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OPERN-KRITIK: Theater Altenburg Gera: DON GIOVANNI

Haribo und Kokain

(Altenburg, 10.9.2023) Ein ganz starkes Ensemble aus echten Sängerdarstellern macht zum Saisonauftakt mit Mozarts „Oper aller Opern“ fast vergessen, dass die geschrumpfte Fassung Verlustschmerzen verursacht. Bernd Mottls Inszenierung gerät unterhaltsam, drastisch und trotzdem ungefährlich.

vonRoland H. Dippel,

Ganz viel los am Theater Altenburg Gera: „Don Giovanni“ kam kurz vor der Internationalen BallettFestwoche Gera 2023 des Thüringer Staatsballetts heraus. Das Philharmonische Orchester Altenburg Gera steht in den Startlöchern für ein Gastspiel mit dem Besetzungskoloss „Gurrelieder“ von Arnold Schönberg in der europäischen Kulturhauptstadt Temesvar.

Schrumpffassung für Bestager

Aus durchaus polyvalent-bipolaren Konzeptgründen wurde der 1787 in Prag uraufgeführte „Don Giovanni“ auf zweieinhalb Stunden geschrumpft, inklusive Pause. So wenig „Bestrafte Moralrebellion“ (Lorenzo da Ponte nannte seinen Titelhelden im Original „Il dissoluto punito“, den „bestraften Wüstling“) war nie. Im Theaterzelt Altenburg gab es nicht nur die üblichen Arien-Verzichte, die man als Rückgriff auf die Prager Urfassung hätte legitimieren können. Darüber hinaus amputierte man die Partie der Donn’Anna um die große B-Dur-Arie, die der Zerlina um die „Batti“-Arie. Unsensibel auch die Striche, denen an die 50 Prozent des ersten Finales, rund 20 Prozent des zweiten zum Opfer fielen. Schade ist das, weil das Theater Altenburg Gera für das Duo Giovanni & Leporello sowie die Frauenpartien aufregend gute Besetzungen hat.

Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera
Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera

Unter GMD Ruben Gazarian liefert das Philharmonische Orchester Altenburg Gera einen historisch wenig stichhaltigen „Don Giovanni“. Dafür brilliert die musikalische Seite mit einem theatral zupackenden und Mozarts Psycho-Brio in zackige Straffheit bringenden Action-Drive. In Altenburg sitzt das Orchester neben der Bühne und wird mit den Stimmen sehr laut verstärkt. Das gerät zum akustischen Mittel zur Verdichtung des späteren Drogenrauschs in der Erotik-Hölle.

Ein Beitrag zum „Tag des offenen Denkmals“ war diese von einer zu lautstarken elektroakustischen Verstärkung gehandicapten Premiere also garantiert nicht. Und man kann froh sein, dass es auf der Sonnenseite des Stadtpanoramas an diesem hochsommerlichen Sonntag die von Bernd Mottl vorgeführten Probleme und Diskurse offenbar nicht gibt.

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Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera
Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera

Keine Molière-Zeit in Sevilla, keine Mozartzeit und keine Gegenwartsurbanität mit transparenten Glasfronten. Friedrich Eggerts Spielfläche zeigt eine Manegenbühne mit Himmelbett in Anthrazit- und Neonfarben, eindeutig für Paar-Gymnastik in der Horizontale – vor Publikum. Wir sind im Club von Moderationseinpeitscher Leporello und seinem Chef, dem Hauptdarsteller Don Giovanni. Dessen Markenzeichen ist die Herzen und Unterleiber der stolzesten Frauen nehmende Musketier-Montur. Bei wenig oder schummerigem Licht versteht man allmählich: In dieser Dunkelkammer mit viel erstklassiger Musik handelt es sich um einen außer Kontrolle geratenden Drogen-Trip von Giovanni und Leporello. Am Ende kommt der Komtur als Großinquisitor, verdrängtes Gewissen und ultimative Spaßbremse.

Sichtbare Sekundärliteratur von Adorno bis E. T. A. Hoffmann

Das ist bei Bernd Mottl unterhaltsam, drastisch und trotzdem ungefährlich. Denn die Versuchsanordnung ist klar. Das übersteigt billigen Klamauk, weil der Regisseur viel aus der beträchtlichen Sekundärliteratur von Adorno bis E. T. A. Hoffmann zur Anwendung bringt. Für die junge und – wie sollte es anders sein – bessere Generation steht Donn’Elviras Begleiterin (Patricia Felsch): Chewinggum, Headset und Fitness sind für diese das Allerwichtigste. Auf Balzrituale der alten physischen Welt lässt sie sich nicht ein.

Der Chor spielt mehr, als dass er singt: Erst als Meute, bei welcher der Junggesellinnen- und Junggesellen-Abschied attacca in die Hochzeit übergeht. Später sind alle Männer unter schwarzen und alle Frauen unter weißen Brautschleiern.

Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera
Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera

Binäre Problemzonen

Deutlich wird, dass die am aktuellen Männerbild orientierten Figuren ein Blässlichkeits- und Identitätsproblem haben. Der harmlose Möchtegern-Bräutigam Don Ottavio etwa. Ihn singt Isaac Lee ohne Testosteron, aber auch ohne Schmelz. Der Proll Masetto (sehr gut: Johannes Beck) ist zwar toxisch gefährdet, wirkt möglicherweise gerade deshalb vital und macht bei seiner Braut Zerlina einen guten Stich. Ivon Mateljan investiert alle Energien erfolgreich in die ihr verbliebenen Partien-Reste als Zerlina. Dass Männer und Frauen nicht zusammenpassen, wusste schon Loriot, und genau das wird im Finale bestätigt. Zwischen mann-fraulicher Kopulation und Kontemplation befindet sich in Mottls „Giovanni“-Dystopie das blanke Nichts. Valentin Anikins Kleriker-Purpur über dem abgesägten Patriarchen wirkt mehr als seine Stimme.

Die Sinne von Alejandro Lárraga Schleskes Don Giovanni gehören den Drogen wie den Frauen. Das ist wirklich ein animalischer Berserker mit galanten Umgangsformen und den melancholischen Rehaugen eines gefallenen Engels. Bei den vom Librettisten Lorenzo da Ponte dem Titelheld verordneten Abenteuer-Misserfolgen brilliert Lárraga Schleske mit der Eleganz eines Otters. Voll fettes Requiem für zwei Kokser: Sein Kompagnon Leporello springt zur Höllenfahrt Giovannis mehreren Damen im Parkett auf den Schoß, nachdem er die Sexsport-Kapriolen Giovannis mit einer schlichten Strichliste für die Nachwelt dokumentiert. Kai Wefer macht als Sänger und erotischer Teamplayer einen ganz starken Job.

Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera
Szenenbild aus Mozarts „Don Giovanni“ am Theater Altenburg Gera

Weibliche Primärtriebe

Von Donn’Elvira und Donn’Anna lässt Bernd Mottl nur die Primärtriebe. Beide Frauen wollen im Grunde vor allem das Eine – und dieses möglichst häufig immer wieder. Im Finale-Epilog wird klar, dass die Besinnung auf Selbstzufriedenheit vor allem eine Sehnsucht nach dem einen ekstatischen Moment übertünchen soll. Anne Preuß hat trotz Strichfassung ausreichend Zeit zur Entwicklung eines distinguierten wie differenzierten Porträts. Dieses füllt sie mit innerem Adel und sängerischem Feinschliff. Einen Klick besser noch Miriam Zubietas Donn’Anna im Wechsel vom leichteren Sopran, der sie eh nie ganz war, zum dramatischeren Koloratursopran. Das brandheiße Rezitativ und Donn’Annas Rachearie sind aufgeladen mit dionysischer Gier wie ein von Mozart vorweggenommenes „Touch Me“ aus der „Rocky Horror Show“. Im Latexbett auf der Sexshow-Bühne fallen trotzdem kein einziges Mal die textilen Hüllen so richtig. Dafür verheißt dort ein Farbfeuerwerk aus Lakritzen nur Süßes.

Theater Altenburg-Gera
Mozart: Don Giovanni

Ruben Gazarian (Leitung), Bernd Mottl (Regie), Friedrich Eggert (Bühne & Kostüme), Alexandros Diamantis (Chor), Sophie Jira (Dramaturgie), Alejandro Lárraga Schleske, Kai Wefer, Anne Preuß, Miriam Zubieta, Ivon Mateljan, Isaac Lee, Johannes Beck, Valentin Anikin, Patricia Felsch, Opernchor des Theaters Altenburg Gera, Philharmonisches Orchester Altenburg Gera

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