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Opern-Tipps im Mai 2023

Wenn die Grenzen verschwimmen

Dass die Trennline zwischen Oper und anderen Formaten nicht immer messerscharf sein muss, zeigt sich an den deutschlandweiten Bühnen im Mai.

vonAndré Sperber,

Jede Oper ist ein Musikthea­ter, aber nicht jedes Musiktheater ist eine Oper. Um sich von klassischen Formaten hin und wieder loszulösen und den Terminus „Oper“ quasi auf die nächsthöhere semantische Bedeutungsebene zu hieven, lässt man sich an den deutschlandweiten Bühnen regelmäßig allerhand einfallen.

Ob dabei allerdings gänzlich Neues erschaffen oder Altes neu aufgezogen wird, ist unterschiedlich. Im Rahmen des Festivals „Passion Spiel“ etwa geht mit „Abstract Pieces“ im Maschinensaal des Weimarer E-Werks ein Stück auf die Bretter, das von seiner inhaltlichen Ausrichtung her zunächst kaum unmoderner sein könnte: Denn mit der Vertonung des tragischen Mythos um ­Orpheus und Eurydike haben sich seinerzeit schon Monteverdi und Gluck innovativ hervorgetan. Komponist Manos Tsangaris und Regisseur Michael Höppner betrachten die Handlung allerdings nun nochmal aus einer ganz neuen bzw. aus mehreren neuen Perspektiven. Denn die Geschichte des berühmten Liebespaares wird hier gleich zweimal erzählt. Und das Publikum, das sich gegenübersitzt, wechselt zwischendurch den Blickwinkel – vorne wird hinten, Zukunft wird Vergangenheit, Gegenwart wird Erinnerung, die Ebenen verschwimmen.

Zusammenspiel von Oper und Tanz

Um verschwimmende Ebenen und die Öffnung der Wahrnehmung für die Grenzen des Unmöglichen geht es auch am Münchner Haus der Kunst. Toshio Hosokawas einaktige Oper „Hanjo“ aus dem Jahr 2004 beruht auf einem gleichnamigen japanisch traditionellen Nō-Theaterstück und überwindet in der Inszenierung des belgischen Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui nicht nur inhaltliche, sondern auch gattungsspezifische Einschränkungen. Als faszinierendes Zusammenspiel von Oper und Tanz, vermischt mit Bildender und sogenannter Aktions-Kunst des thailändischen Künstlers Rirkrit Tiravanija, ergründet „Hanjo“ in sechs Szenen tiefgängig und detailliert die Macht- und Liebesverhältnisse einer komplexen Dreiecksbeziehung. Stets umrahmt von der Frage, worin das tatsächlich Wahrhaftige besteht.

Noch ein Stück weiter weg von klassischen Opernstrukturen bewegt man sich in Heidelberg. Hier dreht sich alles um das Thema Europa. Seit 2018 interviewen Mitglieder des Vereins „Arbeit an Europa“ Menschen vom ganzen Kontinent, um die Idee eines gemeinsamen europäischen Gedankens zu erforschen. Das Archiv der Stimmen als „europäisches Musiktheaterprojekt“ ist nun gewissermaßen die musiktheatrale Dokumentation eines Politikums, an dem sich möglichst viele europäische Opernhäuser beteiligen sollen. Für den Heidelberger Startschuss des Projekts haben drei Kompositions- und Libretto-Teams je eines der zahllosen Interviews zu einer theatralisch wirksamen Geschichte umfunktioniert und vertont. So kommen hier etwa die Schriftsteller Vasilis Vasilikos und Ljudmila Ulitzkaja sowie die Malerin Elisa Montessori gesanglich zu Wort.

Szenische Erstaufführung von Ethel Smyths Vokalsinfonie „The Prison“

Wortführerin in der Frauenrechtsbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts war wiederum Ethel Smyth. Die Britin kämpfte zeitlebens auf revolutionäre Weise für ihren Status als unabhängige, vollwertig anerkannte Komponistin. Dementsprechend ist der ihr gewidmete interdisziplinäre Abend am Staatstheater Darmstadt eine vorwiegend feministische Reise. Was auf dem Theatervorplatz mit einer öffentlichen Prozession, Musik von Manu Rzytki und Beiträgen der Bildenden Künstlerin Anna ­McCarthy beginnt, gipfelt mit der erstmals szenischen Aufführung von Smyths Vokal­sinfonie „The Prison“ aus dem Jahr 1930. Das Werk beschreibt die ausweglose Situation eines Gefangenen, der auf seine Hinrichtung wartet; hier als hybride Inszenierung zwischen Live-Installation und Theater von Franziska Angerers in ­Szene gesetzt und abschließend performativ-musikalisch ergänzt durch gesellschaftskritische Anklänge der Sounddesignerin Elsa M’bala.




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