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Opern-Kritik: Landesbühnen Sachsen – Fidelio

Graue Gesichter im Gefängnishof

(Radebeul bei Dresden, 17.11.2018) Intendant Manuel Schöbel deutet Beethovens Freiheitsoper als düsteres Kammerspiel und kann sich auf eine emphatische Ensembleleistung verlassen.

vonRoland H. Dippel,

Der Sehnsuchtsruf nach Freiheit ist immerwährender Teil der Menschheitsgeschichte, und Ludwig van Beethovens einzige Oper „Fidelio“ ist eines der Werke, in denen sich dieser Ruf dramatisch wie zutiefst bewegend Bahn bricht. Dabei kam es im Lauf der Aufführungsgeschichte immer wieder zu Verwechslungen zwischen äußerem Aufwand und echter Eindringlichkeit. Denn trotz der Jubelchöre zur Befreiung des willkürlich inhaftierten Gefangenen Florestan durch seine ihn in Männerkleidern rettende Ehefrau Leonore ist „Fidelio“ vor allem ein Kammerspiel an klaustrophobisch engen Schauplätzen und der Beginn mit der Verherrlichung trügerischer Werte ein erstklassiges Täuschungsmanöver der Textdichter Joseph Sonnleitner, Stefan von Breuning und Friedrich Treitschke.

Fidelio: Korruption als Schattenseite jedes politischen Systems

Szenenbild aus "Fidelio"
Fidelio/Landesbühne Sachsen: Stephanie Krone (Leonore) © Paweł Sosnowski

Das macht Intendant Manuel Schöbel unmissverständlich klar, wenn er am Ende und am Anfang der Neuproduktion der Landesbühnen Sachsen Korruption als Schattenseite jedes politischen Systems skizziert. Frauen in Kleidern aus der Zeit der Französischen Revolution, des Biedermeiers und der Gründerzeit passieren während der E-Dur-Ouvertüre den Eingang zum Gefängnis, indem sie den Wachtposten bestechen. Minister Don Fernando ist ein seine zwielichtigen Machtstrategien geschickt verbergender Bürokrat, der zu seinem Freund Florestan nach der Rettung eher funktional, aber kaum freudig in Kontakt tritt. Michael König hat in seiner Stimme überdies den fast ebenso gefährlichen Kern wie sein Gegner Pizarro, den Fernandos Schergen im Freudenjubel der Massen ganz übel zurichten.

Grauer Schauplatz, raue Klänge

Überwiegend rau ist hier die sehnige, nur an wenigen Hoffnungs- und Glücksstellen der Partitur zur Fülle und (stimmig für Beethovens Partitur) noch seltener zu echter Pracht findende Elbland Philharmonie Sachsen. Weil Hans-Peter Preu am Pult immer mit den Sängern atmet, kommt auch Beethovens Klangkonzept zur überzeugenden Geltung: Der Schluss hat Glanz, steigert sich aber nicht zur Hymne (das war schon so im bei den Uraufführungen der verschiedenen Fassungen 1805, 1806 und 1814 personell nicht sonderlich stark ausgestatteten Theater an der Wien). Der in den großen Aufführungen des 20. Jahrhunderts wie gemeißelt hymnische Charakter gründet eh auf der seit Gustav Mahler vor dem zweiten Finale eingeschobenen Großen Leonoren-Ouvertüre Nr. 3. Weil man im Theater Radebeul und an den Gastspielorten von Meißen bis Hoyerswerda auf diese pompöse Weitung verzichtet, bleibt es trotz großem Chor beim Kammerspiel. Die Bemühung um die Wahrung der Menschenrechte muss weitergehen! Deshalb lässt Karl Bernewitz den Opernchor und Zusatzchor nie zu schön, dafür mit genauer Diktion singen: Versachlichte Agitation statt opernhafte Sättigung.

Szenenbild aus "Fidelio"
Fidelio/Landesbühne Sachsen: Stephanie Krone (Leonore), Dirk Konnerth (Florestan) und Chor © Paweł Sosnowski

„Komm, Hoffnung“

Jenes Prinzip Hoffnung, das Ernst Bloch in „Fidelio“ findet, sieht man nur am himmelblauen Portalrahmen über kleinen Wolken. Der Gefängnishof mit schmalen Fenstern, mit einem Wehrgang oben und im zweiten Teil mit einer von Gitterdraht begrenzten Sonderzelle Florestans beklemmt in Marlit Mosers Ausstattung nicht durch Schmutz und Morast, sondern durch lähmende Nüchternheit. Hier gibt es kein Neonlicht, trotzdem sind die Menschen alle blass. Eine ähnliche Blässe verödet stimmig die leicht bearbeiteten und dem Sachjargon heutiger Bürokratie angenäherten Dialogen.

Messerscharf gezeichnete Figuren

Szenenbild aus "Fidelio"
Fidelio/Landesbühne Sachsen: Stephanie Krone (Leonore) und Dirk Konnerth (Florestan) © Paweł Sosnowski

Das gilt auch für die Hoffnungsfiguren Florestan und Leonore, die unter ihrer sie als Mann ausweisenden Uniform ein T-Shirt mit dem Gesicht Florestans auf der Brust trägt. Manuel Schöbel verpasst allen Figuren dieser Oper einen messerscharf starken ersten Auftritt. Er beabsichtigt im Spiel Zeitlosigkeit für Täter und Opfer, Vollstrecker und Retter, Vertreter einer inneren Emigration und Opportunisten. Das schlittert spätestens aus der gemächlich steigenden Spannungslinie, wenn die Kerkerszene mit den sonst turmhohen Wellen emotionaler Wechselbäder in fast bedenklicher Gleichförmigkeit vorbeigleitet und erst im Jubelduett Florestans und Leonores zum für diese Oper signifikanten Drive findet. Ausgerechnet Stephanie Krone, die in der Titelpartie bewegende lyrische Bögen statt dramatischer Zielstrebigkeit fokussiert, und der den tückisch hohen Part des Florestan intelligent und sicher meisternde Dirk Konnerth geraten neben den inszenierten Charaktermarken leicht ins Hintertreffen.

Fast gleichwertigen Effekt macht deshalb Hagen Erkrath, hier in seiner Paraderolle als Kerkermeister Rocco, dem das Grau der Gefängnismauern längst im aschfahlen Gesicht steht. Seine Tochter Marzelline in Kargo-Hose hat mehr starkes Herz als Lieblichkeit, das verdichtet Kirsten Labonte zum intensiven Porträt einer jungen Erwachsenen, die sich am falschen Ort aufreibt. Auch weil sie ihre Sympathie für den vermeintlichen Angestellten Fidelio so glaubhaft spielt, kann Stephanie Krones Leonore in Männerkleidern Wahrhaftigkeit gewinnen. Edward Lee ist ein keineswegs kleiner Tenor als Jaquino, der auf Marzelline kräftig eindrischt wie auf die jeweils Schwächeren unter seiner Aufsicht: Solche Kraftpakete werden zur Abwehr vermeintlicher Feinde gesucht. Taktile Wendigkeit hat nur der machtbesessene Pizarro. Paul Gukhoe Song schaltet blitzschnell um von der Attitüde des Gewalttäters auf suggestive, ja verschwörerische Jovialität. Seine fast zierliche, dabei drahtige Erscheinung stützt einen Bariton mit wandlungsfähigem Kern im Sprung auf das Heldenfach.

Szenenbild aus "Fidelio"
Fidelio/Landesbühne Sachsen: Sebastian Prodbregar (Florestan), Michael König (Don Fernando), Isabel Blechschmidt (Leonore) und Chor © Paweł Sosnowski

Dieser „Fidelio“ gewinnt also doch noch durch eine empathische und heute in dieser Form nicht mehr allzu häufig erlebbare Ensembleleistung. Großer herzlicher Premieren-Applaus.

Sächsische Landesbühnen
Beethoven: Fidelio

Hans-Peter Preu (Leitung), Manuel Schöbel (Regie), Marlit Moser (Bühne & Kostüme), Karl Bernewitz (Chor), Dirk Konnerth & Sebastjan Podbregar (Florestan), Isabel Blechschmidt & Stephanie Krone (Leonore unter dem Namen Fidelio), Hagen Erkrath & Michael König (Rocco), Paul Gukhoe Song (Don Pizarro), Anna Erxleben & Kirsten Labonte (Marzelline), Michael König & Johannes Leuschner (Don Fernando), Edward Lee (Jaquino), Opernchor und Zusatzchor der Landesbühnen Sachsen, Elbland Philharmonie Sachsen

Weitere Termine: 21. & 25.11., 9.12.2018, 13. & 26.1., 6. & 10.4.2019

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