau
Tschaikowsky: Pique Dame
Elisa Gogou (Leitung), Malte Kreutzfeldt (Regie & Bühne), Katharina Beth (Kostüme), Martin Anderson (Choreografie), Sebastian Kennerknecht (Chor), Kristina Baran & Dorislava Kuntscheva (Kinder- & Jugendchor), Yuri Colossale (Dramaturgie), Erin Caves, Kay Stiefermann, Modestas Sedlevičius, David Ameln, Claudius Muth, Alexander Dubnov, Cezary Rotkiewicz, Tiina Penttinen, KS Iordanka Derilova, Kejti Karaj, Mascha Jeanette Spexárd, Opernchor des Anhaltischen Theaters, Ballett des Anhaltischen Theaters, Jugendchor des Anhaltischen Theaters, Anhaltische Philharmonie Dessau
Sa., 31. Mai 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
Tschaikowsky: Pique Dame
Erin Caves (Hermann), Kay Stiefermann (Graf Tomski), Modestas Sedlevičius (Fürst Jelezki), Iordanka Derilova (Lisa), Kejti Karaj (Polina), Elisa Gogou (Leitung), Malte Kreutzfeldt (Regie)