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Klassik meets Jazz: Schostakowitsch – „Suite für Jazzorchester Nr. 1“

Jazz auf Anordnung

Dmitri Schostakowitschs „Suite für Jazzorchester Nr. 1“ entstand auf Anweisung der sowjetischen Jazz-Kommission

vonJohann Buddecke,

Die Oktoberrevolution im Jahr 1917 war nicht nur politisch sondern auch kulturell eine tief einschneidende Zäsur für Russland. Revolutionsführer Lenin forderte: „Die Kunst gehört dem Volke. Sie muss ihre tiefsten Wurzeln in den schaffenden Massen haben.“ Fortan wurde die Musik sozialistisch getrimmt. Eine volkseigene Musikkultur sollte entstehen – auf Befehl des kommunistischen Machthabers. Schostakowitschs „Suite für Jazzorchester Nr.1“ ist das erste Resultat dieser Anweisung.

Musik aus dem Land des Klassenfeinds

Der zur selben Zeit in den USA aufkeimende Jazz, mit seinem freiheitlich-individualistischen Charakter, stand Lenins Vorstellungen von einer volkseigenen Musikkultur diametral entgegen. Dennoch brauchte es nicht lange, bis die ersten Schallplatten mit den neuartigen afroamerikanischen Klängen die noch junge Sowjetunion erreichten. Das unterhaltungsfreudige russische Volk zeigte sich begeistert, die Sowjetregierung hingegen war weniger angetan von der ausgelassen-emotionalen Musik aus dem Land des Klassenfeinds.

Obwohl der Jazz als dekadent galt, kam somit ein Verbot nicht infrage. Schließlich beschloss man, sich nicht von dem amerikanischen Vorbild abhängig machen zu lassen und gründete kurzerhand eine staatliche Jazz-Kommission. Der Sowjet–Jazz wurde zur Staatsangelegenheit.

Professionell statt ausgelassen

Innerhalb der Kommission wurde festgelegt, den sowjetischen Jazz auf ein professionelles Niveau zu heben und ihn zugleich von seinem wilden Image wegzuführen. Dem Volk propagierte man den Ursprung der Musik als Kunst der unterdrückten schwarzen Bevölkerung Amerikas, was mit der neuen kommunistischen Gesellschaftsordnung bestens in Einklang zu bringen war. Einzig ein großer Name musste her, der noch junge Komponisten animieren sollte, neue Jazz-Werke nach sowjetischem Verständnis zu komponieren. Man entschied sich für Dmitri Schostakowitsch, der bereitwillig zusagte.

Nachdem die Jazz-Kommission in Leningrad zu Förderzwecken der neuen Jazzrichtung eigens einen Kompositionswettbewerb ins Leben rief, begann Schostakowitsch 1934 mit der Arbeit an seiner „Suite für Jazzorchester Nr.1“. Trotz der staatlichen Bestrebung das dekadente Image der Musik zu eliminieren, schaffte er es jenen Gedanken in dem Werk durch eine ausgefallene Instrumentation samt Saxofonen, Hawaiigitarre, Banjo und Jazzschlagzeug zu reflektieren – der Kommission entging dieser subtile Streich gänzlich. Den Staatsvertretern genügte es scheinbar, dass Schostakowitsch den wilden improvisativen Charakter des amerikanischen Vorbilds umging.

„Suite für Jazzorchester Nr.1“

Insgesamt besteht die „Suite für Jazzorchester Nr.1“ aus drei Sätzen, die im entfernten Sinne an die Musik der amerikanischen Bigbands erinnern. Die wesentliche Verbindung zum afroamerikanischen Vorbild besteht jedoch im Tanzcharakter der Musik, der den Jazz von seinem Ursprung bis weit in die 1940er-Jahre kennzeichnete. Ganz ähnlich konzipiert ist auch die 1938 für das neugegründete staatlich-sowjetische Jazzorchester komponierte „Suite für Jazzorchester Nr. 2“, deren Jazzbezug ebenfalls eher marginal daherkommt.

Einen Hinweis darauf, dass sich Schostakowitsch über die Tatsache im Klaren war, keinen wirklichen Jazz zu komponieren, lieferte er in den Titel seiner beiden Suiten – vermied er doch offensichtlich die heute gebräuchliche Bezeichnung Jazzsuite.

Schostakowitschs „Suite für Jazzorchester Nr. 1“:

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Schostakowitschs „Suite für Jazzorchester Nr. 2“:

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