Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Beglückende Ambition

OPERN-KRITIK: Gerhart-Hauptmann-Theater – TOSCA

Beglückende Ambition

(Görlitz, 22.2.2020) Puccinis Verismo-Schocker bleibt zwar szenisch blass, das Mehrspartenhaus an der polnischen Grenze stellt gleichwohl seine enorme Leistungsfähigkeit unter Beweis.

vonChristian Schmidt,

Das Theater, schreibt der Görlitzer Generalintendant in seinem Vorwort zur aktuellen Spielzeit, sei „eine analoge Schule der Fantasie“. Es erhalte den Menschen die Erlebnis- und Dialogfähigkeit. Ob das so pauschal stimmt, darf man bezweifeln, aber dass in verhältnismäßig kleinen Städten wie der – für einen Samstagabend leider recht menschenleer wirkenden – Perle an der Neiße noch ein Mehrspartenhaus über die polnische Grenze hinweg sein Publikum begeistert, darf als einer der größten kulturellen Schätze gelten, die in Deutschland überlebt haben.

Wer Grenzen testet, der gewinnt

Görlitz wagt viel, bringt Raritäten wie zuletzt Meyerbeers praktisch nie gespielte Oper „Dinorah“ heraus, scheut aber auch die ganz großen Monumente wie Wagners „Meistersinger“ nicht. Nun hat das kleine Theater mit gerade einmal 500 Sitzplätzen auch eine „Tosca“ – vor so hohen Ansprüchen an die eigene Qualität muss man unbedingt den Hut ziehen. Denn Giacomo Puccinis prunkvoller Liebeskrimi braucht ja eigentlich die große Bühne und vor allem viel Platz für ein riesiges Orchester. Den hat das Görlitzer Theater in seinem kleinen Graben naturgemäß nicht, und auch die Neue Lausitzer Philharmonie kann das Stück eigentlich gar nicht wirklich mit eigenen Kräften spielen.

Konstantinos Klironomos (Mario Cavaradossi)
Konstantinos Klironomos (Mario Cavaradossi)

Das Publikum geht begeistert mit

So trübt das Missverhältnis aus notgedrungen voll besetzten Bläsern, dem üppigen Schlagwerk und einer Streichergruppe unterhalb des klanglichen Existenzminimums den Gesamteindruck des an sich guten Orchesterklangs. Dem geht deswegen unter der unprätentiösen Leitung der leider etwas affektarmen Generalmusikdirektorin Ewa Strusinska der puccinihafte Zaubersog überwiegend ab, weil das süffige Legato, weit ausgeschwungene Bögen, der sonnige Schmelz des präcineastischen Sounds fehlen. Und auch die Intonation überzeugt in den karg besetzten Streichern und den Hörnern nicht lückenlos. Die recht trockene Saalakustik hilft da auch nicht gerade weiter. Das Beste an der Görlitzer Produktion ist daher: Im vollen Bewusstsein, sich vielleicht zu verheben, riskiert das Gerhart-Hauptmann-Haus trotzdem großes Musiktheater, und es wird vom stehend applaudierenden Publikum dafür geliebt. Was könnte beglückender sein?

Ein Tosca-Sängerin aus dem Hausensemble: Patricia Bänsch beeindruckt tief

Vielleicht die Sängerschar, die sich zu großen Teilen aus dem eigenen Ensemble generiert. Allen voran beeindruckt Patricia Bänsch als Floria Tosca, die ihrer Titelpartie eine sichtbare Entwicklung von der eifersüchtigen, aber unpolitischen Diva zur Despotenmörderin gönnt, die über sich selbst erschrocken ist und für ihre Liebe lieber stirbt, als ihr moralisch gleichwohl vertretbares Verbrechen zu sühnen. Bänschs dramatischem Sopran wird an so einem kleinen Haus vieles aufgebürdet. In der „Tosca“ allerdings ist er zu Hause, erweist sich als besonders beweglich: Die Partie darf mit Recht als eine der schwersten gelten, eben weil sie so viel Wandlungsfähigkeit erfordert.

Patricia Bänsch (Floria Tosca)
Patricia Bänsch (Floria Tosca)

Bänsch kann ihre Stimme wunderbar innig, fast schon liebkosend färben, mit herrischer Größe härten und Eiseskälte gleichermaßen ausstatten. Dazu erweist sie sich als überzeugende Sängerdarstellerin. Gastsänger Konstantinos Klironomos steht dieser Force mit seinem Cavaradossi kaum nach, auch wenn sein Tenor zum Schluss hin die schonungslosen Anstrengungen nicht bruchlos verstecken kann. Stimmlich tadellos schlägt sich Ji-Su Park als Scarpia, dem allerdings der letzte Biss des gerissenen Intriganten und grausamen Despoten fehlt.

Ist Machtmissbrauch nicht hoch aktuell? Regisseur François des Carpentries fällt dazu wenig ein

Diese darstellerische Blässe ist aber nicht den Solisten anzulasten, sondern vor allem dem Regisseur François des Carpentries, dem zu diesem hochaktuellen Stück rein gar nichts einfällt. Immerhin verhandelt es neben der Kraft der Liebe nicht nur Machtmissbrauch und politische Gräueltaten, sondern auch den ewigen Konflikt zwischen liberalem Denken und Tyrannei oder auch die hochkomplizierten Rolle kirchlicher Moral in der Gesellschaft. In der üppigen Ausstattung von Karine van Hercke erlebt die Görlitzer Bühne aber Stehtheater – fast buchstabengetreu nach den Regieanweisungen der 120 Jahre alten Partitur.

Das muss nicht schlecht sein, weil sich die Assoziationen im besten Fall auch von selbst herstellen, aber eine Inszenierung muss ihnen wenigstens die Freiräume dafür geben, wenn sie schon keine eigene Positionierung findet, die man eigentlich von ihr erwarten darf. Gerade in den Passagen, in denen das Orchester ohne Libretto die Handlung weitererzählt und der Szenerie Raum für Aktion lässt, bleiben die Akteure auf der Bühne meistens unbeschäftigt, was manchmal eine fast peinliche Statik erzeugt.

Ji-Su Park (Baron Scarpia)
Ji-Su Park (Baron Scarpia)

Diese ärgerliche Ideenlosigkeit kann indes die besonderen Ambitionen des kleinen, aber feinen Theaters nicht schmälern. Besonders im Angesicht des uneingeschränkten Jubels im leider nicht zur Gänze gefüllten Premierensaal stellt es unter Beweis, dass diese Kulturlandschaft abseits der urbanen Zentren dringend schutz- und erhaltungswürdig ist.

Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz
Puccini: Tosca

Ewa Strusińska (Leitung), François de Carpentries (Regie), Karine van Hercke (Ausstattung), Patricia Bänsch,
Konstantinos Klironomos, Ji-Su Park, Stefan Bley, Hans-Peter Struppe, Michael Berner, Hans-Peter Struppe, Stefan Bley, Mi-Seon Kim, Neue Lausitzer Philharmonie

Auch interessant

Rezensionen

  • Asya Fateyeva steht mit Hingabe für die Vielseitigkeit ihres Instruments ein.
    Interview Asya Fateyeva

    „Es darf hässlich, es darf provokant sein“

    Asya Fateyeva, Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival, spricht über den Reiz und die Herausforderungen des für die Klassik so ungewöhnlichen Saxofons.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!