Bücherherbst – Nigel Kennedy: Mein rebellisches Leben
Geige in der Hand und Fußball im Kopf
In seiner Autobiografie „Mein rebellisches Leben“ öffnet Geiger Nigel Kennedy seinen Anekdotenschatz.
© Nicolas Hudak/Counter Production/Sony Classical

Feiner Zwirn? Fehlanzeige: Nigel Kennedy spielt am liebsten im „Aston Villa“-Trikot
Während sie Klavierstunden gibt, vergisst die Mutter ihren Sohn, der mehrere Stunden allein auf dem Balkon liegt. Trotz Kälte und Durst: Der wenige Monate alte Nigel Kennedy überlebt. Dass der Stargeiger auch später im Leben Widerstände eher als Herausforderung denn als Einschränkung begreift, davon erzählt diese über 500 Seiten starke Autobiografie. Den englischen Originaltitel „Uncensored“ wörtlich zu übernehmen, traute sich der Verlag offenbar nicht, obwohl das mittlerweile 65-jährige „Enfant terrible“ der Klassikszene nach vielen Seiten kräftig austeilt – mit flapsigem Charme und frechem Humor, wie man es auch von Kennedys Moderationen bei seinen Konzerten gewohnt ist.
Nigel Kennedys „Schnittstellen mit der wirklichen Welt“
So bringt er wenig Verständnis für die spirituelle Seite Yehudi Menuhins auf – seines frühen Lehrers und Mentors an der Juilliard School in New York – und listet auch gleich fünf Gründe auf, warum Yoga „beschissener als Scheiße“ ist. Kennedy berichtet, wie er einen Auftritt mit Menuhin während eines feuchtfröhlichen Kneipenbesuchs regelrecht verschläft, wie er eine Straßenbande mit seinem Geigenspiel davon abhält, ihn auszurauben, und präsentiert seine „Top 10 der Begegnungen mit der Polizei“. Wir erfahren von seinen Kollaborationen mit Größen des Pop, Rock und Jazz wie Paul McCartney, Robert Plant und Jean-Luc Ponty, und allein hundert Seiten gehören dem Sport – allem voran Kennedys Fußballverein des Herzens „Aston Villa“. So werden bei ihm, der Fußball und Jazz als seine „Schnittstellen mit der wirklichen Welt“ bezeichnet, die klassische Musik und das Privatleben fast zur Randnotiz. Trotzdem gibt es auch hier bereichernde Einblicke zu Auftritten, Aufnahmen und Begegnungen. So formt sich das Bild eines Künstlers, dessen patzige Rebellion gegen starre Formen und Konventionen sehr menschliche Züge trägt.
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