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Opern-Kritik: Landestheater Detmold – Hoffmanns Erzählungen

In der Horror-Klinik

(Detmold, 26.1.2024) Regisseur Robert Lehmeier führt Offenbachs opéra comique suggestiv ins Horror-Spital hinein. Dirigent Per-Otto Johansson führt das Symphonische Orchester des Landestheaters straff und zügig an der kurzen Leine. Die Solistinnen und Solisten vereinen zur runden Ensembleleistung.

vonMichael Kaminski,

Dieses Krankenhaus hat seine beste Zeit längst hinter sich. Wer Bilder vom seit Jahrzehnten von allen guten Geistern verlassenen „Gespenstersanatorium“ Beelitz vor den Toren Berlins im Kopf hat, ist optisch auf der richtigen Spur. Kaum vorstellbar, dass im heruntergekommenen Hospital mit seinen vergammelten Wänden, undichten Fenstern und defekten Jalousien Ärzte Dienst tun und Patienten auf Genesung hoffen. Dennoch scheint die marode Anstalt gut belegt. Vornehmlich an Frauen wird herumoperiert und therapiert, was das Zeug hält. Regisseur Robert Lehmeier lässt in Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ Olympia ein zum Zweck transhumaner Leistungssteigerung hochinvasiver Chirurgie unterzogenes Wesen aus Fleisch und Blut sein. Da wird ein Mensch zum Automaten operiert. Mit durchaus unerwünschten Nebenwirkungen: Über Olympias Virtuosität und Liebreiz gewinnt ein ausgesprochener Hang zur Grausamkeit Oberhand. Final bekommt sie eine Pistole zu fassen, um – vor dem eigenen Ableben – unterschiedslos Patienten und medizinisches Personal zu massakrieren. Antonia hingegen zerreißt es zwischen zwei völlig entgegengesetzten Therapien. Ihnen gemein ist lediglich die nicht auf Heilung zielende Absicht. Bei Miracle ist sie am Tag, doch sinnt auch Crespel nicht auf‘s töchterliche Wohlergehen. Indem er auf deren medikamentöse Ruhigstellung dringt, trachtet er danach, sich diese als Wiedergängerin der verblichenen Gemahlin vom Leib zu halten. Nicht ohne Grund, Antonia hegt inzestuöse Neigungen. Anfangs leistet sie Widerstand gegen die Sedierung und spuckt manche Tablette heimlich aus. Letztlich aber streckt sie die Kollision der Forderungen nach töchterlichem Gehorsam, künstlerischer Karriere und der Aussicht auf das Dasein als Hoffmanns treusorgend-biederer Gemahlin nieder.

Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“ am Landestheater Detmold
Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“ am Landestheater Detmold

Kopfkino des Poeten

Alles dies geht im Eröffnungs- und den beiden Folgeakten der in Detmold auf die Bretter gelangenden Werkfassung von Kaye und Keck dramaturgisch und handlungslogisch weitgehend auf. Regisseur Lehmeier, der gemeinsam mit Jule Dohrn-van Rossum auch als sein eigener Bühnenbildner antritt, führt suggestiv ins Horror-Spital hinein. Zuvörderst, weil es einzig in Hoffmanns krankem Hirn existiert. Der Poet ist einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung verfallen. An seinen weiblichen Wunschbildern pfuscht er so lange herum, bis es scheinbar passt. Wenn nicht, sterben sie eben hin. Liebe kennt Hoffmann allein als Selbstliebe. Was aber die souveräne und selbstbestimmte, vor Gesundheit strotzende Giulietta in der Klinik des Schreckens verloren hat, bleibt zweifelhaft. Denkbar, Hoffmann ist die perfekte Operation gelungen. Die femme fatale würde dann seine Selbstliebe gefährden. Verständlich, wenn ein Narziss wie er Reißaus davor nähme. Sei dem wie ihm sei, attraktiv anzusehen ist der Venedigakt, dafür sorgen schon Marie-Luise Ottos rosafarbene Schwesterntrachten, in denen sich hier wie überhaupt bei der Kostümbildnerin punktgenaue Ironie auslebt.

Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“ am Landestheater Detmold
Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“ am Landestheater Detmold

Mehr opéra comique als fantastique

Musikalisch erfüllt der Detmolder „Hoffmann“ zahlreiche Wünsche. Sicher wird der Chor des Hauses unter Francesco Damiani im Verlauf der Aufführungsserie noch einiges an Feinschliff zulegen. Per-Otto Johansson führt das Symphonische Orchester des Landestheaters straff und zügig an der kurzen Leine. Gewinnend bedienen so Kapellmeister und Klangkörper das Format der opéra comique. Wiederholt lässt das ausgezeichnete Blech aufhorchen. Soweit das Rollenporträt es gestattet, verkörpert Stephen Chambers einen sympathischen Hoffmann. Vokal nehmen die kopfigen Piani unbedingt für sich ein, Attacke, Glanz und Farbe des Brustregisters gewinnen bedingt. Von der Regie als Sparringpartner der Titelfigur gezeichnet, gibt Seungweon Lee den vier Bösewichten spielerisch und sanglich durchschlagskräftig-robuste Statur. Bei Lotte Kortenhaus attachiert sich La Muse vorgeblich kameradschaftlich und burschikos an Hoffmann, tatsächlich aber sucht sie den Dichter ihres eigenen Ruhms halber zu instrumentalisieren. Für Olympia verfügt Penelope Kendros über wie aus der Pistole geschossene Koloraturen. Emily Dorn macht aus Antonia eine spielerisch wie sanglich bezwingende psychopathologische Fallstudie. Ohne Frage ist Dorns Antonia Opfer, doch wird man den Verdacht nicht los, sie wäre gern Täterin. Adréana Kraschewski ist Giulietta. Auch alle weiteren Solistinnen und Solisten vereinen sich den krankheitsbedingten Unbilden einiger Umbesetzungen in den kleineren Partien trotzend zur runden Ensembleleistung.         

Landestheater Detmold
Offenbach: Hoffmanns Erzählungen

Per-Otto Johansson (Leitung), Robert Lehmeier (Regie), Robert Lehmeier und Jule Dohrn-van Rossum (Bühne), Marie-Luise Otto (Kostüme)), Carsten Lenauer (Licht), Francesco Damiani (Chor), Stephen Chambers, Penelpe Kendros, Emily Dorn, Adréana Kraschewski, Lotte Kortenhaus, Seungweon Lee, Brigitte Bauma, Benjamin Werth, Franco Oportus Verga, Jamie Mondaca Galaz, Felix Schmidt, Nando Zickgraf, Chor des Landestheaters Detmold, Symphonisches Orchester des Landestheaters Detmold


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