Was auf Tristans Schiff unter Cornwalls Flagge vorgeht, gleicht eher einer Entführung als Isoldes bräutlicher Reise zum künftigen Gemahl. Die Seeleute stoßen die irische Prinzessin samt Dienerin über Deck, bis sie in einem gülden umhegten und prunkvoll ornamentierten Geviert landen. Dessen Begrenzung ist kaum höher als die eines Sandkastens. Dennoch sind sich die beiden Frauen im Klaren, außerhalb davon Freiwild zu sein. Kurwenals rüder Umgang mit ihnen zeigt sich nicht als die übliche, allein seinem Herrn ergebene Bärbeißigkeit, sie ist symptomatisch für eine Männergesellschaft, die sich ganz wesentlich durch Herrschaft über Frauen definiert. Freilich kann die Elite sich leisten, die ihr innewohnende Brutalität durch höfisches Betragen zu sublimieren, während die unteren Ränge die Drecksarbeit erledigen. Regisseurin Clara Kalus lässt Tristan am Theater Münster den rohen Umgang seiner Mannschaft mit den Frauen dulden, bis er Isolde ins Auge blickt. Vollends die Einnahme des Liebestranks hievt die Beziehung von Frau und Mann auf eine völlig neue Ebene.
Gewächshaus und Museum
Fortan sinnt keine der beiden Titelfiguren auf Herrschaft, im Paar regiert einzig die Liebe. Letztere offenbar eine Treibhauspflanze. Jedenfalls situiert Bühnenbildner Dieter Richter den mittleren Aufzug in einem an Gartenbau gemahnenden Glaskasten. Der indessen zusätzlich Museumsfunktion übernimmt, findet sich dort doch – nun gerahmt von der vormaligen Abschrankung für den Bezirk, in den auf Tristans Schiff die Frauen gesperrt waren – Géricaults monumentales „Floß der Medusa“ ausgestellt. Der Mehrwert des Gemäldes für das Verständnis dessen, was zwischen den Liebenden vorgeht, bleibt unerfindlich. Mag sein, außer dem Umstand, dass Wagners Titelfiguren im metaphorischen Sinn Schiffbruch erleiden. Angesichts des Rangs von Auseinandersetzungen mit Gericaults Meisterwerk von Hans Werner Henze bis Peter Weiss wäre solcher Ertrag dürftig. Einziger Vorzug des Exponats ist mithin sein transparenter Bildträger. Denn der gestattet den Durch- und Ausblick auf König Markes Jagdgesellschaft. Jene scheint nur darauf zu warten, die Liebenden in flagranti beim Ehebruch zu erwischen.

Wellen- und Wolkenvideos
Zur Einstimmung wird – um im Jägerjargon zu formulieren – schon einmal jenes weiße Reh „aufgebrochen“ (ausgeweidet), das von Anbeginn durch Katarina Eckolds Wellen- und Wolkenvideos streifte. So sinnfällig das ist, auf die Unentschiedenheit der Spielleitung, wann dem Liebespaar im Vordergrund Statuarik zu verordnen oder wo ihm Aktion zu gönnen ist, fällt vor solchem Hintergrund einiges Schlaglicht. Kareol nimmt optisch für sich ein. Imaginieren lässt sich ein riesiger bis auf Tristans Siechenlager und wenige Requisiten beinahe leerer Schiffsbauch. Das Krankenbett dient auch zur Positionierung einer nach Gericaults Vorbild angeordneten Gruppe des moribunden Helden im todtraurigsten Verein mit der übrigen männlichen Personnage und selbst Brangäne. Tristan als Kind plus Tristan-Double liefern eine bloße Doppelung des im Libretto ohnehin aus der Biografie des Schmerzensmanns Berichteten. Kostümbildnerin Katharina Weissenborn bevorzugt Zeitloses, nur bei den Frauen deutet sich – indessen unspezifisch – Vergangenheit an.

Kristallene Klarheit
Lässt sich szenisch vieles auf der Habenseite verbuchen, so können die Münsteraner musikalisch noch weitaus stärker punkten. Unter Anton Tremmel tönen die Herren von Chor und Extrachor des Hauses bei aller szenisch erforderten Brutalität nicht allein durchschlagskräftig, sondern überdies klangprächtig. Über weite Strecken hört Golo Berg mit dem Sinfonieorchester Münster die Partitur kammermusikalisch aus. Kristalline Klarheit überwiegt romantischen Überschwang selbst im Blech. Selten gibt sich das Holz nuancierter zu vernehmen als in der westfälischen Kapitale. Für Tristan bietet Brad Cooper tenorale Statur und Durchhaltevermögen auf. Final nimmt sich Cooper ein wenig zurück, doch verbindet sich das – wenn man es denn so hören möchte – durchaus mit des Helden Agonie. Kristiane Kaiser verkörpert eine vokal raumgreifende Isolde. Nie sucht Kaiser ihr Legato vermeintlicher Expressivität zu opfern. Stimmlich und spielerisch trumpft der Kurwenal von Johan Hyunbung Choi mächtig auf. Wioletta Hebrowska weiß als Brangäne für sich einzunehmen. Mit großformatiertem Bass gibt Wilfried Staber den König Marke.
Theater Münster
Wagner: Tristan und Isolde
Golo Berg (Leitung), Clara Kalus (Regie), Dieter Richter (Bühne), Katharina Weissenborn (Kostüme), Katarina Eckold (Video), Ingo Jooß (Licht), Anton Tremmel (Chor), Brad Cooper, Kristiane Kaiser, Wilfried Staber, Wioletta Hebrowska , Johan Hyunbong Choi, Ramon Karolan,Youn-Seong Shim, Yoogeon Hyeon, Michael Nowak, Florian Wölk, Pablo Schulze-König, Sinfonieorchester Münster, Chor und Extrachor des Theater Münster
Sa., 08. November 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Tristan und Isolde
Golo Berg (Leitung), Clara Kalus (Regie)
Sa., 22. November 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Tristan und Isolde
Golo Berg (Leitung), Clara Kalus (Regie)
So., 14. Dezember 2025 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Tristan und Isolde
Golo Berg (Leitung), Clara Kalus (Regie)
So., 11. Januar 2026 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Tristan und Isolde
Golo Berg (Leitung), Clara Kalus (Regie)
So., 25. Januar 2026 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Tristan und Isolde
Golo Berg (Leitung), Clara Kalus (Regie)
        



