Startseite » Oper » Opern-Kritiken » „Die Meininger Art!“

Opern-Kritik: Staatstheater Meiningen – Die Csárdásfüstin

„Die Meininger Art!“

(Meiningen, 5.12.2025) Kálmáns Hauptwerk erweist sich dank Dominik Wilgenbus und seinem Regieteam nicht als Hitparaden-Radaustück mit krachledernen Nebenfiguren. Es wird deutlich: Hinter dem Glamour könnte ein Kammerspiel in Schnitzler- und Hofmannsthal-Farben stecken.

vonRoland H. Dippel,

Was hätte die am 7. November 2025 in Los Angeles verstorbene Yvonne Kálmán zu dieser Neuproduktion des Staatstheater Meiningen gesagt? Sie war die letzte prominente Vertreterin der Familie des Komponisten und weltweit in Sachen Operetten-Werk ihres Vaters unterwegs – von der Komischen Oper Berlin, wo Barrie Kosky ihr mit der Wiederentdeckung von Kálmáns Musical-Spätwerk „Arizona Lady“ und dem Singspiel „Marenka“ außerordentliche Freuden bereitete,  bis zum Slowakischen Nationaltheater Kosice, dessen Direktion sich besonders liebevoll um das Bühnenschaffen des gebürtigen Ungarn bemüht.

Noblesse oblige

In Meiningen am Nikolausabend also Kálmáns Hauptwerk „Die Csárdásfüstin“! Hier setzte man auf zwei Besonderheiten für das Stück von der Varieté-Sängerin Sylva Varescu, die nach massiven Standeskomplikationen doch noch mit ungebrochener Selbstachtung in den Hochadel einheiratet. Die Andeutung von sich verdunkelnder Dekadenz (Krieg, Geldsturz, Tanz auf dem Vulkan?) im dritten Akt erwies sich dabei allerdings als blindes und unnötiges Motiv. Beachtlich ist, wie Peter Engel durch eine klitzekleine Kabarett-Bühne mit Art-Déco-Rahmen, wenigen Scheinwerfern und einem riesigen Bullaugen-Fenster eine glitzernde wie noble Atmosphäre kreiert. Uschi Haugs Kostüme machen passenden wie angenehm unprotzigen Staat für die Budapester Nobel- und Halbweltgesellschaft. Tamás Mester lässt das Ballettensemble des Landestheaters Eisenach voller Eleganz in ehrlicher Sinnfälligkeit mitmischen.

Szenenbild aus „Die Csárdásfürstin“
Szenenbild aus „Die Csárdásfürstin“

Ohne Operetten-Grobianismus

Alle im Team sind sich am Premierenabend einig, dass die im Kriegsjahr 1915 am Wiener Johann-Strauß-Theater uraufgeführte „Csárdásfürstin“ kein Hitparaden-Radaustück mit krachledernen Nebenfiguren ist, sondern hinter dem Glamour ein Kammerspiel in Schnitzler- und Hofmannsthal-Farben stecken könnte. Das Textbuch von Leo Stein und Bela Jenbach macht es Produktionsteams heute echt schwer. Vom „Teufelsweib“, das um „Seel‘ und Leib“ ringt, über „Weiber“, ohne welche die Chose nicht geht, bis zu den „Mädis vom Chantant“, die „nicht viel sich aus der Treue“ machen, wäre das Textbuch für woke Sensibilität eine üppige Schlachtplatte am vormodernen Geschlechterwahnsinn. Zum Glück und zur Erleichterung des sensiblen Premierenpublikums machten Dominik Wilgenbus und sein Team in Meiningen da keinen Diskurs auf.

Dafür ging es um die „Meininger Art“, das von der Regie erfundene und erwartungsgemäß beschmunzelte Bonmot. Gemeint ist hier, dass eine Hochadel-Linie durch die Einheirat mit „einer vom Theater“ nicht mehr ganz so rein ist wie durch interne Paarungen auf Höhe der eigenen Exklusivkaste. So war’s mit dem Theaterherzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, der in seiner dritten Ehe 1873 die bürgerliche Schauspielerin Ellen Franz heiratete und später adelte. Und so ist’s in der „Csárdásfürstin“ zwischen dem Odeon-Star Sylva und Prinz Edwin Lippert-Weylersheim!

Szenenbild aus „Die Csárdásfürstin“
Szenenbild aus „Die Csárdásfürstin“

Melancholie und Diven-Power

Wichtiger als das ganze Trara-Wums zwischen Diven-Abschied, ausgetricksten Trennungen und Scheinehen über offene Worte bis zum Happy End ist Wilgenbus das Filigrane und Doppelbödige. Der Operetten-Melancholiker Wilgenbus zeigt mit einem alten Paar und Spiegelfiguren aus dem Ballett, was die Liebesutopie sein könnte, wenn die Zeit und der schnöde Weltlauf nicht alles Visionäre zunichte macht. Das sind feine Seitenaspekte zu den krachernen Dialogen, welche bei Wilgenbus zum Glück weniger in den heteronormativen Schwank abstürzen als für viele andere Couleurs offen scheinen. Da Hauptpaar ist in fest amerikanischer Hand. Ensemble-Neuzugang Garrett Evers singt glänzend und gestaltet so vital, als hätte er in Budapest und Wien eine Nobelkadetten-Akademie besucht. Emma McNairy gibt eine formvollendete Sylva mit strahlenden „Heija“-Tönen und ganz viel Temperament in den Gesellschaftsszenen – das klingt aparterweise mehr nach Hudson River als nach Dunakanyar. Johannes Mooser als Buffo-Bonvivant Boni erinnert auch hier ein bisschen an den Münchner Modezar Rudolph Moshammer. Tomasz Wija ist ein sehr eleganter und stimmschöner Theaterdirektor Feri Bácsi, Matthias Herold und Elke Büchner zum Glück ein verschmitzt komödiantisches und zum Glück nicht kalauerndes Tandem im reiferen Ehehafen. Steffen Köllner gibt Rhonsdorf mit chevaleresker Professionalität. Monika Reinhard ist eine wunderbare Stasi und als zweite Partie definitiv die erste: elegisch, selbstbewusst, elegant und in den richtigen Momenten von distinguierter Pikanterie. Wenn es an diesem Abend zu schwebenden „Schwalben“- und ganz großen Komödien-Momenten kommt, dann durch sie.

Szenenbild aus „Die Csárdásfürstin“
Szenenbild aus „Die Csárdásfürstin“

Gegen das polterige Kálmán-Klischee opponiert die Meininger Hofkapelle unter dem neuen Kapellmeister Kens Lui: Eine Feinschliff-Offensive erklingt da statt Sängerinnen und Sänger ins Not-Fortissimo powernder Mittelstimmen-Treibstoff und Lärm-Attacken. Lui tariert superfein die falschen, aber suggestiven Puszta-Sounds aus, welche da in die Salons und Foyers hineinbetören, dort zu den urbanen Klängen von 1915 in Konkurrenz treten und diese schließlich übertölpeln. An vielen Stellen entdecken die Meininger in der „Csárdásfürstin“ – Tradition verpflichtet! – das morbide Kammerspiel und geben der Operette trotzdem, was diese Gattung mit Brio, Schmiss und Schliff liebenswert macht. Das Publikum liebte diese Bravour und die Zwischentöne: Großer Applaus.

Staatstheater Meiningen
Die Csárdásfürstin

Kens Lui (Leitung), Dominik Wilgenbus (Regie), Tamás Mester (Choreographie), Peter Engel (Bühne), Uschi Haug (Kostüme), Roman David Rothenaicher (Chor), Bernhard F. Loges (Dramaturgie), Emma McNairy, Garrett Evers, Johannes Mooser, Monika Reinhard, Tomasz Wija, Matthias Herold, Elke Büchner, Steffen Köllner, Ballettensemble des Landestheaters Eisenach, Meininger Hofkapelle, Chor des Staatstheaters Meiningen






Auch interessant

Rezensionen

  • Tag 6
    Der Klingende Adventskalender: 6. Dezember 2025

    Tag 6

    Heute können Sie dank unseres Klingenden Adventskalenders wieder einen tollen Preis gewinnen. Können Sie unser Musikrätsel lösen? Probieren Sie es am besten gleich aus!

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!