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Opern-Kritik: Oldenburgisches Staatstheater – Das schlaue Füchslein

Eine reichhaltige Philosophie im Fuchsbau

(Oldenburg, 21.6.2025) In Mélanie Huberts feinfühliger Inszenierung von Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ am Oldenburgischen Staatstheater wird der Wald zur Bühne für eine kluge, poetisch-philosophische Tierfabel über Leben, Vergänglichkeit und den schmalen Grat zwischen Mensch und Tier.

vonPatrick Erb,

Stehende schwüle Sommerhitze über lichten Wiesen, flirrende Insekten im Unterholz, ein reges Treiben verschiedenster Lebensformen im Dickicht. Viel Poetisches liegt in der fast naturalistischen Waldschilderung Leoš Janáčeks, die als Prélude in „Das schlaue Füchslein“ einleitet, sich als stringente motivische Idee durch das gesamte Werk zieht und an diesem warmen Premierenabend den Theatersaal des Oldenburgischen Staatstheaters revitalisierte.

Doch hinter dieser Musik steckt mehr als die melancholische Naturverbundenheit eines mährischen Komponisten – die Janáček zweifellos besaß –, mehr als ein naturidyllisches Rührstück. Es ist eine mystische Tierfabel für Erwachsene. Von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ übernimmt sie die kindlich-lineare Erzählweise und die aufrichtige Moral, von Debussys „Pelléas et Mélisande“ das musikalische Schweben in einer Sphäre des Ungewissen.

Szenenbild aus „Das schlaue Füchslein“
Szenenbild aus „Das schlaue Füchslein“

Naturidyll mit Tiefgang

Janáček griff für „Das schlaue Füchslein“ auf die gleichnamige Novelle des feuilletonistischen Publizisten Rudolf Těsnohlídek zurück, eine literarische Bearbeitung einer rund zweihundert Federzeichnungen umfassenden Serie über das Leben im Wald – insbesondere das der Füchse. Im Zentrum stehen Themen wie das wehmütige Innehalten beim Älterwerden, der ewige Kreislauf des Lebens und das fragile Miteinander aller Waldbewohner. Eine eigentümlich skurrile Offenheit wohnt dem Werk inne – glücklicherweise lässt sie sich nicht vertreiben.

Maskenspiel mit Durchblick

Wie aber lässt sich das szenisch einlösen? Regisseurin Mélanie Hubert setzt auf Transparenz. Die halbluziden, in der Bewegung äußerst aparten Tiermasken lassen – je nach Beleuchtung – die Silhouetten ihrer Träger durchscheinen, die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Gackernde Hühner, die sich lieber einem despotischen Hahn unterwerfen, als den Freiheitskampf aufzunehmen; ein Dackel, der glaubt, nie wirklich geliebt zu haben; ein Dachs, der sich widerstandslos aus seinem Bau vertreiben lässt – der Zuschauer entscheidet selbst, wie viel Menschliches er in diesen tierischen Spiegelbildern erkennen will.

Szenenbild aus „Das schlaue Füchslein“
Szenenbild aus „Das schlaue Füchslein“

Dabei tritt deutlich zutage, was in der heideggerschen Romantisierung von Janáčeks Natur- und Musikbegriff oft übertönt wird: ein elementarer, fast erbarmungsloser Kampf um Ressourcen – zwischen Mensch und Tier, aber auch unter den Tieren selbst. Der Wald und die Hütte des Försters erscheinen so nicht als romantische Zufluchtsorte, sondern eher als melancholisch entleerte Gebilde inmitten eines quicklebendigen, buntkostümierten Treibens.

Musikalisch-performatives Klanggewand aus einem Guss  

Der sängerische Gesamteindruck dieses „Füchsleins“, das – trotz seiner Kürze und vieler instrumentaler Zwischenspiele – mit einer erstaunlichen Figurenfülle aufwartet, ist ausgewogen und überzeugend. Besonders hervorzuheben ist das feinsinnig choreografierte sängerische Spiel zwischen Förster (Aksel Daveyan) und Füchsin (Stephanie Hershaw), das mit großer Raffinesse für sich einnimmt.

Szenenbild aus „Das schlaue Füchslein“
Szenenbild aus „Das schlaue Füchslein“

Ein guter Ausblick, noch mehr zu wagen

Letztlich aber treten einzelne sängerische Leistungen hinter jene performative Kraft des Ensembles zurück, die in ihrem Zusammenspiel den illustren Geist von Janáčeks Musik eindrucksvoll aufnimmt. Umso erfreulicher, dass die Oldenburger Hausbesetzung bis in die kleinste Rolle ein homogenes Musiktheater von seltener organischer Dichte präsentiert – ganz im Sinne des Werkes. Auch Vito Cristofaro, erster Kapellmeister am Haus, versteht die Doppelbödigkeit des Werks. Mit süßlicher Hingabe und dramatisch motivierter Akkuratesse gelingt es ihm und dem Oldenburgisches Staatsorchester gekonnt den Gegensatz von idyllischer Verklärung und rationalem Überlebenswillen auszuleuchten.

Gern wüsste man, ob das Ensemble auch der spannungsreicheren, deklamatorisch weitaus anspruchsvolleren tschechischen Originalfassung so souverän begegnete, wie es an diesem Premierenabend mit der modernen, nicht von Max Brod eigentümlich umgedichteten und daher auch textnäheren deutschen Version bereits der Fall war.

Oldenburgisches Staatstheater
Janáček: Das schlaue Füchslein

Vito Cristofaro (Leitung), Mélanie Huber (Regie), Lena Hiebel (Ausstattung), Joannne Willmott (Choreografie), Thomas Bönisch (Chor), Marija Jokovic (Kinderchor), Steff Flöchsenhaar (Licht), Antje Müller (Dramaturgie), Aksel Daveyan, Seumas Begg, Irakli Atanelishvili, Paul Brady, Seung Jin Park, Stephanie Hershaw, Anna Dowsley, Dorothee Bienert, Selma Brok, Caroline Nicoul, Danylo Salo, Friederike Hansmeier, Mykola Pavlenko, Sharon Starkmann, Sandro Monti, Esther Vis, Charlotte Rabbels, Kinder-, Jugend- und Opernchor des Oldenburgischen Staatstheaters, Oldenburgisches Staatsorchester

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