Opern-Kritik: Staatstheater Oldenburg – Les Paladins

Wie aus einem Guss

(Oldenburg, 16.2.2019) Im neobarocken Prunkbau des Staatstheaters Oldenburg ist in „Les Paladins“ zu sehen, dass man das Fremdeln mit Balletteinlagen überwinden kann.

© Aurelie Remy

Szenenbild aus "Les Paladins"

Les Paladins/Oldenburgisches Staatstheater: Martyna Cymerman (Argie) und Opernchor

Jean-Philippe Rameaus 1760 uraufgeführte Comédie-ballet „Les Paladins“ ist in Deutschland kaum je zu hören. Beschäftigt man sich mit der unterhaltsam-operettenhaften Handlung, bleibt unverständlich, woran das liegt. Der gealterte Anselme ist in sein Mündel Argie verliebt und will sie heiraten, die hat sich aber schon in den schönen und tapferen Ritter (Paladin) Atis verliebt und ist wild entschlossen, die Avancen abzuwehren. Von seiten des Enttäuschten folgt eine Kette grotesker Intrigen, die allesamt ins Leere laufen und ihn lächerlich machen. Weil außerdem Anselmes Diener Orcan in Argies Vertraute Nérine verliebt ist, gibt es der amüsanten Liebeswirrungen genug. Warum das Werk in der deutschen Opernlandschaft einen schlechten Stand hat, verrät uns die Gattungsbezeichnung. In einer Comédie-ballet wird natürlich viel getanzt, und in den letzten Jahrzehnten hat man sich bei uns sehr schwer damit getan, spartenübergreifend zu arbeiten.

Kooperation statt Gesamtkunstwerk

Doch da tut sich dieser Tage etwas. Beispielsweise hat die Staatsoper Hamburg Glucks „Orphée et Eurydice“ von 1774 durch Ballettikone John Neumeier als Gesamtkunstwerk umsetzen lassen und ihm dafür die Umsetzung von Inszenierung, Choreografie, Bühne, Kostüme und Lichtdesign überantwortet. Im Ergebnis war bei der Premiere am 3. Februar ein Ballett zu sehen, bei dem zufällig auch gesungen wurde. Den Chor hatte Neumeier von der Bühne in den Orchestergraben verbannt, und mit den Solisten fand keine Figurenregie im eigentlichen Sinne statt. Ganz anders wurde nun in Oldenburg gearbeitet. Dort hat Antoine Jully, Chefchoreograf und Ballettdirektor am Hause, die Balletteinlagen kreiert und mit dem Regisseur François de Carpentries sowie Karine Van Hercke, die Bühne und Kostüme übernahm, kooperiert.

© Aurelie Remy

Szenenbild aus "Les Paladins"

Les Paladins/Oldenburgisches Staatstheater

Das Ergebnis ist wie aus einem Guss: Auf allen Ebenen wird mit ganz verschiedenen Stilzitaten gespielt und ein quirliges Potpourri auf die Bühne gebracht. Damit sind die drei auf den Spuren Rameaus, der im hohen Alter von 77 Jahren ein Werk schuf, das auf die französische Tradition Lullys zurückblickte, jüngere Moden aufgriff und zugleich den beliebten italienischen Buffo-Stil einbezog. In Oldenburg wird also zu einer Reise durch die Operngeschichte eingeladen, weil aber von höfischem Tanz in barocker Kostümpracht bis hin zu moderner Bewegungssprache und Anleihen aus der Popkultur ein Reigen bis in die Gegenwart gespannt wird, mutet das keineswegs museal an.

Der Reiz falscher Brüste

Das Regiekonzept bleibt nah am Original, nimmt sich indessen auch Freiheiten, um die Groteske im dritten Akt noch zu überspitzen. Hier verführt die Fee Manto Anselme, indem sie ihn glauben macht, sie reize seine im Alter entwickelte Beständigkeit in Liebesdingen, und zeigt damit nebenbei, dass seine Gefühle für Argie recht flatterhaft sind. Bei François de Carpentries verkleidet sich der Paladin Atis als Manto und bringt Anselme mit seinen riesigen, falschen Brüsten völlig aus der Fassung.

© Aurelie Remy

Szenenbild aus "Les Paladins"

Les Paladins/Oldenburgisches Staatstheater

Der französische Dirigent Alexis Kossenko hat das Oldenburgische Staatsorchester nicht einfach nur auf eine historisch informierte Spielpraxis und ein zu rekonstruierendes Klangbild eingestimmt. Während Alessandro De Marchi in Hamburg leider nicht mehr als das gelungen ist, brach hier aus dem angehobenen Orchestergraben eine feurige Musizierfreude hervor. Da ist es dann auch nicht weiter von Belang, wenn hier und da mal nicht ganz sauber intoniert wird.

Der Haute-Conte in „Les Paladins“

Diese Leistung ließ sich dank der hervorragenden Akustik des Hauses, die den Zuschauerraum mit dem vollen Klang des Staatsorchesters regelrecht überflutet, anstatt ihn von unten aufsteigen zu lassen, umso besser genießen. Besondere Freude machte ein selten zu hörendes Instrument, die Musette. Einst war die französische Sackpfeife sehr beliebt, doch nutzte sie schon Rameau in „Les Paladins“ als Symbol für betagten Zeitgeschmack, das die Gefährten Atis’ mit sich führen, wenn sie, als Pilger verkleidet, zum ersten Mal auftreten.

© Aurelie Remy

Szenenbild aus "Les Paladins"

Les Paladins/Oldenburgisches Staatstheater

Philipp Kapeller als Atis und Manto hatte mit den beiden Partien für Haute-Contre, einen über Bruststimme oder voix mixte realisierten sehr hohen Tenor, in den obersten Lagen etwas zu kämpfen. Das glich er mit seiner Spielfreude aus, indem er die unendlichen Koloraturen hier und da gestisch und durch Überzeichnung parodierte. Martyna Cymerman gab eine jugendlich-frische Argie. Sooyeon Lee als Nérine zeigte eine starke Leistung in ihrer intonatorischen Fähigkeit, wusste sie doch beispielsweise im Gesang auch ein Spiel im Spiel abzubilden, wenn sie gegenüber Orcan die Unschuld gab und ihm falsche Liebesgeständnisse machte. Das stärkste Organ hatte eindeutig der Bass Ill-Hoon Choung, der den Anselme interpretierte. Choung trat jedoch nicht nur mit Lautstärke hervor, sondern auch mit Nuancierung und als Schauspieler.

Staatstheater Oldenburg

Rameau: Les Paladins

Alexis Kossenko / Felix Pätzold (Leitung), François de Carpentries (Regie), Antoine Jully (Choreografie), Karine Van Hercke (Bühne & Kostüme), Felix Pätzold (Einstudierung Chor), Carolina Francisco Sorg (Ballettmeisterin), Sofie Thyssen (Licht), Stephanie Twiehaus (Dramaturgie),

Martyna Cymerman, Sooyeon Lee, Philipp Kapeller, Tomasz Wija / Stephen Foster, Ill-Hoon Choung, Philipp Kapeller

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