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Porträt Lise Davidsen

Mut zur Heroine

Die Sopranistin Lise Davidsen wuchs so langsam wie bedächtig in die Opernwelt hinein. Nun steht der gefragten Wagner-Interpretin ihr Bayreuth-Debüt bevor.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Der hohe Norden und seine hochdramatischen Heroinen! Birgit Nilsson, Astrid Varnay, Kirsten Flagstad, Camilla Nylund, Nina Stemme. Und nun Lise Davidsen. Sie ist schon jetzt nicht zu übersehen: 1,88 Meter groß ist sie, wie es im Internet heißt. Keine Übertreibung sei dies, versichert sie im Gespräch. Und zu überhören ist sie auch nicht. Denn ihr Sopran strahlt, vibriert. Ihr Gesang ist intensiv, mächtig, dunkel, dramatisch – wie geschaffen für die Ausbrüche und Ekstasen, Höhen und Tiefen einer Isolde, Brünnhilde, Elektra, Färberin, Norma oder Turandot.

Niemals hätte sich Lise, das „Mädchen vom Lande“, wie ein Journalist sie nannte, es sich vorstellen können, dass sie auf einer Opernbühne stehen würde. Damals, als Teenager in ihrer Heimat in Stokke, einer Ortschaft im Südwesten Norwegens mit 11.000 Seelen, träumte sie noch davon, mit Gitarre und eigenen Songs durch die Welt zu ziehen wie Eva Cassidy, ihr großes Vorbild. Etwas unsicher fragt sie, ob ich Cassidy kenne, die in jungen Jahren verstorbene amerikanische Soul-, Folk- und Pop-Sängerin?

Lise Davidsen: Erst die Stimmausbildung, dann die Liebe zur Oper

Die hohe Kunst und die klassische Musik gehörten nicht unbedingt zum Alltag der Familie. „Mein Vater ist Elektriker, meine Mutter in der Gesundheitsvorsorge tätig. Ich bin eine Spätentwicklerin. Meine erste Oper erlebte ich mit neunzehn Jahren. Das war „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Die Wahrheit ist: Zunächst ließ ich meine Stimme ausbilden, dann erst entdeckte ich meine Liebe zur Oper. Es hat seine Zeit gebraucht, bis ich mich wirklich auf dieser Bühne sah, in all diesen großen dramatischen Rollen.“

Wohl deshalb empfand sie sich nie als die geborene Diva oder als eine Primadonna, wie nicht wenige Sängerinnen ihres Fachs. Jetzt lacht sie. „Lange war ich vollkommen davon überzeugt, ich sei ein Mezzo und habe als solcher in Chören gesungen, auch an der Grieg-Akademie in Bergen, wo ich mit meiner Ausbildung anfing. Ich sang sehr viel Kirchenmusik und barockes Repertoire. Dann aber ging ich an die Musikhochschule in Kopenhagen. Dort sagte mir meine Lehrerin: ‚Lise, du bist kein Mezzo, du bist eine Sopranistin‘, und ich sagte: ‚Nein, das bin ich nicht!‘ Ich wollte es ihr nicht glauben. Sie aber bestand darauf.“

Lise Davidsen
Lise Davidsen

Durchbruch mit Wagner

Und dennoch habe es lange gebraucht, bis sie auch psychologisch aus der Rolle der „Seconda Donna“ herausgekommen sei. „Als Mezzo stellst du eher Charaktere und Persönlichkeiten dar und bist weniger ‚die Sängerin‘. Das prägt einen. Irgendwann wurde mir klar, dass meine Lehrerin Recht hatte. Und ich beschloss, meiner wahren Stimme zu folgen.“ Ausschlag für ihren Erfolg gaben die ersten Preise 2015 im Königin-Sonja-Musikwett­bewerb in Oslo und dann in London in Plácido Domingos Wettbewerb „Operalia“. Im Finale sang sie Wagner. Danach ging es Schlag auf Schlag: An der Bayerischen Staatsoper debütierte sie im gleichen Jahr als Ortlinde („Die Walküre“), an der Frankfurter Oper als Freia – als Göttin der Jugend im jugendlich-dramatischen Fach.

Über die Partie der Elisabeth („Tannhäuser“) sagte sie 2015 noch: „in the future – but not yet!“ Was auch immer „future“ für Opernsängerinnen in unserer kurzlebigen Zeit heißt: Eh sie sich’s versah, klopfte nicht nur München, sondern auch Bayreuth an. Dazu das CD-Debüt „Lise Davidsen“ mit den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss sowie Arien aus „Ariadne auf Naxos“ und Stücken aus Wagners „Tannhäuser“ mit dem Philharmonia Orchestra unter Esa-Pekka Salonen.

Die Erwartungen an sie seien mittlerweile sehr hoch, räumt Lise Davidsen ein. Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass sie mit der artifiziellen Opernwelt noch etwas fremdelt, dass sie die Sorge hat, ihr jetziges Leben könnte sie von ihren Lieben in Stokke entfremden. Manchmal vermisst sie das unspektakuläre kleine Leben ihrer Kindheit, damals, als der Ausgang eines Handballspiels wichtiger war als alles andere in der Welt. Es braucht eben auch wahren Mut, um eine Heroine zu sein.

Lise Davidsen singt „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss:

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