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Opernkritik: Kammeroper Schloss Rheinsberg – Iphigenie in Aulis

Klangfarbe aus dem Lautsprecher

(Rheinsberg, 6.7.2024) Nicht nur ein vorabendliches Unwetter sorgt bei der Premiere von Glucks „Iphigenie in Aulis“ für nasstrübe und teils stürmische Aussichten: Im Heckentheater des Schlosses stattfindend, kämpfen die Darsteller der Kammeroper Rheinsberg auch mit den Wogen einer blutarmen Inszenierung des Regisseurs Georg Quander.

vonPatrick Erb,

1774 brachte Christoph Willibald Gluck, als erstes von sechs Werken für die Pariser Oper, seine „Iphigénie en Aulide“ in französischer Sprache zur Uraufführung. Durch grundlegende Neuerungen im Verhältnis von Sprache und Musik, die nunmehr als Einheit zu denken seien, wurde Glucks „Reformoper“ unbestritten ein bahnbrechender Erfolg, an den die Kammeroper Rheinsberg 250 Jahre später mit einer Produktion in deutscher Sprache anschließen möchte.

Doch wie kann der Bezug auf ein zweieinhalb Jahrhunderte altes Stück gelingen, das in seiner Handlung auf eine noch viel weiter zurückliegende griechische Mythologie rekurriert – welche Mittel stehen dabei zur Verfügung? Georg Quander, Regisseur und langjähriger Künstlerischer Leiter der Kammeroper Rheinsberg, beantwortet die Frage für sich zumindest mit einem Verweis auf die mehrere Meter breite und lange Pfütze, die sich zwischen Bühne und Bestuhlung erstreckt und kurzerhand als Ägäis tituliert wird.

Szenenbild zu „Iphigenie in Aulis“
Szenenbild zu „Iphigenie in Aulis“

Denn ganz im Sinne der Handlung sitzt das griechische Heer unter Führung von Agamemnon aufgrund zu starker Winde auf Aulis fest. Der Feldherr hat eine liebgewonnene Hirschkuh der Diana erlegt und soll nun seine Tochter als entschädigendes Opfer entrichten. In Rheinsberg wiederum fällt die Orchestermusik dem Unwetter und der stetigen Gefahr vor Regen zum Opfer: Diese musste zum Schutz des Instrumentariums über Lautsprecher aus dem trockenen Schlosstheater zugeschaltet werden.

Originalklangentzug

Werner Ehrhardt, der das Concerto Brandenburg an diesem Abend als Fernorchester leitete, gab sich deutlich Mühe, den viele Wünsche offenlassenden Lautsprecherklang rhythmisch so zu profilieren, dass von der bezaubernden Gluck-Musik trotzdem noch Substanz erhalten blieb. In den vertanzten Zwischenspielen schafft Ehrhardt sogar eine akzentuierte Grundlage für die Tänzer der Berlin Ballet Company, die dadurch nicht im bezugsfreien Raum tanzen mussten. Doch spätestens mit dem Oboen-Solo in der Klytämnestra-Arie „Ach, zum Tode verdammt“ zeigte sich, was die wahre Tragödie des Abends war und wie sehnsüchtig man die wahrhaftige Qualität dieses verständigen Ensembles vermisste.

Szenenbild zu „Iphigenie in Aulis“
Szenenbild zu „Iphigenie in Aulis“

Was dem traurigen Umstand höherer Gewalt geschuldet zum Unglück führte, hat indes in der Konzeption Quanders große Fragen hinterlassen, entschied sich dieser doch unumgänglich, die Kulisse des Heckentheaters zu wählen, ohne diese in einen sinnvollen Bezug zum Stück zu setzen: Flankiert von willkürlich gewählten Bühnenrandelementen, die den Charme von Freizeitpark-Archaik versprühen, und kontextlosen Kostümen mit etwas unstimmiger Ästhetik, verliert schließlich auch das Heckentheater sein Potenzial als Kulisse – von einem Intendanten a. D. der Staatsoper Unter den Linden hat an dieser Stelle mehr Liebe zur Inszenierung und zur Spielstätte zu kommen.

Rettungsanker

Tröstend wirkt da die Qualität der Darsteller auf der Bühne, deren Stimmen in einer Synthese aus künstlicher Klangverstärkung und authentischer Vokalkraft dennoch klare Farbnuancen wiedergeben. Allen voran schleift Vivica Genaux als Klytämnestra mit ihrer sängerischen Erfahrung und ihrem gesetzt dunklen, leicht edelhölzernen Mezzosopran ein hervorragendes Profil in die Arien hinein. Ganz anders wiederum die junge Sopranistin Marta Fridriksdottir, die als Neuzugang der Kammeroper Rheinsberg bereits eine dynamisch überzeugende und überraschend klare Iphigenie hinlegt. Bei Fridriksdottir erwartet man gespannt, in welche Klangfarbe sie in kommender Zeit hineinwachsen wird. Schließlich muss sich auch Maximilian Vogler nicht hinter der Langhaar-Perücke und der dadurch evozierten Fassade des Brad-Pitt-Achilles („Troja“, 2004) verstecken. Verständig und mit klarer, im Orchester verschmelzender Phrasierung gelingt dem jugendlichen Heldentenor ein sauber ausgeführter Parlando-Stil.

Szenenbild zu „Iphigenie in Aulis“
Szenenbild zu „Iphigenie in Aulis“

Den Hauptdarstellerinnen- und Darstellern ist es mehrheitlich zu verdanken, dass der Geist der „Iphigenie in Aulis“ an diesem kühlen und letztlich im Regen versinkenden Premierenabend erhalten blieb. Zusammen mit dem Kammerchor Chorisma Neuruppin und der Berlin Ballet Company belebten diese die leider etwas blutleer choreografierte Inszenierung, die erst dann zu einem gebührenden Spektakel heranwachsen wird, wenn an weiteren Spieltagen mit dem Concerto Brandenburg alle Akteure auf der Bühne des Heckentheaters vereint sein werden und – so charmant der Gedanke in Bezug auf Renommee auch sein mag – Rheinsberg aufgrund des Regens nicht zu einem Woodstock der Klassik wird.

Kammeroper Schloss Rheinsberg
Gluck: Iphigenie in Aulis

Werner Ehrhardt (Leitung), Georg Quander (Regie), Julia Dietrich (Bühne & Kostüm), Arshak Ghalumyan (Choreografie), Dietrich Henschel, Vivica Genaux, Marta Fridriksdottir, Maximilian Vogler, Dashuai Jiao, Gergely Kereszturi, Marianna Herzig, Berlin Ballet Company, Kammerchor Chorisma Neuruppin, Concerto Brandenburg

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