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Opern-Kritik: Theater Magdeburg – Kátja Kabanová

Vier starke Frauen

(Magdeburg, 7.9.2019) Mit ihrer ersten Opernproduktion feiert die neue Generalmusikdirektorin Anna Skryleva gleich einen Heimspiel-Sieg.

vonRoland H. Dippel,

Die erste Applaus-Attacke für Anna Skryleva startet aus dem Rang, noch bevor der Zuschauerraum dunkel wird. Die neue Magdeburger Generalmusikdirektorin winkt lächelnd ins Publikum und wartet einen Moment. Nach leichter Unruhe packt sie das zur Premiere nicht ausverkaufte Opernhaus mit dieser Partitur, für die sich Leoš Janáček auch an seiner Leidenschaft zu der fast 40 Jahre jüngeren Lehrerin Kamila Stösslová inspirierte. Die Entscheidung für die 1921 in Brünn uraufgeführte Oper „Kátja Kabanová“ fiel am Opernhaus Magdeburg aus plausiblen Gründen: Anna Skryleva ist gut vertraut mit slawischen Sprachen. Im Ensemble gibt es für die drei wichtigen Frauenpartien der Musiktragödie nach Ostrowskis Schauspiel „Das Gewitter“ ideale Besetzungen. Zudem wurde die Magdeburgische Philharmonie im spätromantisch-frühmodernen Musiktheater- und Konzert-Repertoire von Anna Skrylevas Amtsvorgänger Kimbo Ishii auf hochrangige Klang-Performance getrimmt. Man hörte bei der Premiere also nicht nur die Investition einer sorgfältigen Einstudierung, sondern auch die hohe Rendite auf das seit Jahren im Orchestergraben gut angelegte musikalische Kapital. Erst bei Mozarts „La clemenza di Tito“ wird Anna Skryleva also deutlichere Signale setzen und zeigen, welche eigenen individuellen Farben sie im Musiktheater erarbeiten will.

Missbrauch und Moral

„Kátja Kabanová“ am Theater Magdeburg
„Kátja Kabanová“ am Theater Magdeburg

Die Seufzer und die kantige Motivik des Vorspiels blühen bei ihr überaus schön. Schon fürchtet man, es sei bereits nach Katjas erotischem Traum vom Wegfliegen aus der Enge zwischen Mann und dominanter Schwiegermutter alles über diese Partitur gesagt. Doch dann überholt Anna Skryleva in den sehnsüchtig verzögernden Volksliedstrophen nach der Liebesnacht Varvaras mit Kudrjaš und Katjas mit Boris sich selbst. Noa Danon ist eine faszinierende Kátja Kabanová. Sie stürzt sich mit zum Bersten starker szenischer Kraft auf die an den eigenen moralischen Ansprüchen zu Grunde gehenden Titelpartie und zieht mühelos aufblühende Lyrik in alle hochdramatischen Passagen. Katjas Monolog, in dem sie sich mit schicksalhafter Getriebenheit zum Ehebruch entschließt, wird durch Noa Danon über Janáčeks Lockrufen aus dem Orchester zum Höhepunkt des Abends. In Emilie Renard, die als Varvara alle Facetten zwischen freier Erotik, Komplizenschaft und sympathischer Menschlichkeit mit hellstrahlendem Mezzo ausspielt, hat sie eine ebenbürtige Mitspielerin. Erstaunlich ist auch, wie Undine Dreißig als Kabanicha in ihrer inzwischen dreißigjährigen Ensemble-Mitgliedschaft zu überraschen vermag: Gleißendes und nie entgleisendes Lächeln, perfekte Haltung, geschärftes Bewegungsvokabular. Es gibt nicht nur missbrauchte Töchter, sondern auch missbrauchte Söhne – das autoritäre Alphatier Kabanicha siegt. Vor ihr kapituliert nicht nur der eigene, in seiner Ohnmacht sympathisch bleibende Tichon (Joska Lehtinen), der die Hand vor dem Schlag auf die Mutter sinken lässt und in ihrer verschlingenden Umarmung noch kleiner wird. Auch Kaufmann Dijon lässt vor Kabanicha ohne erotische Belohnung die Hosen fallen. Sofort nach Katjas beschmutzendem Tod in der Wolga macht Kabanicha sich die Lippen rot.

Suche nach Liebe

In Stephen Lawless‘ im Frühjahr 2019 bereits an der Scottish Opera in Glasgow gezeigten Inszenierung, einer Koproduktion mit dem Theater Magdeburg, sind Kabanicha und erst recht der baumhohe, auch stimmlich schlank-kräftige Alexander Stermann als Dikoj eindrucksvolle Best-Ager, keine platten Opernschurken. Bei den drei Tenor-Rollen streicht Stephen Lawless nicht deren Charakterdefizite heraus, sondern die Suche der jungen Männer nach Sinn und Sinnlichkeit: Joska Lehtinen ist ein feingliedriger und seinen Tranquilizer gierig aus dem Flachmann saugender Tichon. Er und der als Freizeitbarde aktive Junglehrer Kudrasch (Peter Diebschlag) geraten weitaus differenzierter ins Visier als Katjas blässlicher Liebhaber Boris, dem Richard Furman perfekte und etwas glatte tenorale Politur auflegt.

Feudaler Sozialismus am Wolgastrand

„Kátja Kabanová“ am Theater Magdeburg
„Kátja Kabanová“ am Theater Magdeburg

Eine dreiteilige, fahrbare Brücke schlägt Leslie Travers im materialreichen Bühnenbild über die durch hohes Schilf der Sicht entzogene und bei Janáček jederzeit hörbare Wolga. Manchmal schiebt sich eine dunkle Wellblechwand zwischen den sommerlichen Horizont und die in ihren Aggressionen oder Liebessehnsüchten befangenen Figuren. Lawless versetzte die Handlung aus den Jahren um 1860 in das Russland um 1970.

Besser gesagt in eine Parallelfiktion, in der eine sowjetische Synthese aus System und Religion möglich war wie in Italien oder Polen. Arbeiterinnen enteilen mit Gesangbuch. Leslie Travers liefert Kittelschürzen, Verdienstorden und für Katja das Spitzenkleid einer höheren Tochter. Seine gelungene, wenn auch nicht sonderlich tiefgründige Charakterisierung der Männerfiguren überlagert Lawless mit alternativem, wahrscheinlich poetisch gemeintem Realismus. Die feudalistischen Strukturen halten sich noch immer. Dieses Paradox zwischen patriarchalem Unternehmertum und sozialistischer Gesellschaft bleibt unbewältigt, zielt an Janáčeks Oper vorbei. Zum Glück schafft es das starke Ensemble, die Fesseln dieses Kolorits mit innerer Wahrheit zu erfüllen. Der Coup eines Stunt-Doubles für Katjas Todessprung in die Wolga simplifiziert das harte Finale unnötigerweise. Bei Lawless gibt es also keine Todessucht der Titelfigur, dafür angestrengten Aktionismus. Wenn diese Neuproduktion bis zum Schluss ihre Sogkraft bewahrt, verdankt sie das vor allem den drei, jede in ihrer Art starken Frauen auf der Bühne und der mehr Opulenz als Schärfen zeigenden Dirigentin. Trotz einiger Einschränkungen erlebt man in Magdeburg, was für eine großartige und zutiefst aufwühlende Oper „Kátja Kabanová“ ist.

Theater Magdeburg
Janáček: Kátja Kabanová

GMD Anna Skryleva (Leitung), Stephen Lawless (Regie), Leslie Travers (Bühne & Kostüme), Lynne Hockney (Szenische Mitarbeit), Martin Wagner (Chor), Thomas Schmidt-Ehrenberg (Dramaturgie), Noa Danon (Kátja Kabanová), Paul Sketris/Johannes Stermann (Dikoj), Richard Furman (Boris), Ks. Undine Dreißig (Kabanicha), Joska Lehtinen (Tichon), Emilie Renard (Varvara), Peter Diebschlag (Kudrjaš), Johannes Wollrab (Kuligin), Uta Zierenberg (Glaša), Ilka Hesse (Fekluša/Frau aus dem Volk), Yong Hoon Cho (Mann aus dem Volk), Magdeburgische Philharmonie, Chor der Oper Magdeburg

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