Das Publikum des Jahres 2017

Chéreaus Jahrhundert-Ring

Anlässlich des concerti-Wettbewerbs „Das Publikum des Jahres 2017“ lassen wir amüsante und skandalträchtige Publikumsereignisse noch einmal aufleben – wie zum Beispiel die Tumulte rund um Patrice Chéreaus Bayreuther „Ring“-Inszenierung 1976

© El Grafo/Wikimedia Commons

Festspielhaus Bayreuth

Festspielhaus Bayreuth

Buhrufe bei der Premiere, Trillerpfeifenkonzerte bei den weiteren Aufführungen – und sogar Publikumsprügeleien soll es gegeben haben: Patrice Chéreaus Inszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Bayreuther Festspiele 1976 ist bis heute im doppelten Sinne legendär. Zum einen, weil seine Interpretation bis heute Maßstäbe in der „Ring“-Aufführungsgeschichte setzt.

Zum anderen, weil der damals 31-jährige Franzose, der 1976 nicht nur der jüngste, sondern auch der erste ausländische Regisseur auf dem Grünen Hügel war, mit seiner Sichtweise auf Wagners „Ring“ einen handfesten Publikumsskandal auslöste. Denn Chéreau brach mit der Bayreuther Inszenierungstradition – und zwang damit das Publikum, sich anderen Interpretationen zu öffnen.

Jahrhundert-Skandal statt Jahrhundert-Ring

Auslöser für den Skandal: Chéreau verlegte die Handlung in die Zeit der Frühindustrialisierung des 19. Jahrhunderts. Er folgte dabei vor allem George Bernhard Shaws „Ring“-Analyse aus dem Jahr 1889, der in dem Wagner-Zyklus eine Parabel auf die sozioökonomischen Umbrüche des 19. Jahrhunderts sah. Chéreau vermied jegliche Form des bis dato in Bayreuth so beliebten Illusionstheaters und wandte sich lieber den Prinzipien von Artauds Theater der Grausamkeit zu, indem er in den Kulissen von Richard Peduzzi eine verkommene Gesellschaft zeigte, der es allein um den Machterhalt geht – und Helden zu gierigen Geiern mutieren lässt.

© Unitel

Der Ring des Nibelungen/Bayreuther Festspiele, inszeniert von Patrice Chéreau

Der Ring des Nibelungen/Bayreuther Festspiele, inszeniert von Patrice Chéreau

Für die eingefleischten Wagnerianer war das zu viel. Bereits während der Premiere wurde gebuht, was das Zeug hielt. Doch damit nicht genug! In weiteren Aufführungen kam es zu derart heftigen Unmutsbekundungen und Tumulten im Saal, dass manche Vorstellungen fast abgebrochen worden wären. Die kategorische Ablehnung der Inszenierung machte aber auch nicht vor den Beteiligten Halt. So musste sich der Dirigent Pierre Boulez damit auseinandersetzen, dass einige Orchestermitglieder den Dienst quittierten.

„Werkschutz für Wotan“

Außerhalb des Festspielhauses machten zudem die Wagnerianer mobil: Neben Kundgebungen gegen die Chéreau-Inszenierung (auf denen „Werkschutz für Wotan“ gefordert wurde), Flugblätteraktionen und den Unterschriftensammlungen diverser Wagner-Vereinigungen, die damit drohten, den Bayreuther Festspielen den Geldhahn zuzudrehen, wurden dem künstlerischen Leiter sogar Morddrohungen geschickt. Selbst bei der Wiederaufnahme im Folgejahr kam es zu weiteren Tumulten sowie zur Gründung der „Vereinigung zur Erhaltung des Werkes von Richard Wagner“.

Aus dem Jahrhundert-Ring wurde so auch ein Jahrhundert-Skandal, denn die Tumulte waren in der Geschichte der Bayreuther Festspiele bis heute einmalig – ebenso wie die Inszenierung von Patrice Chéreau, die, nachdem die wütenden Wagnerianer erzürnt den Aufführungen fern blieben und Opernliebhabern mit kühleren Köpfen Platz machten, unter Experten und Kritikern gleichermaßen immer mehr Beachtung ob ihrer neuartigen Herangehensweise und Komplexität erhielt. Aus dem Skandal von 1976 ist heute eine der renommiertesten „Ring“-Inszenierungen überhaupt geworden.

So sah Chéreaus „Götterdämmerung“ aus:

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© concerti

concerti sucht das „Publikum des Jahres 2017“

Publikum des Jahres 2017

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