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Opern-Kritik: Komische Oper Berlin – Salome

Kahlschlag aus Liebe

(Berlin, 22.11.2025) Trotz minimaler matter Flecken gelingt im Schillertheater ein bestürzender und hochspannender „Salome“-Abend: Regisseur Evgeny Titov lässt die grandiose Nicole Chevalier ohne Kopf auftreten. Generalmusikdirektor James Gaffigan setzt auf eine glanzvoll rauschende und raunende Klangtextur der revolutionären Partitur.

vonRoland H. Dippel,

„Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“ singt Salome im großen Schlussmonolog. Am Ende hat sie ihr Liebesobjekt Jochanaan mit Haut und Haaren: Die Lippen der gesichtslosen „Prinzessin von Judäa“ verbeißen sich in den ekelerregenden Eingeweiden des „Propheten“. Der Körper wurde vom durch diese Arbeit sichtlich mitgenommenen Henker Naaman gründlich ausgewaidet. Aber der Wille und die Seele Jochanaans sind für Salome jetzt erst recht nicht mehr erreichbar. Eine Stunde früher kam ihr der Gedanke an Mord. Dazu sah man in Sichtvitrinen 147 abgeschlagene Männerköpfe.

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In der Inszenierung von Evgeny Titov an der Komischen Oper Berlin hat die Projektionsfigur Salome des seit der Dresdner Uraufführung 1905 noch immer als Nervengift gut tauglichen Musikdramas selbst ebenfalls keinen Kopf: Der ihr Gesicht und Haar verbergende Kugelschild und die Kugelleuchte über der Zisterne gleichen dem Mond, in den die Figuren aus Oscar Wildes Schauspiel und Richard Strauss‘ Texteinrichtung für seine dritte Oper so viel entlarvend Mystisches und Banales hineindichten. Die Premiere im Schillertheater wurde lautstark umjubelt, angesichts der beachtlichen Menge verstörender Einzelheiten gab es relativ wenige Buhs.

Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Grenzgang auf Messers Schneide: Nicole Chevalier

Titov setzt in seiner nach George Enescus „Oedipe“ zweiten Inszenierung für die Komische Oper Berlin mehrere Annäherungen. An der Spitze des Ensembles: Die große wie großartige Nicole Chevalier. An ihrem früheren Stammhaus reißt sie eine fulminante Leistung – sie bewegt mit Wissen, Strahlen und abgründiger Melancholie hinter mitreißender Kraft. Ohne Pause, ohne Schonung, ohne Ermüdung ist das auch eine bewundernswerte darstellerische und menschliche Leistung. Weil man ihr Gesicht nicht sehen kann, agiert Chevalier „nur“ mit Stimme und Körper, aber ohne sichtbare Mimik. Das erleichterte die heiklen Kippmomente von der obsessiven Gier nach Vereinigung mit dem oppositionellen Jochanaan zur Mordlust. Andererseits steigert dieser Kunstgriff das Rätselhafte der Partie. Titovs Darstellung der 100-Minuten-Oper verifiziert sein Konzept-Mantra: „Man kann sich nur in der Liebe wirklich kennenlernen.“

Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Sprengkraft der Liebe

Diese menschliche Erfüllung wird auf Rufus Didwiszus‘ Messing-Schale und mysteriös leuchtenden Wänden um den Ringzugang in die Zisterne nur Salome zuteil, der in letzter Zeit gründlich vom Femme fatale-Image befreiten Figur. Titov betrachtet ehrliche Liebe als etwas Unbedingtes, Versehrendes und Tödliches wie Pasolini, Almodóvar oder Greenaway. Wenn Salome sich auf den trotz Nacktheit nicht durchschaubaren Jochanaan stürzt und auch zwei andere Figuren an der Liebe vergehen, wird das faszinierend deutlich. Schon mit dem ersten Klarinettenlauf ist der Hauptmann Narraboth von Salome hypnotisiert fixiert wie im Drogenrausch. Agustín Gómez singt mit den Augen fast noch suggestiver als mit der Stimme. Sein langsames Verlöschen nach der Selbsterdolchung dauert bis Jochanaans Aufruf zur Reue. Dann zeigt ihm eine gleichgültige Berührung Salomes, dass sein Begehren wie später ihres total verschossen, weil unerwidert ist. Die ersten 45 Minuten werden durch Gómez und Susan Zarrabis packend intensiven Pagen zum separaten Mikrodrama. Alle Nebenfiguren sind auf musikalischer Seite gut und deutlich entwickelt.

In Titovs Regie merkt man schnell, was ihn sehr oder nicht ganz so stark interessiert. Generalmusikdirektor James Gaffigan dagegen setzt mit der ersten Sekunde auf eine deutliche, dabei schwere wie glanzvoll rauschende und raunende Klangtextur der revolutionären Partitur. Das Orchester der Komischen Oper erarbeitet mit feinen und kräftigen Akzenten bronzene wie eindringliche Farben – in idealen Parallelen zur Dekoration und mit hohen, das Ensemble nie in Bedrängnis bringenden Lautstärken. Aus ätzender Schärfe kommt das stimmstarke Judenquintett (Ivan Turšić, Johannes Dunz, Thoma Jaron-Wutz, Ferdinand Keller, Andrew Nolen), etwas beiläufig bleibt die Erzählung des zweiten Nazareners von den messianischen Wunderheilungen (Christoph Späth).

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Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Exzessive Deutlichkeit

Neben der Grenzerfahrung durch essenzielles Lieben geht es um Missbrauch. Die kopflose Salome fordert den Kopf des Jochanaan und holt damit zum kastrierenden Racheschlag aus. Der Tanz von 16 ihre Röcke hebenden Salomes ist auch einer des Herodes mit unmissverständlichem sexuellen Höhepunkt. Der von Matthias Wohlbrecht unerbittlich deutlich und dynamisch gesungene Herodes im grünen Anzug ist ein erotomanischer Egozentriker. Fast verschenkt leider: Karolina Gumos hätte als sensible und hier fast blässliche Herodias weit mehr zu bieten als aufgepolsterte Hüften und wallende Haarpracht auf goldenem Paillettenkleid.

Günter Papendell als Jochanaan dagegen wächst auf zur verführerischen Gewalt ohne Fell und ohne Vibrato. Bereits mit seinem ersten Ton ist klar, warum Salome ihm verfällt und warum Narraboths langsames Sterben zwangsläufig mit Jochanaans physischer Präsenz beginnen muss. Langweilig dagegen bleibt die um Herodes züngelnde Lustmeute, welche offenbar auch der Couturière Esther Bialas besonderen Spaß machte. Die Kombination von Leder, Latex, schwarzer Spitze und SM-Besteck hat von Berlin bis Bozen durch inflationäre Überverwertung längst pittoresken oder gar skandalisierenden Mehrwert verloren, selbst wenn das Tanzensemble kräftig mitmischt. Mit drei Männern bei Salomes Tanz ist die Gender-Quote anerkennenswert korrekt berücksichtigt.

Salome wird zum Weiterleben verdammt

Am Ende stirbt Salome nicht. Dass sie nach dem Hormon- und Psycho-Flash ihrer erfüllt-unerfüllten Liebe weiß, zu was sie fähig ist, und danach weiterlebt, ist eine weitaus massivere Schicksalsbürde als der Tod. Übrig bleibt zu Strauss‘ letzten unerbittlichen Akkorden das permissive Paar Herodias und Herodes, das mit sich nicht mehr weiter weiß. Trotz minimaler matter Flecken insgesamt also ein bestürzender und hochspannender Abend.

Komische Oper Berlin
R. Strauss: Salome

James Gaffigan (Leitung), Evgeny Titov (Regie), Rufus Didwiszus (Bühne), Esther Bialas (Kostüme), Martina Borroni (Choreographie), Wolfgang Behrens (Dramaturgie), Sebastian Alphons (Licht), Nicole Chevalier, Matthias Wohlbrecht, Karolina Gumos, Günter Papendell, Agustín Gómez, Susan Zarrabi, Ivan Turšić, Johannes Dunz, Thoma Jaron-Wutz, Ferdinand Keller, Andrew Nolen, Junoh Lee, Christoph Späth, Philipp Meierhöfer, Andrew Harris, Stephanos Tsirakoglou, Grace Heldridge, Orchester der Komischen Oper Berlin






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