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Opern-Kritik: Staatsoper Unter den Linden – Salome

Aseptischer Strauss-Rausch

(Berlin, 4.3.2018) Altmeister Hans Neuenfels distanziert sich mit präziser Regie vom erotischen Flirren der Partitur

vonPeter Krause,

Müsste man diese Oper mit einer Temperaturempfindung verbinden, wäre wohl „schwül warm“ passend für dieses ganze erotisch aufgeladene, nahöstliche Ambiente. Und welche Farbe stimmt wohl mit dem freudianisch psychologisierten, sexuell verqueren, jugendstilig blühenden Stoff überein? Ein opalschimmerndes, vielseitig schillerndes Violett womöglich.

Natürlich scheuen Inszenierungen heutzutage derart naheliegende Assoziationen wie der Teufel das Weihwasser. Denn mitunter schärfen gerade die Gegenbilder die Wahrnehmung des sattsam Bekannten. Wer würde heute ernsthaft erwarten, Salome müsse im berühmt berüchtigten Schleiertanz unbedingt naturalistisch alle Hüllen Fallen lassen?

Szenenbild aus "Salome"
Salome/Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus

Man braucht auch gar kein schwülstiges Ausstattungstheater, um den Perversionen dieser Geschichte ein Gesicht zu geben. Gerade der einstige Berliner Skandalregisseur Hans Neuenfels und sein Ausstatter Reinhard von der Thannen haben es vielfach durchexerziert, wie das Gegenlesen alter Opern durch verblüffend andere Bildwelten funktionieren kann. Der legendäre „Lohengrin“ in Bayreuth, ja genau, der mit den Ratten, ist nur ein Beispiel hierfür.

Sittenstrenges Art-déco-Schwarz-Weiß

So aufgeräumt wie jetzt an der Lindenoper in Berlin war ein „Salome“-Bühnenbild wohl selten. Das sittenstrenge Schwarz-Weiß des Art déco schicken, jeder Revue zur Ehre gereichenden Bühnenkastens, kann sich freilich sogar auf einen Satz berufen, der in den Oper gesungen wird – von Salome selbst, die den von ihr begehrten und mangels Erfolg einen Kopf kürzer gemachten Jochanaan mit den beiden elementaren Farben beschreibt: Weiß sei sein Leib, schwarz seine Haare. Der moralinsaure Prophet also liefert Neuenfels und von der Thannen die Inspiration zur bewussten Farblosigkeit ihrer Inszenierung. Seine Leibfeindlichkeit machen sie zum Konzept. Und eben die wird Salome zum Korsett. Die junge Frau will ausbrechen aus der Artigkeit, zu der sie als Prinzessin von Judäa verdammt ist.

Salome trifft Oscar Wilde und tanzt mit ihm

Szenenbild aus "Salome"
Salome/Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus

Heimlicher Komplize wird ihr der zusätzlich in die Oper eingeführte Oscar Wilde, der Schöpfer der Schauspielvorlage, der als schwuler Dichter Ende des 19. Jahrhunderts ins Zuchthaus gesteckt wurde und dann kurz nach seiner Entlassung gebrochen und verarmt starb. Salome und ihr Schöpfer sind zwei Seiten einer Medaille, sie führen gemeinsam den Tanz der Sieben Schleier aus, der stumme Schauspieler Christian Natter mimt mit Totenkopfmaske das Prinzip Thanatos, Salome Ausrine Stundyte ist in ihrem feschen Hosenanzug und der zurückgegelten Frisur ganz die emanzipierte Femme fatale des Fin de Siècle, das erotische Prinzip schlechthin. Sie muss sich im Tanz an ihren geilen Stiefvater Herodes so gar nicht lasziv ranschmeißen, um ihn, wie an diesem Abend, zur Selbstbefriedigung zu verleiten.

Ungewohnte Rollenprofile

Szenenbild aus "Salome"
Salome/Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus

Neuenfels inszeniert in der extremen Reduktion seine Regie überaus präzise und konzis. Oft hat man seine Arbeit zuletzt altmeisterlich genannt. Das trifft grundsätzlich auch jetzt wieder zu. Viele Figuren profitieren davon: Zumal Marina Prudenskaya als very First Lady-like, mit Monroe-Grandezza ausgestattete Herodias. Aber auch Gerhard Siegel als nie zu schleimiger Operettenfürst Herodes, den er stimmlich großartig zwischen Helden- und Charaktertenor changierend singt. Und das zentrale Paar? Sehr treffend zeichnet Neuenfels den Jochanaan als mit seiner Moral hadernden Mann Gottes, der vor Salome kniend schon die Arme um sie gelegt hat, die er dann aber – wie von sich selbst erschrocken – wieder verkrampft von ihr abspreizt.

Dieser Mann kasteit sich selbst, ringt mit sich. Thomas J. Mayer macht den Zwiespalt des Propheten mit seiner Wotan-Stimme deutlich, der er etwas Herrisch-Bedrohliches und kaum das gewohnt Bariton-Balsamische beimischt – ein aufregend anderes wie stimmiges Porträt. Ausrine Stundyte singt die Titelpartie nur in genau einem Satz mit pseudounschuldiger, sich kindlich gebender Mädchenstimme, wenn sie erstmals den Wunsch an Herodes richtet: „Gib mir den Kopf des Jochanaan!“

Szenenbild aus "Salome"
Salome/Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus

Ihren Befreiungsprozess verdeutlichend intensiviert sie die Wiederholungen ihres gleichsam zum Befehl gesteigerten Wunsches mit dem ganzen Feuer ihres dramatischen Soprans. Der hat die dunkle Grundierung und Glut der Alten Schule, da gibt ein sängerdarstellerisches Vollweib die gereifte Prinzessin von Judäa. Gut fokussierte Spitzentöne ruhen auf der breiten Basis einer fülligen Mittellage. Ein spannendes Debüt, das indes nicht alle (falschen?) Erwartungen an die Rolle erfüllen mag.

Transparenz statt Expressionismus

Aus dem Graben hört man, was Christoph von Dohnányi vorbereitet und sein Assistent Thomas Guggeis als Premiereneinspringer vollendet hat: einen von zu viel Erotik entschlackten Strauss-Rausch der Zwischentöne und Details, der fein ausgehörten, mitunter mehr impressionistischen denn expressionistischen Farbmischungen. Agogisches Verweilen und Schwelgen ist nicht die Sache des jungen Dirigenten, dafür ist jeder Takt sängerfreundlich austariert, nie überdeckt die Staatskapelle die Sänger, alles ist edler Soundtrack, mit Souveränität zusammengehalten und in schöner Transparenz ausgebreitet.

Die Bühnen-Kühle entspricht dem unterkühlten Dirigat

Szenenbild aus "Salome"
Salome/Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus

Nur: Der Strauss-Sog will sich bei aller Bewunderung für den Debütanten nicht einstellen. Die Bühnen-Kühle entspricht dem unterkühlten Dirigat. So sehr es erfreut, dass die Konzepte sich entsprechen, so sehr lässt der Abend uns aber auch kalt. Nichts berührt, nichts schockiert – nicht mal das phallische Ufo, aus dem Jochanaan als szenischer Wink mit dem Penis-Zaunpfahl steigen muss. Salome aseptisch – das ist ein diskutabler Ansatz, seine totale Distanzierung von diesem wunderbaren Schocker ist aber auch jammerschade.

Oder will uns Neuenfels in diesen MeToo-Zeiten sogar sagen: „Lebt doch Eure Perversionen, das Gut und Böse christlicher Verbote müsst Ihr auf den Müllhaufen der Moral werfen!“ Das wäre dann eine durchaus gewagte Moral von der Geschicht‘. Deutlich beherzter, weniger dekorativ erzählen darf und müsste man sie dann aber schon.

Staatsoper Unter den Linden Berlin
Strauss: Salome

Thomas Guggeis (Leitung), Hans Neuenfels (Regie), Reinhard von der Thannen (Ausstattung), Gerhard Siegel, Marina Prudenskaya, Ausrine Stundyte, Thomas J. Mayer, Nikolai Schukoff, Annika Schlicht, Christian Natter, Staatskapelle Berlin

Sehen Sie den Trailer zu „Salome“:

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