Opern-Kritik: Oper Leipzig – Die verkaufte Braut

Kunterbunt im böhmischen Dorf

(Leipzig, 15.6.2019) Die Oper Leipzig beschließt den Premierenreigen dieser Spielzeit mit Bedřich Smetanas „Verkaufter Braut“.

© Kirsten Nijhof

Szene aus „Die verkaufte Braut“ an der Oper Leipzig

Der musikalische Wegweiser in die Idylle eines böhmischen Dorfes ist unüberhörbar. Die Musik geht zu Herzen, umschmeichelt die Seele. Zumal, wenn man weiß, dass der „Vertrag“, nach dessen Buchstaben Hans seine Marie für ganze 300 Gulden dem reichen aber trottligen und stotternden Wenzel überlässt, ein Streich ist, den der clevere Hans allen spielt. Er und wir wissen, dass er selbst auch (wie Wenzel) jener Sohn des Micha ist, den Marie nach diesem fragwürdigen Handel heiraten soll. Nur, dass er auch sie lange im Dunkeln über seine wahre Identität lässt, verschafft dem Dauervergnügen ein paar auch musikalisch düstere Momente der Verzweiflung. Und bringt Hans in der Leipziger Inszenierung von Christian von Götz eine verdient schallende Ohrfeige vor der großen Versöhnung ein.

Die verkaufte Braut: Smetanas Musik dazu ist populär wie ein Markenzeichen

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Szene aus „Die verkaufte Braut“ an der Oper Leipzig

An der Geschichte kann es kaum liegen, dass die „Verkaufte Braut“ Bedřich Smetana den Ruf verschaffte, damit eine tschechische Nationaloper komponiert zu haben. Aber so ist das eben, wenn seine bekannteste Komposition „Die Moldau“ heißt und der sinfonische Zyklus, zu dem sie gehört „Mein Vaterland“. Aber die Musik der „Verkauften Braut“ ist populär wie ein Markenzeichen, geht von außen betrachtet als böhmisch durch und unmittelbar ein.

Darauf setzten Christoph Gedschold und das Gewandhausorchester denn auch mit Inbrunst. Atemberaubend schon der Wechsel zwischen dem Tempo der losbrechenden Ouvertüre und den Momenten des lauernden Abwartens zwischendrin. Wunderbar das Auf- und Ausschwingen der Melodien, in die sich die fast durchgängig überzeugenden Protagonisten nur fallen lassen müssen. Das klingt im besten Sinne böhmisch, ohne die folkloristische Überspitzung wie vor allem in den Kostümen von Sarah Mittenbühler nötig zu haben. Es braucht keinen gebürtigen Tschechen am Pult, um den Smetanaton zu treffen und den Funken überspringen zu lassen.

Oper mit Happy End

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Szene aus „Die verkaufte Braut“ an der Oper Leipzig

Die Nähe zur klassischen Spieloper mit einer auf ein Happy End zusteuernden Handlung und die einst recht durchlässige kulturelle Grenzen zwischen dem Deutschen und Böhmischen werden wohl dazu beigetragen haben, dass sich nach der deutschsprachigen Erstaufführung in Wien 1893 auch eine deutschsprachige Fassung etablierte. Auch in Leipzig wird in dieser Übersetzung von Max Kalbeck gesungen. Sie funktioniert mit ihrer gereimten Heiterkeit ganz gut. Auch wenn man gerade dem Tschechischen zu Recht eine besondere Musikalität nachsagt.

Auch die opulenten Räume, die Dieter Richter auf die Drehbühne gesetzt hat, machen Eindruck: Ein großer Festsaal von dessen Wänden der Putz abblättert. Wie eine kleine Dorfsaalbühne prangt im Hintergrund ein Riesenspiegel mit barockem Rahmen, bei dem man nie genau weiß, wie real, gespielt oder projiziert das ist, was man dort gerade sieht oder zu sehen glaubt. Düster ist es, wenn Marie an der Nähmaschine sitzt und einsam an ihrem Folklorekostüm näht. Zur Zirkusarena weitet sich alles, wenn die Artisten einfallen oder wenn Wenzel und Esmeralda wilden Bär und Tänzerin vorgaukeln. Zwischen dieses Vorn und Hinten schiebt sich immer wieder eine hohe Wendeltreppe in einer Ecke aus zwei Wänden, die mit Fotos der „erfolgreichen“ Kuppeleien von Heiratsvermittler Kezal tapeziert sind.

Ein leitmotivischer Gag ist das große vergilbte Gruppenfoto der Dorfgemeinschaft, das schon vor Beginn der Ouvertüre den Zwischenvorhang ziert. Und das sich nach deren Start als Arrangement aus lauter knallbunt überzeichneten und höchst lebendigen Menschen erweist. Zumindest zum Teil.

Fabelhaftes Protagonistenensemble

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Szene aus „Die verkaufte Braut“ an der Oper Leipzig

Vokal hat die Oper Leipzig ein fabelhaftes Protagonistenensemble beisammen, das daraus auch etwas zu machen versteht. Vor allem Magdalena Hinterdobler und Patrick Vogel als Marie und Hans sind ein stimmlich treffsicheres Paar mit Hindernissen. Sebastian Pilgrim besticht mit seiner sonoren, aber doch noch jugendlichen, auch darstellerischen Souveränität als Kezal. Sven Hjörleifsson denunziert trotz seiner ausgestellten Naivität den Stotterer Wenzel keineswegs, sondern macht seine Emanzipation aus der Enge der Verhältnisse glaubhaft. Die Eltern (Franz Xaver Schlecht und Sandra Maxheimer als die von Marie, vor allem aber Jean-Baptiste Mouret und Sandra Jahnke als Eltern von Hans und Wenzel) und das Zirkuspersonal (Bianca Tognocchi als Esmeralda, Martin Petzold als Zirkusdirektor oder Jakob Kunath als Indianer) haben es da schon schwerer, dem eng geschnürten, überdreht komödiantischen Korsett zu entkommen.

Die folkloristisch überdosierten Kostüme und die absurden Frisuren erinnern allzu deutlich an die Art wie Herbert Fritsch seine Figuren überzeichnet, um dann allerdings mit seinem überdrehten Theater auch wieder bei dem Stück anzukommen, wenn er sie entsprechend inszeniert. Meistens jedenfalls. Bei Christian von Götz hat man allzuoft in all dem entfesselten Dorftanz und Zirkustumult das Gefühl, dass er etwas vom Wege abkommt und manchmal zu sehr Klamotte oder Operette anvisiert. Man denkt, da müsste doch noch was kommen. Aber es ist dann höchstens das knallende Blitzlicht. Oder eine Handvoll Konfetti.

© Kirsten Nijhof

Szene aus „Die verkaufte Braut“ an der Oper Leipzig

Am Ende hat das Böhmische Dorf auf der Bühne auch etwas von jenen sprichwörtlichen Böhmischen Dörfern, die dem Außenstehenden – bei aller Gastfreundschaft dort und Sympathie hier – verschlossen bleiben. Der enthusiastische Premierenbeifall in Leipzig behauptete entschlossen das Gegenteil. Jeder Kandidat für die anstehende Nachfolge von Ulf Schirmer als Intendant wäre gut beraten, aus diesem Beifall seine Schlüsse zu ziehen. So oder so.

Oper Leipzig
Smetana: Die verkaufte Braut

Christoph Gedschold (Leitung), Christian von Götz (Regie), Dieter Richter (Bühne), Sarah Mittenbühler (Kostüme), Raoul Brosch (Licht), Alexander Stessin (Choreinstudierung), Christian Geltinger (Dramaturgie), Sandra Maxheimer (Kathinka), Magdalena Hinterdobler & Olena Tokar (Marie), Sandra Janke (Agnes), Bianca Tognocchi (Esmeralda), Franz Xaver Schlecht (Kruschina), Jean-Baptiste Mouret (Micha), Dan Karlström (Wenzel), Patrick Vogel (Hans), Sebastian Pilgrim (Kezal), Martin Petzold (Zirkusdirektor Springer), Jakob Kunath (Muff), Opernchor, Gewandhausorchester

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