Georg Friedrich Händels 1709 in Venedig uraufgeführte Oper „Agrippina“ gehört zu den unterhaltsameren seiner über vierzig Bühnenwerke. In diesem ersten großen Erfolg seiner Italienjahre wird von der Titelheldin – einer berühmten Kaisergattin (und -mutter) – intrigiert und gelogen, dass sich die Balken biegen. Römische Cäsaren und die Frauen hinter oder neben ihnen haben immer ein ziemliches Potenzial zu belehrender Unterhaltung. Neben Kaiser Claudio ist der hier noch im Wartestand mit den Hufen scharrende Sohn Agrippinas, Nero, so ein Beispiel. Oder auch die junge Poppea, die im Grunde eine Nachwuchs-Agrippina ist. Man könnte, wenn man wollte, eine ganze Spielzeit mit diversen Opern verschiedener Komponisten bestücken, in denen diese Herrschaften auftreten. Und weil es allemal um eine pikante Melange aus Sex und Macht geht, funktioniert das auch heute noch – wie jetzt bei den Händel-Festspielen Halle – als Bühnen-Spiegel für die entsprechenden Protagonisten. Man muss dabei unwillkürlich an die aktuellen Bewohner (und Besucher) des Weißen Hauses denken, wenn sie sich auf der Bühne gegenseitig die Taschen vollhauen. Was dort abgeht, ist Oper pur und kostet für Zuschauer nur die Fernsehgebühren. (Schon klar, dass das nicht ganz stimmt und viel, viel teurer werden kann.)

Bling-Bling-Geschmacklosigkeit
Aber nicht dorthin hat der regieführende Opernintendant in Halle, Walter Suttclife, den römischen Intrigenstadel Händels verfrachtet, sondern nach Las Vegas. Man könnte sagen, für den Versuch, das Ganze in eine (nicht mal große) Show zu übersetzen, hat er die römische Dekadenz in die Wüste geschickt bzw. in die Bling-Bling-Geschmacklosigkeit eines künstlichen US-Spielerparadieses verfrachtet. Mit allen Kollateralschäden für’s Stück und seine innere Stringenz, die das halt so mit sich bringt.
Das fiktive Spielkasino „Caesar’s Palace Entertainment“ auf der nach einem Wasserschaden wieder funktionierenden Drehbühne des Opernhauses stammt zwar von Alexandar Denić, sieht aber nicht so aus. Der Serbe ist durch seine Arbeiten für seinen erklärten Lieblingsregisseur Frank Castorf spätestens nach ihrem gemeinsamen Bayreuther Nibelungen-„Ring“ als Raumerfinder (wie sonst nur Anna Viebrock) stilbildend.

Eine Agrippina mit Melania-Trump-Effekt
In Halle will er offenbar zeigen, dass er auch behaupteten Oberflächenschick beherrscht. Dabei ist allerdings ein eigenständiges Kunstobjekt ist rausgekommen. Eine Art Kasino-Ambiente, mit Glamour und pinkem Riesensofa auf einem gelben Podest. Immerhin passen dazu die Erinnerungen an die Modescheußlichkeiten vom Ende des vorigen Jahrhunderts, mit denen Frank Schönwald vor allem den wacker mitspielende, von Bartholomew Berzonsky einstudierten Chor ausstaffiert hat. Sutcliffe verziert seine Inszenierung oft mit Versatzstücken, die irgendwie lasziv wirken sollen. Zum Glück wird Romelia Lichtenstein als Titelheldin mit einem halben Dutzend standesgemäßer opulenter Sondermodelle privilegiert. So kommt der charismatischen Bühnenpräsenz dieser Künstlerin mit vielen Händel-Meriten nichts in die Quere. Wenn man es auf die USA bezieht, sozusagen ein Melania-Trump-Effekt. Für sie ist im Grunde auch das Beste an der Kasino-Raumskulptur mit der behaupteten futuristischen Eleganz, nämlich die große Revuetreppe, der angemessene Rahmen. Wenn sie sich dort oben ausführliche Sorgen macht, ob ihre Ränkespiele wohl aufgehen, erreicht die sonst mehr eindimensional auf den schnellen Oberflächeneffekt zielende Inszenierung tatsächlich mal Tiefe.
Wobei es schon auch eine komödiantische Show ist, wie sie in ihrer kaiserlichen XL-Handtasche nach einer Waffe oder einem Döschen mit Pillen sucht, die sie als Mordwerkzeuge an ihre Handlanger verteilen will, und dabei wie nebenbei auch auf eine separate Hand, von wem auch immer, stößt, die sie in einer transparenten Tüte dabei hat, als wäre sie von der Spurensicherung. Wobei der eine Helfershelfer mit Namen Narciso hier bei Annika Westlund zu einem Showgirl namens Narcisa wird. So nach dem Motto „Ein bisschen Bi schadet nie“ nutzt die notorische Strippenzieherin das natürlich aus. Ihren windigen Sohnemann Nerone hat sie im Griff.

Ein nicht ganz festspielwürdiges Ensemble
Freilich können weder der sicher kraftvolle Counter Leandro Marziotte als Nerone, noch die mittlerweile händelerfahrene Vanessa Waldhart als zwischen den potenziellen Liebhabern wechselnde Poppea letztlich dazu führen, dass diese „Agrippina“ mit dem Prädikat festspielwürdig durchs Ziel geht. Ki-Hyun Park bleibt als Claudio diesmal geradezu rabiat. Counter Christopher Ainslie hat zwar eine wohltimbrierte Stimme, bleibt aber eher blass. Und auch Lars Conard als (zweiter Komplize bei Agrippinas Anschlagsplänen Pallante) und Michael Zehe als Lesbo bleiben solide.
Das Händelfestspielorchester ließ sich von Laurence Cummings, dem langjährigen Chef der Schwesterfestspiele in Göttingen, zu einschmeichelndem, ariensensiblen Sound mit einigen Bläserlichtblicken inspirieren und kommt sicher in den Reprisen auch noch zu dem ihm möglichen mitreißenden Esprit.
Die Inszenierung freilich umweht eher ein Hauch von Retro als wirklichem Ehrgeiz. Dass hier dauernd gekokst und geraucht wird, ist zwar heutzutage ein Sticheln gegen den überkorrekten Zeitgeist, trägt aber hier nicht zur beabsichtigten Rauschwirkung bei. Alles in Allem wäre nicht nur Oberflächenglanz, sondern die ästhetische Stringenz einer Überschreibung im Bündnis mit der Musik die wirkungsvollere Droge.

Festspiele treffen Spielplanalltag
Bei Festspielen, die Gäste von auswärts anlocken sollen und ganz bewusst im Wettbewerb mit Göttingen und Karlsruhe, aber auch anderen international wahrgenommenen Hochburgen der Händelpflege stehen, sollte man ruhig die Stars der Szene einladen. Übrigens auch – wie in der Vergangenheit üblich – bei den Regiehandschriften. Es ist ein Standortvorteil von Halle, dass hier immer zwei Händelopern im Programm sind. Aber alle aus einer Hand? Festspiele sind Festspiele und kein Spielplanalltag.
Händel-Festspiele Halle
Händel: Agrippina
Laurence Cummings (Leitung), Walter Sutcliffe (Regie), Alexandar Denic (Bühne), Frank Schönwald (Kostüme), Beartholomew Berzonsky (Chor), Ki-Hyun Park (Claudio), Romelia Lichtenstein (Agrippina), Leandro Marziotte (Nerone), Vanessa Waldhart (Poppea), Christopher Ainslie (Ottone), Lars Konrad (Pallante), Annika Westlund (Narciso) Michael Zehe (Lesbo), Händelfestspielorchester Halle, Chor der Oper Halle
So., 08. Juni 2025 15:00 Uhr
Musiktheater
Händel: Agrippina HWV 6
Händel-Festspiele Halle
Fr., 13. Juni 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Händel: Agrippina HWV 6
Händel-Festspiele Halle
So., 15. Juni 2025 15:00 Uhr
Musiktheater
Händel: Agrippina HWV 6
Händel-Festspiele Halle