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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Das Wunder der Heliane

Ganz große Oper

(Berlin, 18.3.2018) Dirigent Marc Albrecht und Regisseur Christof Loy treffen gemeinsam den Korngold-Nerv

vonJoachim Lange,

Bei der Musik von Erich Wolfgang Korngold besteht Suchtgefahr! Noch dazu, wenn sie so referenzverdächtig im Graben zelebriert und auf die Bühne gebracht wird, wie es an der Deutschen Oper Berlin jetzt Marc Albrecht, den handverlesenen Protagonisten und Christof Loy gelungen ist! Das mag zu einem Teil daran liegen, dass die im Falle von Korngold (1897-1957) gewaltsam herbeigeführte Verbannung seiner Werke durch die Nazis und dann durch das Avantgarde-Diktat nach dem Krieg, sozusagen als Gegenreaktion, Begehrlichkeiten weckt. Vor allem bei wagner- und straussaffinen Opernfreunden.

Von der Korngold-Abstinenz zur -Renaissance

Zum Glück ist in den letzten Jahren die Korngold-Abstinenz von einer Renaissance abgelöst worden. Dabei war sein Sensationserfolg „Die Tote Stadt“ von 1920 der Wegbereiter. Doch nicht nur diese morbide melancholische Geschichte, um die Hits vom „Glück, das mir verblieb“ oder das „Mein Sehnen, mein Wähnen, es träumt sich zurück…“ wird bei ihrer Rückkehr selbst auf kleinere Bühnen als Entdeckung vom Publikum (von Gera und Magdeburg bis Hamburg und Dresden) dankbar aufgenommen. Es betrifft auch das witzige Parlando-Stück um den „Ring des Polykrates“ (Heidelberg) und eben jenes „Wunder der Heliane“ aus dem Jahre 1927, das jetzt in Berlin Furore machen dürfte.

Korngolds kreatives Kräftemessen mit Richard Strauss

Es ist aber auch ein exzessiver Orchesterklangrausch und ein Sichverströmen der Stimmen sondergleichen. Der bekennende Korngold-Fan Marc Albrecht trifft mit dem Orchester der Deutschen Oper von Anfang an jenen Ton, der Korngolds ganz eigene melodieaffine Sprache mit dem Ehrgeiz eines Über-Strauss oder Wagnererben verbindet. Hinzukommt, dass sich der damals neben Strauss meistgespielte Komponist sieben Jahre nach der „Toten Stadt“ auch selbst zu übertreffen versuchte. 1927 war auch das Uraufführungsjahr von Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“, Othmar Schoecks „Penthesilea“, aber auch von Franz Lehárs „Zarewitsch“ und von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Brecht/Weill. Richard Strauss bewegte sich da zwischen „Intermezzo“ und „Ägyptischer Helena“.

Szenenbild aus "Das Wunder der Heliane"
Das Wunder der Heliane/Deutsche Oper Berlin © Monika Rittershaus

Gegen die Ästhetik der Moderne kam Korngold mit seiner Heliane schon damals nicht mehr an. Heute muss freilich niemand mehr über die Nähe zu Fortschritt und Zukunft rechten. In der Opernpraxis ist avantgardistischer Furor nur ein Aspekt, die kulinarische Prachtentfaltung, der Anspielungsreichtum und der verschwenderische Umgang mit den zu Gebote stehenden Mitteln ein nicht minder gewichtiger. Wohin das in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Luft liegende, kreative Kräftemessen Korngolds vor allem mit Richard Strauss (oder Puccini und den Vertretern einer avancierteren Moderne) hätte führen können, bleibt Spekulation. Korngold musste sich vor dem Rassenwahn der Nazis durch das Exil in den USA in Sicherheit bringen. Dort stellte er sein Talent in die Dienste Hollywoods und eröffnete mit ziemlichem Erfolg der Filmmusik neue Perspektiven.

Wahn und Wunder

Eros und Tod, Wahn und Wunder gehören in vielen Fällen zu den Ingredienzien von Oper. Aber in der Heliane kommt es besonders dick, was dieses Werk neben der musikalischen auch zu einer veritablen szenischen Herausforderung macht. Der Plot, wie ihn Librettist Hans Müller-Einigen aus dem Mysterienspiel „Die Heilige“ von Hans Kaltneker destilliert hat, wirkt schon recht verquer. Wobei jenes Reich, in dem den Untertanen jede Freude und Lust verboten sind, in diversen Gottesstaaten auch heute nicht nur eine beklemmende Drohung ist.

Im Stück ist der Herrscher besonders frustriert, weil sich die schöne Königin Heliane ihrem Gatten verweigert. Ein charismatischer Fremder wird als personifiziertes Gegenteil dieser Askese eingesperrt und zum Tode verurteilt. Als die emphatische Königin ihn in der Nacht vor seiner Hinrichtung besucht, sie ihm ihr Haar, ihre Füße und den Anblick ihrer Nacktheit „schenkt“, und der König sie erwischt, will er auch seine Frau für diesen Ehebruch, der für ihn eine klare Sache ist, hinrichten lassen.

Szenenbild aus "Das Wunder der Heliane"
Das Wunder der Heliane/Deutsche Oper Berlin © Monika Rittershaus

Der König macht den Skandal öffentlich – und der Fremde begeht Selbstmord, um die Königin zu schützen. Doch dann begeht der König selbst eine Art Gotteslästerung: Wenn die Königin rein ist, dann solle der Tote durch Gottesurteil wieder auferstehen. Das verkündet er voll Zynismus und entgegen seiner Überzeugung. Angesichts ihrer bevorstehenden Hinrichtung lässt Heliane jetzt alle Rücksicht fahren und bekennt sich zu ihrer Liebe zu dem Toten.

Die Wucht, die der Diskurs von Fragen um Liebe, Glück, Treue, rigorose Gesetze, Wunder und Wunderglaube entfaltet

Genau da ereignet sich das Wunder: Der Fremde steht wieder von den Toten auf! Und im Rausch dieser Inszenierung hält man das sogar für möglich. Doch nun ersticht der König in blinder Wut Heliane. Das Ende ist nicht ganz von dieser Welt, die Heliane und der Fremde gemeinsam verlassen, während alle anderen zu Boden sinken.

Loys Meisterschaft – durch subtile Personenführung mit der Musik denken und atmen

An der Flämischen Oper in Gent hatte David Bösch das im vorigen Jahr als eine archaische Geschichte erzählt. Christof Loy, Johannes Leiacker (Bühne) und Barbara Drosihn (Kostüme) wählen einen anderen Weg und setzten mit einer unbestimmten Gegenwartsnähe mehr auf die Wucht, die der Diskurs von grundsätzlichen Fragen um Liebe, Glück, Treue, rigorose Gesetze, Wunder und Wunderglaube entfaltet, wenn man ihn nicht in die Ferne ent-, sondern an uns heranrückt. Mit ihrer eher heutigen schwarz-weiß korrekten Anzugsordnung unterscheiden sich Herrscher, Richter und Volk kaum voneinander. Mehr schon durch ihre Körpersprache.

Szenenbild aus "Das Wunder der Heliane"
Das Wunder der Heliane/Deutsche Oper Berlin © Monika Rittershaus

In einem großen holzvertäfelten Einheitsraum in der dunklen Pracht der Entstehungszeit spielt Loy seine Fähigkeit voll aus, durch eine subtile Personenführung mit der Musik zu denken und zu atmen. Wie ihm das gelingt, belegt allein schon die gespannte Aufmerksamkeit, die in den wenigen Momenten der Stille von keinem Geräusch im Saal unterbrochen wurde.

Marc Albrecht führt ein Traumensemble durch die grandiose Partitur

Gespielt und gesungen wird durchweg auf höchstem, denkbaren Niveau: Josef Wagner untermauert seinen Herrschers voller Frust und Wut mit vitaler vokaler Wucht. Brian Jagde besticht als der Fremde, der die Königin so fasziniert, mit erotisch timbrierter Dauer-Strahlkraft. In der Mitte zwischen den beiden aber fasziniert Sara Jakubiak nicht nur mit den Salome-Anklängen der Partie, sondern mit der unangestrengten Leuchtkraft ihrer Stimme. Zudem gelingt ihr auch darstellerisch der Coup, von der (als einzige) in strahlendem Weiß auftretenden Heiligen in eine – hier ohne den geringsten Anflug von Peinlichkeit – ganz selbstverständliche Nacktheit zu wechseln. Okka von der Damerau verpasst der Botin (und ihren Ambitionen auf den König) markantes Profil.

Auch der blinde Schwertrichter (Burkhard Ulrich), der Pförtner (Derek Welton), der junge Mann (Gideon Poppe) und die sechs Richter sind höchst adäquat besetzt. Die von Jeremy Bines einstudierten Chöre bleiben auch bei voller Lautstärke, ebenso wie das Orchester, musikalischer Hochgenuss. Was vor allem Marc Albrecht zu danken ist, dem das gewaltige Dauerfeuer aus dem Graben nie entgleitet.

An der Deutschen Oper haben sich diesmal Planungsinstinkt, eine klug angemessene Szene, ein handverlesenes Protagonisten-Ensemble, ein Chor und ein Orchester in Hochform zusammengefunden, um Das Wunder der Heliane wahr zu machen. In und mit dem Stück. Bravo.

Deutsche Oper Berlin
Korngold: Das Wunder der Heliane

Marc Albrecht (Leitung), Christof Loy (Regie), Johannes Leiacker (Bühne), Barbara Drosihn (Kostüme), Sara Jakubiak, Josef Wagner, Brian Jagde, Okka von der Damerau, Derek Welton, Burkhard Ulrich, Gideon Poppe, Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin

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Weitere Termine: 22. & 30.3., 1. & 6.4.2018

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