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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Le Grand Macabre

Die Party zum Weltuntergang

(Frankfurt am Main, 5.11.2023) In György Ligetis 1978 uraufgeführter, wunderbar frisch gebliebener Anti-Anti-Oper zündet der russische Regisseur Vasiliy Barkhatov ein Feuerwerk an Opulenz.

vonJoachim Lange,

In der Frankfurter Oper ist an der Durchgangswand zum Foyer kaum Platz übrig für noch eine weitere Urkunde, die das Haus als „Opernhaus des Jahres“ rühmt. Das kann man langweilig finden, aber Bernd Loebe und sein gesamtes Team tun auch was dafür. Nicht nur mit einem nachhaltig hohen musikalischen Niveau und unterschiedlichen Inszenierungsansätzen, sondern auch mit der Auswahl der Stücke.

Absurdes Theater trifft musikalische Avantgarde

György Ligetis „Le Grand Macabre“ gehört immer noch in die Rubrik der Herausforderungen. Obwohl diese Weltuntergangsgroteske seit ihrer Stockholmer Uraufführung 1978 ein paar Jährchen und etliche Inszenierungen, auch an kleineren Häusern, hinter sich hat. Der Komponist hatte es für die Salzburger Festspiele 1996 noch einmal überarbeitet. Doch so, wie da absurdes Theater (Vorlage ist Michel de Ghelderodes Schauspiel „La Balade du Grand Macabre“) und musikalische Avantgarde aufeinandertreffen, wirkt das auch heute noch ziemlich frisch. Mal abgesehen davon, dass die Weltlage das ihre beiträgt. In Frankfurt flackern am Ende einer opulent entfesselten Untergangsparty im Casino Royal Palace Breaking News über einen Bildschirm, die wie live von heute wirken.

Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt

Für sein Stück hat Ligeti im Arsenal der Operngeschichte mit eklektizistischem Geschick alle möglichen Inspirationen eingesammelt und sie zu etwas Eigenem gemacht. Für das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und seinen neuen, jungen Chef Thomas Guggeis ist das natürlich keine Hürde.

Das imaginäre Breughelland hat ein Verkehrs-, die Welt als Ganze ein Existenzproblem

Inszeniert hat Vasiliy Barkhatov. Er ist einer der erfolgreichen russischen Regisseure hierzulande und hat in Frankfurt in der vorigen Saison mit Tschaikowskis eher selten zu sehender „Zauberin“ das erste Mal Furore gemacht. Zusammen mit Zinovy Margolin (Bühne) und Olga Shaishmelashvili (Kostüme) liefert er ein Feuerwerk an Opulenz. Im ersten Teil in der Tristesse eines chaotischen Verkehrsstaus in einer urbaneren Konstruktion von zwei übereinander führenden Hochstraßen. Hier bestimmen die Katastrophenmeldungen über den bevorstehenden Kometeneinschlag samt Weltuntergang die TV-Nachrichten aus aller Welt. Das imaginäre Breughelland hat ein Verkehrs-, die Welt als Ganze ein Existenzproblem.

Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt

Der Säufer Piet vom Fass (auch mit körperlicher Präsenz: Peter Marsh) torkelt besoffen und nur im Bademantel aus einem Taxi. Amanda (Elizabeth Reiter) und Amando (Karolina Makula) stört das nicht – sie verkriechen sich bis nach der Katastrophe in einem gerade aus einem Leichenwagen gerutschten und dann frei gewordenen Sarg bis nach dem Ende zum Dauerliebesspiel. Der Bestatter gibt sich mit großer Geste als der Große Makabre mit Namen Nekrotzar aus. Der Name wird dann auch schon mal auf bizarr gereimt. Simon Neal setzt ihn mit vokaler Pracht in Ton und Szene. Aber er will die Welt untergehen lassen, was er am Ende freilich nicht hinbekommt. Astronomie wird in diesem Stau in einem Wohnwagen betrieben, dem eine Seite fehlt, so dass wir zuschauen können, wie Mescalina (deftig zulangend: Claire Barnett-Jones) ihren Mann Astradamors (Alfred Reiter) drangsaliert, sich ihr Sohnemann mit dem Tablet verzieht und von allem, was um ihn herum passiert, nichts mitbekommt.

In einem raffinierten Effekt wird die fehlende Seite des Wohnmobils zu einer Projektionsfläche für die erotischen Wünsche einer unterversorgten Ehefrau, bis Nekrotzar auftaucht und das Herz von Mescalina in der Mikrowelle landet. Wenn Nekrotzar und Atradamors sich den bevorstehenden Weltuntergang ausmalen, wird das Publikum erstmal in die Pause verabschiedet.

Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt

Szenenapplaus fürs Bühnenbild

Manche nehmen das Ganze so ernst, dass sie gleich die Flucht antreten – die meisten aber finden sich nach der Pause wieder auf ihren Plätzen ein und quittieren das Bühnenbild und das leuchtend rote, neobarock üppige Kostüm des Fürsten Go-Go (Eric Jurenas mit hohen Tönen ausstattet) mit einem Szenenapplaus. Was dann in diesem mit Säulen und einem üppigen Bartresen begrenzten Nachtclub mit Tanzfläche in der Mitte abgeht, ist eine mit reichlich weißem Pulver überstreute (und angeheizte) Kostümorgie sondergleichen. Regiert wird hier nur nebenbei – mittels Rausschmiss und Wiedereinstellung des weißen und des schwarzen Ministers, die auch Michael McCown und Ian MacNeil unter einer Kostümierung abtarnen.

Faszinierend wie Anna Nekhames als Chef der Geheimpolizei Gepopo im kleinen Schwarzen ihre glasklaren Koloraturen herausschleudert. Ansonsten gibt’s einen Querschnitt durch die Weltgeschichte von den Pharaonen, über Napoleon bis Stalin und Mobutu. Und Nekrotzar schwingt dabei die Kettensäge. Das große Massaker gibts dann aber nur als ein veritables Drunter und Drüber, das man auch erstmal so hinbekommen muss. Zum apokalyptischen Totentanz auf dem Vulkan, bei dem alle dem Kometen die Zunge rausstecken, wird das vor allem dank der Musik letztlich in der Phantasie der Zuschauer erlebbar.

Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Le Grand Macabre“ an der Oper Frankfurt

Der alltägliche Untergangswahnsinn

Doch als ein paar aufgepolsterte Musiker auf der Bühne schon Engelsmusik beisteuern und der Countdown bis zum Weltuntergang in den letzten Zügen ist, kommen ein paar Techniker und drehen dem Wahnsinn den Saft ab. Am Ende werden die Jalousien einfach hochgezogen und die dahinter liegende Welt steht noch. Im Fernsehen allerdings schaut sich Nekrotzar dann die Bilder des alltäglichen Untergangswahnsinns an.

Oper Frankfurt
Ligeti: Le Grand Macabre

Thomas Guggeis (Leitung), Vasily Barkhatov (Regie), Zinovy Margolin (Bühne), Olga Shaishmelashvili (Kostüme), Joachim Klein (Licht), Ruth Stofer & Tabea Rothfuchs (Video), Tilman Michael (Chor), Maximilian Enderle (Dramaturgie), Simon Neal, Peter Marsh, Eric Jurenas, Anna Nekhames, Alfred Reiter, Claire Barnett-Jones, Michael McCown, Iain MacNeil, Elizabeth Reiter, Karolina Makuła, Nicolai Klawa, Yan Lei Chen, Yongchul Lim, Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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