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Opern-Kritik: Theater Dortmund – La Bohème

Opernmuseum und Musical

(Dortmund, 2.9.2023) Am Theater Dortmund wird Puccinis „La Bohème“ zum versierten Entertainment samt Zeitreise in die Vergangenheit der Opernregie.

vonMichael Kaminski,

Als Neuproduktion ward eine solche „Bohème“ auf deutschen Musiktheater-Bühnen wohl lange nicht erlebt. Unhinterfragt darf Rodolfo Machismo mit lyrischem Schmelz verbinden und Mimi Poesie pur verströmen, während Marcello, Schaunhard und Colline nichts denn muntere und grundanständige Kerle sind. Eine Bilderbuch-„Bohème“, deren Klischees vor allem dem älteren Publikum vertraut sein dürften. Regisseur Gil Mehmert bewegt sich eng am Werk entlang, beständig fährt er auf Sicht. Handwerklich ist die Aufgabe blitzgescheit und sauber erfüllt. Mutwilliger Humor und sensible Nuancen geben sich die Klinke in die Hand. Auch weiß Mehmert starke visuelle Effekte voll rührender Anmut zu erzielen. Ob dazu eine Zeitreise in die Vergangenheit der Opernregie angetreten werden muss, steht auf einem anderen Blatt. Seltsamer Fall, die Dortmunder „Bohème“ kommt museal und doch unverstaubt daher.

Szenenbild aus „La Bohème“ am Theater Dortmund
Szenenbild aus „La Bohème“ am Theater Dortmund

Musicalkompetenz

Das quicklebendige Opernmuseum verdankt sich offenbar Mehmerts ausgesprochener Musicalkompetenz. Diese fordert von der Spielleitung mehr als szenische Innovation, die Handlung schlüssig, jederzeit nachvollziehbar und schnörkellos zu erzählen. Fähigkeiten, die auch für die Opernregie früher einmal zureichten. Fragen stellen und Rätsel aufgeben bleiben da weitgehend außen vor. Was beim Musical regielich noch immer durchgeht, mutet hingegen in der Oper antiquiert an. Unter solchen Auspizien ist die Dortmunder „Bohème“ versiertes Entertainment, eben eine überaus gelungene Show. Bühnenbildner Jens Kilian lässt die Bohèmiens über den Dächern von Paris hausen. Detailverliebt ragen Giebel und Schlote in den Himmel der Seine-Metropole. Selbst Topfblumen dürfen auf der Dachterrasse nicht fehlen. Im Momus-Bild stehen Weihnachtsbäume Spalier, während das Café aus der Versenkung fährt. Falk Bauer steckt die Personnage in die Mode aus dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts, in dem das Werk ursprünglich angesiedelt ist.

Glänzend disponiertes Orchester

Versiert entledigt sich der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor des Hauses seiner Aufgabe, den Opern-Kinderchor und die Chorakademie-Knaben motiviert Mancini, sich präzise und voller Verve ins vokale Geschehen zu mengen. Was aus dem Graben dringt, verleiht dem Abend Magie. Gabriel Feltz sorgt mit den Dortmunder Philharmonikern für unerhört seidigen Streicherglanz. Eben weil die Bläser sich nicht in den Vordergrund drängen, lassen sie doppelt aufmerken. Faszinierend, wie Feltz und „sein“ Klangkörper den motivischen Verzweigungen und Verästelungen der Partitur nachspüren. Anna Sohn vereinbart für Mimi hohe Bühnenpräsenz, vokale Strahlkraft und klug erwogene Phrasierung. Der Rodolfo von Sungho Kim nimmt durch gediegene Mittellage und schöne Piani für sich ein. Mandla Mndebele ist ein selbst in den Eifersuchtsausbrüchen gewinnender Marcello. Denis Velev gibt einen Colline auf sanglich gerader Linie. Morgan Moody verleiht Schaunhard die von der Partie erforderte vokale Wendigkeit. Rinnat Moriah ist Musetta. Ian Sidden als Benoît liefert ein vokales und darstellerisches Kabinettstück.

Szenenbild aus „La Bohème“ am Theater Dortmund
Szenenbild aus „La Bohème“ am Theater Dortmund

Erholung vom Innovativen

Kein Wunder, dass Mehmert, Kilian und Bauer an der Dortmunder Oper auch Jonathan Larsons auf Giacomo Puccinis „La Bohème“ fußendes Musical „Rent“ anvertraut ist. Premiere wird am 30. September sein. Von hier aus will auf die Entscheidung, zu vermeiden, was landläufig unter Regietheater firmiert, um Oper Musicalusancen anzunähern, zurückgeblickt sein. Denn immerhin ist denkbar, dass sich Opernleute und Publikum durch die beständigen innovativen Anläufe der letzten Jahrzehnte schlicht erschöpften. Mag sein, es braucht Zeit, um innezuhalten und neue Kräfte zu sammeln. Als Zwischenstopp wären in solchem Fall Produktionen wie die Dortmunder „Bohème“ gewiss willkommen.

Theater Dortmund
Puccini: La Bohème

Gabriel Feltz (Leitung), Gil Mehmert (Regie), Jens Kilian (Bühnenbild), Falk Bauer (Kostüme), Michael Grundner (Licht), Fabio Mancini (Chor), Anna Sohn, Rinnat Moriah, Sungho Kim, Mandla Mndebele, Morgan Moody, Denis Velev, Błażej Grek, Ian Sidden, Hiroyuki Inoue, Carl Kaiser, Youngbin Park, Opernchor Theater Dortmund, Opern-Kinderchor & Knabenchor der Chorakademie Dortmund, Dortmunder Philharmoniker

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