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Opern-Kritik: Oper Köln – Die Krönung der Poppea

Jenseits von Gut und Böse

(Köln, 5.5.2024) Regisseur Ted Huffman schildert Hedonismus, Libertinage und die sich mit ihnen verbindenden Kabalen und Rankünen, ohne dass ihn der moralische Zeigefinger juckt. Dies bekommt Monteverdis letzter Oper „Die Krönung der Poppea“ ganz außerordentlich. Das Ensemble singt famos.

vonMichael Kaminski,

Selbst dem philosophischen Tugendbold Seneca ist an der Oper Köln nicht zu trauen. Viel zu bereitwillig hat er seine Weisheitslehren dem Imperator als moralingefärbtes Deckmäntelchen für dessen Eskapaden angedient. Der Preis ist hoch. Wenn Neros sexuelle Sicherungen durchknallen, zwingt der Kaiser den nurmehr lästig fallenden Philosophen, sich mittels Selbstmord eigenhändig zu entsorgen. Der Abgang beweist die vollkommene Überflüssigkeit sittenstrenger Anwandlungen innerhalb einer Gesellschaft, deren Elite ganz und gar ihren Machtgelüsten und sexuellen Begierden frönt.

Wem gelingt, seine oder ihre weiblichen, männlichen, mag sein auch diversen, Schlüsselreize auszusenden, um das hierdurch geweckte Appetenzverhalten zu befriedigen, avanciert nach ganz oben. Deshalb ist Nero Kaiser, und Poppea steigt zur Herrscherin an seiner Seite auf.

Szenenbild aus „Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln

Ungehemmt freizügig

Regisseur Ted Huffman schildert Hedonismus, Libertinage und die sich mit ihnen verbindenden Kabalen und Rankünen, ohne dass ihn der moralische Zeigefinger juckt. Was Monteverdis letzter Oper ganz außerordentlich bekommt. Die sinnliche Attacke ist ungestüm. Poppea rückt dem Imperator derart zudringlich auf den Leib, dass die Energie ihres Eroberungszuges über den Orchestergraben hinweg ins Publikum brandet. Eros, Sexus und Machtstreben verknäulen sich bis zur Ununterscheidbarkeit.

Gleichermaßen üben des Monarchen hohes Amt wie seine attraktive Erscheinung Anziehungskräfte auf die Titelfigur aus. Der abgehalfterte Liebhaber Ottone muss da ebenso auf der Strecke bleiben wie für Nero die Noch-Gemahlin. Letztere gibt sich denkmalgleich erstarrt. In der Tat, Octavia vergaß, wie sehr sinnliche Signale zur Herrschaftsübung zählen. Einschließlich der Mitwirkung bei sexuellen Lizenzen, in die – enthusiasmiert von Senecas Hinscheiden – der Imperator und Poppea den Hofpoeten Lucano einbeziehen.

Szenenbild aus „Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln

Sex und Politik gehören zusammen

Bei alledem vergisst Huffman keinen Augenblick jene politische Dimension, die Monteverdi und seinen Librettisten Francesco Busenello von Freizügigkeiten in der Renaissance-Manier der Komödien und Hetärengespräche eines Pietro Aretino oder der Rokoko-Laszivität von Choderlos de Laclos „Gefährlichen Liebschaften“ trennt. Sex und Politik gehören für den venezianischen Barock unbedingt zusammen. Dem Dritten Stand bleibt nichts, als sich durch eine Mixtur aus Warnungen, Schmeicheleien und guter Miene zum Treiben der Herrschaft an dies alles zu attachieren, um dabei auf persönlichen Profit zu hoffen.

Durch die Vereinigung der beiden Ammenrollen zu einer Figur erhält dies Begehren ebenso nachvollziehbare wie komische Evidenz. Die Produktion ist eine Übernahme aus Aix-en-Provence. Was aber in okzitanischer Umgebung unter südlicher Sonne durchaus dem ungebremsten Sinnentreiben, wenn schon nicht Einhalt gebieten, so doch einen Rahmen zu geben vermag, erweist sich bei seiner Verpflanzung in den Norden als Hemmschuh. Weder die beobachtende Anwesenheit der gerade nicht ins Geschehen eingreifenden Figuren auf einer im Bühnenhintergrund positionierten Bank oder ihr die Spielfläche flankierender Zuschauerstatus, noch die Einfassung mittels schwarzer Wände unter Aussparung einer weißen Apsis überzeugen.

Szenenbild aus „Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln
Szenenbild aus „Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln

Nicht Understatement gibt sich hier kund, sondern blanke Einfallslosigkeit. Bühnenbildner Johannes Schütz reduziert dergestalt den Schauplatz auf Ennui. Da kann er zuweilen ein bedrohliches Rohr über den Spielenden kreisen lassen, wie er will. Alles viel zu oft gesehen. Kostümbildnerin Astrid Klein transferiert die gesellschaftlichen Positionen des alten Rom ins Heute.

Berückendes Casting

Musikalisch nimmt die Kölner „Poppea“ unbedingt für sich ein. Fesch bettet George Petrou mit dem Gürzenich-Orchester die Singenden auf einen sinnlichen Pfuhl. Elsa Benoit in der Titelpartie windet vokal berückende Girlanden um Kaiser Nero. Dem Imperator verleiht Jake Arditti gleichermaßen Charme und die Willkür des Machthabers. Für die Ammen gebietet John Heuzenroeder über seinen grandios auf Pointen fokussierten Charaktertenor. Camille Poul ist ein willensstarker Amor. Überhaupt ist die Abstimmung stimmlicher Valeurs anlangend das Ensemble prächtig gecastet.                           

Oper Köln
Monteverdi: Die Krönung der Poppea (L’incoronazione di Poppea)

George Petrou (Leitung), Ted Huffman (Regie), Johannes Schütz (Bühne), Astrid Klein (Kostüme), Bertrand Couderc (Licht), Elsa Benoit, Jake Arditti, Adriana Bastidas-Gamboa, Paul-Antoine Bénos-Djian, Christoph Seidel, John Heuzenroeder, Maria Koroleva, Camille Poul, Laurence Kilsby, Armando Elizondo, William Socolof, Gürzenich-Orchester

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