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Opern-Kritik: Oper Köln – Manon Lescaut

Von Männern zugrunde gerichtet

(Köln, 28.9.2025) In „Manon Lescaut“, seiner ersten Opernproduktion im neuen Amt, türmt der Kölner GMD Andrés Orozco-Estrada mit dem Gürzenich-Orchester die dramatischen Wogen hoch auf. Regisseur Carlos Wagner lässt den Machismo des Werks krass ausspielen.

vonMichael Kaminski,

Puccinis erster Welterfolg ist über weite Strecken von Fluchtbewegungen bestimmt. Manon flieht mit Des Grieux nach Paris, dort wollen die Liebenden aus dem Haus Gerontes entkommen. In Le Havre versucht Des Grieux Manons Flucht aus dem Gefängnis zu organisieren. Final entweichen sie in die Einöde Louisianas. Überdies flieht Manon die Armut. Nicht, weil sie ein leichtfertiges Geschöpf ist, stellt Regisseur Carlos Wagner an der Oper Köln klar. Einziges Kapital der jungen Frau ist der Liebreiz ihres Äußeren.

Niemand denkt daran, sie für anderes entlohnen zu wollen. Geronte exponiert sie wie eine lebendige Trophäe. Statt in Gesellschaftstänzen lässt er sie im Pole Dance unterrichten. Eher als auf artistische Fertigkeiten zielt der Galan dabei auf Halbwelt- und Zuhälterattitüde. Angetan mit Zylinder, Gerte und einem wie für eine Edeldomina umfunktionierten Reitkostüm, bedient des Steuerpächters Maitresse Klischees nicht aus freien Stücken, sie muss ihnen willfahren. Die Sado-Maso-Attitüde und die simulierte femme fatale sind marktgängig. Der eigene Bruder profitiert als Fotograf für ihre sexistisch aufgeladene Setcard von Manons Prostitution.

Szenenbild aus „Manon Lescaut“
Szenenbild aus „Manon Lescaut“

Emotionale Erpressung und existentielle Unbehaustheit

Des Grieux fehlen die Finanzmittel, um die Begehrte dauerhaft an sich zu binden. Glücklos im Spiel, setzt er der Verzweiflung nahe auf emotionale Erpressung, moralingetränkte Anklage und gar körperliche Züchtigung mit Manons Dominarequisit, der Reitgerte. Wagner lässt den Machismo bis zu einem Grad ausspielen, auf dem sich die Frage erhebt, weshalb die junge Frau solch brutale Demütigung erträgt. Zumal Des Grieux sich von Manons Seelenleben allenfalls in homöopathischen Dosen berührt zeigt, ihn verlangt allererst nach ihrer Schönheit. Ihrer äußeren Erscheinung weiht er sein Leben. Den verkrachten Studenten und Glücksspieler erreichen – darin gleicht er Geronte – wenig mehr als Oberflächenreize. Unter solcher Äußerlichkeit verflacht Frank Philipp Schlößmann die Welt zur Scheibe. Freilich einer zum verheißungsvollen Beginn höchst dekorativ bebauten.

Manon reitet auf einem der Gäule eines nostalgischen Kirmeskarussells ins Stück. In Gerontes Palais mutiert das Fahrgeschäft zum goldglitzernden Käfig. Seine eigentliche Bestimmung zeigt sich in Le Havre, ein Stangenrund von Gefängnis, dessen Insassinnen allseitigem Begaffen und preisgegeben sind. Die kahle Scheibe inmitten der Einöde entlarvt das noch weit härtere brutum factum einer permanenten Drehbewegung in existentieller Wüste, eines Lebens im Leerlauf. Jon Morell bevorzugt jenseits des diese Grenze überschreitenden Reitkostüms Heutiges im Zwischenreich von Großer Welt und Halbwelt.

Szenenbild aus „Manon Lescaut“
Szenenbild aus „Manon Lescaut“

Musikalisches Drama pur

Gleich der szenischen, so kann die musikalische Seite dieser im vergangenen Mai am Madrilener Teatro Real herausgekommenen und nun nach Köln transferierten „Manon Lescaut“ in vielem punkten. Unter Rustam Samedov agiert der Chor des Hauses zwar vokal versiert, doch stünden ihm mehr Brillanz und Feuer noch besser an. In seiner ersten Opernproduktion im neuen Amt türmt der neue Kölner GMD Andrés Orozco-Estrada mit dem Gürzenich-Orchester die dramatischen Wogen hoch auf. Fortwährend bleibt dabei die dichte erinnerungsmotivische Verflechtung der Partitur durchhörbar. Puccinis Bayreuther Erfahrungen sind unterschwellig vernehmbar, Brio und Puccinis ureigene dramatische Pranke überwiegen.

Carolina López Moreno bietet für ihre Manon gleichermaßen lyrische Emphase und dramatische Attacke auf. Diese Manon besteht auf ihren Anteil am Glück und muss dennoch unter dem Machismo der Männer zerbrechen, auch dem des Geliebten. Lopéz Moreno beglaubigt dies ergreifend. Viril und höhensicher verkörpert Gaston Rivero seinen Des Grieux. Um Kräfte für tenorale Glanzleistungen zu sammeln, agiert er vokal bisweilen mit merklicher Ökonomie. Insik Choi gibt einen ganovenhaft profilierten Lescaut. Den Bassfiesling vom Dienst verkörpert Cristian Saitta als Geronte.      

Oper Köln
Puccini: Manon Lescaut

Andrés Orozco-Estrada (Leitung), Carlos Wagner (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Jon Morrell (Kostüme), Nicol Hungsberg (Licht), Rustam Samedov (Chor), Carolina López Moreno, Insik Choi, Gaston Rivero, Cristian Saitta , Vasyl Solodkyy, Michael Terada, Adriana Bastidas-Gamboa, Wesley Harrison, Rhydian Jenkins, Yongmin Kwon, Gürzenich-Orchester Köln, Chor der Oper Köln






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