Startseite » Oper » Künstlerische Abenteuer

Opern-Feuilleton: Staatsoper Unter den Linden – Opernchor als Institution

Künstlerische Abenteuer

Seit über 200 Jahren setzt der Chor der Staatsoper Unter den Linden Maßstäbe im Musiktheater.

vonRoland H. Dippel,

Natürlich benötigten nicht nur die Musikbühnen Berlins bereits im frühen 19. Jahrhundert ein ständig verfügbares Chor­ensemble. Im Falle des professionellen Chors der Staatsoper Unter den Linden ist dessen Gründungsdatum durch zwei bedeutende theatergeschichtliche Ereignisse verifizierbar. 1821 waren die Uraufführungen von Gaspare Spontinis „Olympia“ an der Berliner Hofoper und von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ im Neuen Königlichen Schauspielhaus der Anlass für die Institutionalisierung eines Berufschors mit 26 Frauen und 27 Männern sowie drei Präfekten. Letztere erfüllten als ausgebildete Sänger Einstudierungs-, Administrations-, Korrektur- und Kontrollaufgaben wie heute an Subventionsthea­tern die Statisterie-Leitungen. Der Perfektionist Spontini hatte sich vierzig Proben mit insgesamt 92 Chorsängern ausbedungen. Sogar echte Elefanten schritten in „Olympia“ neben den Chormassen über die Bühne.

Die ältesten verfügbaren Tondokumente des Chors der Berliner Staatsoper sind die 1928 aufgenommenen Szenen aus „Parsifal“ und den „Meistersingern“. Die Diskografie beinhaltet ein breites Repertoire, zum Beispiel Otto Nicolais 1849 am Königlichen Opernhaus Berlin uraufgeführte Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“. Aber vieles von dem, was im 19. Jahrhundert als epochal galt und aufgrund des erforderlichen Aufwands nur in Berlin produziert werden konnte, ist heute vergessen. Dazu gehört Spontinis Festoper „Agnes von Hohenstaufen“ für die Vermählung von Prinzessin Marie von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Prinz Carl von Preußen (1827) und ihrer Schwester Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Prinz Wilhelm von Preußen (1829). Ein anderes großes Spektakel wurde Giacomo Meyerbeers „Ein Feldlager in Schlesien“ zur Wiedereröffnung des Opernhauses nur ein Jahr nach dem großen Brand von 1843.

Neue Herausforderungen

Schon im 19. Jahrhundert war die Berliner Hof­oper eine der personalstärksten Bühnen Europas. Entsprechend arbeitsintensiv gestalteten sich die Aufgaben des Chors in seinen zunehmend längeren und schwierigeren Gesangspartien. Ein Vergleich der Noten von Mozarts „Zauberflöte“ zum Beispiel mit Meyerbeers „Robert der Teufel“ zeigt, wie musikalische und szenische Herausforderungen die Veränderung des Bühnenchorsängers von einer Gelegenheitstätigkeit zum Anstellungsberuf nötig machten. In Archivalien der Staatsoper Berlin ist diese Entwicklung besser dokumentiert als in anderen Theatern – etwa in Gera, wo der Theaterchor 2020 sein hundertjähriges Bestehen feierte und die Dokumente der Umwandlung des Chors eines Operetten­ensembles in einen auf Wagner spezialisierten Opernchor Anfang der 1920er-Jahre nur lückenhaft erhalten sind.

Auch zu DDR-Zeiten wurden hohe szenische Ansprüche an das Chor-Kollektiv der Deutschen Staatsoper gestellt. Um 2000 hatte der Chor der Lindenoper die wahrscheinlich größte Vielseitigkeit in seiner Geschichte. Zum Repertoire gehörte noch Ruth Berghaus’ Inszenierung von Paul Dessaus „Die Verurteilung des Lukullus“. Intendant Georg Quander reaktivierte Werke mit historischer Bedeutung für die Berliner Operngeschichte wie „Robert der Teufel“ und Darius Milhauds 1930 an der Lindenoper uraufgeführter Christophe Colomb. Zeitgleich rückte auch die Barock­­oper in den Mittelpunkt. Der Chor der Berliner Staatsoper war somit einer der ersten Opernchöre, für den die historisch informierte Aufführungspraxis zum Alltag gehörte. Nach wie vor versteht sich die Lindenoper als Uraufführungstheater, was auch für den Chor ein künstlerisches Abenteuer bedeutet. Dessen für ein großes Repertoire wichtige Abteilungen Kinderchor und Jugendchor ermöglichen für viele Mitwirkende eine intensive Begegnung mit der Kunstform Oper.

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!