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Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Pique Dame

In sich logisch und doch ein bisschen fad

Filmregisseur Andreas Dresen debütiert an der Semperoper Dresden mit Peter Tschaikowskys bester Oper „Pique Dame“.

vonChristian Schmidt,

Drei, Sieben und Ass: Drei Karten sind es, die endlich Glück verheißen. Glück für den unbedeutenden Offizier Hermann, der nicht nur auf Reichtum, sondern vor allem auf soziale Anerkennung im zaristischen Petersburg aus ist, dessen Pomp im Gegensatz zu seiner bürgerlichen Erscheinung steht. Seine Angebetete Lisa entstammt dem Adel und könnte sich standesgemäß in goldenen Käfigen langweilen, aber sie entscheidet sich für den einfachen Soldaten, der ihre Großmutter jedoch für die Preisgabe des Kartengeheimnisses zu Tode erschreckt. Von Visionen gemartert, zerbricht Hermann schließlich an seinem Wahn, dem Schicksal ein Schnippchen schlagen zu können. Ob er das Spielglück sucht, um Lisa zu gewinnen, oder ob es (wie in Puschkins Vorlage) umgekehrt ist – die Frage lässt Peter Tschaikowsky in seiner selbsternannt besten Oper „Pique Dame“ offen.

Seit ihrer Uraufführung 1890 erlebt das Erfolgsstück in Dresdens Semperoper erst seine dritte Neuproduktion, was verwunderlich ist, vereint es doch Grand Opéra, Thriller und Tschaikowskys buchstäblich aufwühlende Musik in einem großartigen Werk, das alle Bedürfnisse eines vielfältigen Publikums bedient. Die episodische Erzählung, die große Szenen und psychologisierendes Kammerspiel meisterhaft miteinander verschränkt, ist eigentlich schon wie ein Film konzipiert, der aus Totalen und Nahaufnahmen ein dramaturgisches Ganzes bildet.

Szenenbild aus „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden

Im nüchternen Wände-Labyrinth

Damit kennt sich der hochdekorierte Kinoregisseur Andreas Dresen aus, der nicht zum ersten Mal eine Oper inszeniert, aber doch im Semperbau debütiert. Eben weil er räumlich nicht nahe an die Figuren herankommt, hat er das Bühnengeschehen gleich ganz abstrahiert und auf der mehrfach in sich drehbaren Bühne von Mathias Fischer-Dieskau ein nüchternes Wände-Labyrinth bauen lassen, das für den Protagonisten Hermann einerseits die Barriere auf dem Irrweg in die „bessere“ Gesellschaft bildet, andererseits auch seinen Spielwahn und die daraus resultierende geistige Störung versinnbildlichen soll.

Ganz nebenbei, gibt Dresen pragmatisch im Programmheft zu, ermöglicht das Bühnenbild auch schnelle Auf- und Abzüge. Diese Nüchternheit der Szene setzt allerdings sehr viel Vorkenntnis des Stücks voraus, um die Zusammenhänge und auch die Zwischentöne zu verstehen, und so gehen – bei aller Konzentration des Regisseurs auf den Konflikt zwischen reglementierter Masse und individueller Glückssuche – einige interessante Aspekte von Tschaikowskys durchaus differenziertem Gesellschaftsporträt verloren. So wirkt zwar alles in sich logisch, aber auch ein bisschen fad.

Szenenbild aus „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden

„Spiel im Spiel“ als gelungener spiegelnder Akzent

Dabei springt Dresen nicht kurz: Aktuelle Assoziationen zu vermeintlich despotisch verwalteten Gemeinschaften, etwa zum Ursprungsland des Stücks, verbietet er sich, aber sie schwingen natürlich trotzdem mit und machen die Inszenierung insofern recht vorhersehbar. An einer Stelle überrascht Dresen mit der Übertragung der sonst gern gestrichenen Schäferszene an die Hauptprotagonisten, was als „Spiel im Spiel“ einen gelungenen spiegelnden Akzent setzt. Dagegen wirkt das Bild einer uniformierten Gesellschaft in Gestalt aller Chöre (Kostüme: Judith Adam) schon in den ersten Minuten auserzählt, zieht sich aber drei Stunden hin, und so muss sich Dresen ganz auf seine Sängerdarsteller verlassen, die aus der sogar auf einheitlich choreografierte Bewegungen gedrillten Masse ausbrechen.

Überzeugende Mitstreiter findet er nicht nur in der umwerfenden Vida Mikneviciute als Lisa, die er entgegen der Vorlage am Leben lässt, sondern vor allem auch in Evelyn Herlitzius. Sie versagt ihrer Gräfin zwar nicht den Nimbus des boshaften alten Weibes, lässt aber auch auf wunderbare Weise die Einsamkeit ihrer Figur durchscheinen. Sie ist wohl auch ein moralisches Opfer des Kartengeheimnisses, das im Widerspruch zu ihrer Despotie steht. Daher ist es ganz logisch, dass sie auch die Rolle der gebrechlichen Zarin gleich mit übernimmt. Auch Sergey Polyakov, der den Hermann bereits an vielen europäischen Bühnen gesungen hat, gibt sich sehr überzeugend seinem galoppierenden Wahnsinn hin, bleibt dafür allerdings musikalisch seltsam undifferenziert. Man darf durchaus für bravourös halten, wie er die riesige Partie bewältigt – unterhalb eines gepflegten Forte hört man ihn jedoch selten.

Szenenbild aus „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden
Szenenbild aus „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden

Die musikalischen Intimitäten des feingliedrigen Stücks kommen zu kurz

Es geht überhaupt recht laut zu in der Semperoper. Das steht definitiv nicht in der Partitur, liegt aber vor allem an Mikhail Tatarnikov, der am Pult der Sächsischen Staatskapelle die Wiedererkennbarkeit der Motivik hervorragend herausarbeitet, aber die Intimitäten des feingliedrigen Stücks manchmal zu kurz kommen lässt und dafür viel Wert auf den Bombast legt, als wolle er unbedingt die zeitlose Qualität seines Landsmanns Tschaikowsky beweisen, dessen Werke anderenorts wegen des Ukrainekriegs abgesetzt wurden.

Letztlich ist all das aber gut zu verschmerzen, denn gesungen und gespielt wird an der Semperoper bis auf einige wenige Patzer – etwa im berühmten Quintett des ersten Aktes – trotz allem auf einem Niveau, wie man es hier erwarten darf. Das gilt auch für die große Partie des Staatsopernchores, der nur hin und wieder aus dem metrischen Tritt gerät. Wüsste man es nicht besser, könnte der Staatskapelle mit ihren überirdisch schönen Soli (etwa in Klarinette oder Cello) die glutvolle Partitur auf den Leib geschneidert sein. So werden Ausführende wie Regieteam am Ende nachgerade ausufernd gefeiert, und unberechtigt ist das nicht.

Semperoper Dresden
Tschaikowsky: Pique Dame

Mikhail Tatarnikov (Leiung), Andreas Dresen (Regie), Frauke Meyer (Mitarbeit Regie), Mathias Fischer-Dieskau (Bühne), Judith Adam (Kostüme), Fabio Antoci (Licht),  Michael Tucker (Choreografie). Benedikt Stampfli (Dramaturgie),  Sergey Polyakov, John Lundgren, Christoph Pohl, Aaron Pegram, Martin-Jan Nijhof, Simeon Esper. Rupert Grössinger, Aaron Pegram, Evelyn Herlitzius, Vida Miknevičiūtė, Michal Doron, Nicole Chirka, Ofeliya Pogosyan, Sächsische Staatskapelle Dresden

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